Enthüllungsplattform Wikileaks-Gründer Assange: Der Geheimnisträger

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Julian Assange hält eine Quelle: REUTERS

"Wikileaks benutzt neue Technologien, ein globales Netzwerk und den einfachen Zugang zu Informationen, um Regierungsgeheimnisse für ein imaginäres Weltpublikum zu enthüllen", sagt der australische Historiker John Keane. Er glaubt, dass Wikileaks für eine moderne Gesellschaftsform steht, in der Regierungen von nichtstaatlichen Organisationen ständig beobachtet und bewertet werden. Aber wer kontrolliert Wikileaks?

"Die Früchte unserer Arbeit geben wir der Öffentlichkeit", sagt Assange, "nur ihr gegenüber tragen wir eine Verantwortung." Es ist die Antwort eines Hackers, der glaubt, dass alle Informationen allen zugänglich gemacht werden müssten und die Menge dann durch Schwarmintelligenz entscheidet, was echt und unecht ist. Seine Mission der totalen Transparenz setzt Assange mit dem Interesse der Allgemeinheit gleich.

"Kollateralschäden"

Im Publikum in London sitzen an diesem Abend aber viele, die finden, dass es Grenzen gibt, dass zum Beispiel die Namen von Unbeteiligten oder private Informationen geschützt werden müssen. "Es gibt eben Kollateralschäden", antwortet Assange. Wikileaks habe einen neuen Filter entwickelt, mit dem es Dokumente nach Namen durchforste; wie, das will er nicht sagen: "Wir müssen jetzt nicht diese Details besprechen." Es klingt, als wolle Assange Grundsatzprobleme einfach mit Software lösen. Seine Sturheit hat auch in der Wikileaks-Community zu Kritik und Austritten geführt.

Wikileaks wurde Ende 2006 gegründet. Weltweit Furore machte die Plattform erst mit der Veröffentlichung eines Videos der US-Armee im April dieses Jahres: Zu sehen ist, wie amerikanische Soldaten aus einem Apache-Helikopter elf Zivilisten in Bagdad erschießen, darunter zwei Reuters-Journalisten. Reuters forderte das Video unter Berufung auf den Freedom of Information Act an – ohne Erfolg. Ein US-Soldat spielte das Video Wikileaks zu, Assange veröffentlichte es unter dem Titel Collateral Murder. Es war ein Beweis dafür, dass Wikileaks mit seiner Technik, Anonymität und globalen Reichweite leisten kann, was traditionelle Medien nicht leisten können.

Ursprünglich wollten Assange und seine Leute nur Rohdaten ins Netz stellen, unkommentiert. Schnell stellte sich heraus, dass Informationen verpackt und verkauft werden müssen. "Vor einigen Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass wir so große Scoops wie die Afghanistan-Protokolle sehen werden", sagt Manfred Redelfs vom Netzwerk Recherche, "allerdings erschlägt einen die Masse an Material. Man braucht Redaktionen, die die Informationen in einen Kontext setzen."

Mit jeder großen Veröffentlichung steigt der innere und äußere Druck auf Wikileaks. Je bekannter es wird, desto mehr Daten bekommt es, und desto mehr Freiwillige bieten ihre Hilfe an – eine Überforderung für das unstrukturierte Projekt. "Seit Dezember haben wir 800 Programmierer kontaktiert und gefragt, wie sie helfen können", erzählte Daniel Domscheit-Berg dem Blogger Markus Beckedahl von Netzpolitik.org. "Wir sind dann in ein strukturelles Problem gelaufen: Wessen Verantwortung ist es, 800 Leute zu organisieren, überhaupt diese Mails zu beantworten?" Wikileaks ist Opfer seines eigenen Erfolgs geworden.

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