Facebook-Gegner aus China Was WeChat besser macht als WhatsApp

Surfen, shoppen, Rechnungen zahlen: Der chinesische Messengerdienst WeChat leistet viel mehr als WhatsApp und Co. Die Plattform könnte Facebook und Apple gefährlich werden, denn sie strebt nach Europa und Amerika.

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WeChat-Messenger gegen Whatsapp Quelle: Marcel Stahn

Früher stritten Chinesen im Restaurant leidenschaftlich darum, wer die Rechnung zahlt. Sie brüllten und verteidigten erbittert den Kassenzettel. Ein Kampf um die Ehre bis auf den letzten Yuan. Heute helfen ein paar Tipper auf dem Smartphone, und jeder hat seinen Teil der Rechnung in wenigen Sekunden beglichen.

Friedensstifter ist die in China enorm populäre App WeChat des Internetkonzerns Tencent. Sie funktioniert wie der im Westen verbreitete Messengerdienst der Facebook-Tochter WhatsApp und dominiert wie keine andere Anwendung das mobile Internet im Reich der Mitte. 2015 nutzten landesweit knapp 550 Millionen Menschen den Dienst, das waren 90 Prozent aller chinesischen Smartphone-Nutzer. Weltweit goutieren aktuell sogar 650 Millionen Menschen den Dienst.

Surfen, shoppen, spielen – WeChat leistet heute viel mehr, als nur kurze Nachrichten an Freunde zu schicken. Die App steht für eine neue Ära des mobilen Internets. Und erstmals wird diese von China aus westliche Märkte erobern, nicht wie bisher andersherum.

Aktive Nutzer der zehn größten Nachrichten- und Chatdienste

Was als Kopie ausländischer Angebote begann, ist zum Vorbild für westliche Unternehmen geworden. Facebook übernimmt immer mehr Funktionen, wird selber zum Kopierer. WeChat ist so kein rein chinesisches Phänomen mehr. Es zeigt vielmehr, wie die Messengerdienste von morgen auch in Deutschland aussehen werden.

Offene Schnittstelle als Erfolgsrezept

Natürlich kann der Nutzer Text- und Sprachnachrichten verschicken und wie auf Facebook Bilder und Artikel teilen. „WeChat ist aber weit mehr als WhatsApp und Facebook“, sagt Natasha Fang. Als die 29-Jährige vor zweieinhalb Jahren aus der südöstlichen Stadt Xiamen nach Shanghai zog, bot sie Kommunikationskurse an.

Als sie ihren ersten Workshop auf WeChat ankündigte und sich 60 Leute anmeldeten, wusste sie: Das ist die Zukunft. Heute berät Fang chinesische und ausländische Firmen bei ihrer WeChat-Strategie. Das Erfolgsrezept von WeChat ist die offene Schnittstelle der App. Über sie können sich andere Programme sehr leicht mit ihr verbinden. „Das macht sie für Unternehmen attraktiv“, sagt Fang.

Was WeChat seinen Nutzern bietet

Ein Kunde kann beispielsweise der Profilseite eines Schuhherstellers folgen. Dieser schickt über die App Angebote, Rabattcoupons und Werbekampagnen. Klickt der Nutzer sie an, verlässt er unmerklich WeChat und gerät auf spezielle, für Mobilgeräte optimierte Internetseiten. Auf denen kann er einkaufen, buchen, bestellen oder sein Bankkonto verwalten. „WeChat ist nicht mehr nur eine Kommunikationsplattform, sondern ein eigenes Ökosystem“, sagt Fang.

Der Aufstieg von WeChat begann 2011. Der Internetkonzern Tencent aus dem südchinesischen Shenzhen, derzeit rund 144 Milliarden Euro wert, war bereits mit seinem ersten Messenger QQ in China sehr erfolgreich. Trotz Marktführerschaft entschied sich das Management, einen weiteren Chatdienst zu entwickeln. Dafür setzte es auf ein neues Team mit frischen Köpfen unter der Führung von Zhang Xiaolong. Der 45-Jährige zeigt sich fast nie in der Öffentlichkeit. Wenn aber doch, dann hängt das Land an seinen Lippen.

Netzwerke sind kleiner und privater als auf Facebook

Die Truppe hatte Erfolg. Heute verdient Tencent Milliarden mit Werbung und Spielen, die Nutzer über die Plattform kaufen. Der Gesamterlös lag im dritten Quartal 2015 bei umgerechnet 3,7 Milliarden Euro. 34 Prozent mehr als im Vorjahr. Seit seiner Gründung verdoppeln sich die Werbeeinnahmen jedes Jahr.

„Sie haben die Zukunft vorausgesehen und darauf gewettet“, sagt Alexis Bonhomme. Der Franzose kam vor fünf Jahren für das deutsche Beteiligungsunternehmen Rocket Internet nach China. Danach gründete er die Beratungsfirma Curiosity China. Heute berät er Firmen im Bereich soziale Medien.

Der Messenger als eigene Serviceplattform. Das hält Bonhomme für die Zukunft. Denn die Netzwerke in WeChat sind kleiner und privater als etwa auf Facebook. Die meisten Nutzer haben nur rund 100 Kontakte. Jemandem folgen wie auf Twitter oder Facebook können sie nicht. Trotzdem durchdringt die App das chinesische Leben. Große Player haben diesen Trend verschlafen, glaubt Bonhomme.

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Damit meint er vor allem Facebook. 2014 kaufte das Unternehmen nicht nur WhatsApp für knapp 14 Milliarden Euro. Es brachte im gleichen Jahr mit dem Facebook Messenger eine eigene App auf den Markt, die von der Mutterplattform weitgehend abgekoppelt ist. „Die App ist offensichtlich eine Kopie von WeChat“, sagt Bonhomme.

Facebook kündigt neue Funktionen an

Dies zeigen vor allem die neuen Funktionen. Vergangenen Dezember verkündete Facebook stolz, dass die Nutzer in einigen Städten in den USA nun auch Taxis über den Messenger rufen könnten. Außerdem habe das Unternehmen Kooperationen mit ausgewählten Einzelhändlern und Hotels geschlossen und eine Bezahlfunktion integriert. Was Facebook als Innovation verkauft – es ist in China längst Standard.

Noch ist das US-Netzwerk im Land gesperrt. Doch seit längerer Zeit wird darüber spekuliert, ob Facebook sich den Regeln der Zensoren in Peking unterwirft, um den Riesenmarkt zu erobern.

WeChat zeigt, wie ein attraktives Geschäftsmodell im mobilen Internet aussieht. Auf Facebook kann eine Kaffeehauskette eine Sonderaktion anpreisen. Auf WeChat kann sie direkt Gutscheine verschicken, die der Kunde im Café über einen QR-Code für sein Lieblingsgetränk einlöst.

Bezahldienst hat mehr Kunden als PayPal

Zentral für den Erfolg von WeChat aber ist sein Bezahldienst. Ob in Restaurants, in Geschäften oder online. Mit dem integrierten QR-Scanner reicht ein kurzer Schwenk über die Rechnung und schon ist sie beglichen. Über 400 Millionen Menschen in China nutzen aktuell WeChat Wallet. Zum Vergleich: Wurden 2015 mit PayPal weltweit 4,9 Milliarden Überweisungen in einem Jahr getätigt, verschenkten chinesische Familien und Freunde allein anlässlich des Frühlingsfestes im Februar in einer einzigen Woche acht Milliarden mal Geld via WeChat Wallet.

Prinzipiell ist der Dienst kostenfrei. Ausgenommen ist der Transfer von Geld auf Bankkonten. Überweist ein Kunde mehr als 1000 Yuan auf Bankkonten, sodass das Geld den WeChat-Kreislauf verlässt, muss er danach pro Überweisung eine geringe Gebühr entrichten. WeChat ist nicht ganz freiwillig so großzügig. Denn der Markt von Onlinebezahldiensten ist in China hart umkämpft. Größter Player ist Alipay vom Internetriesen Alibaba. Der sich mit WeChat gnadenlose Schlachten um die Nutzer liefert. Seit Februar versucht auch Apple mit seinem Bezahldienst Pay in China mitzumischen, doch kämpfen die Kalifornier noch mit Anlaufschwierigkeiten, wie sich Nutzer im Internet beschweren.

Apps sollen komplett in WeChat integriert werden

Währenddessen plant WeChat schon die nächste Revolution. Chef Zhang kündigte Anfang des Jahres an, Apps komplett in den Messenger zu integrieren.

Bisher gibt es drei verschiedene Arten von kommerziellen Profilen auf WeChat. Für Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten, für Firmen, die ihre interne Kommunikation über die App organisieren, sowie für Medien. Nun soll eine weitere Kategorie nur für Apps hinzukommen. Dann müssten die Entwickler, wirbt Zhang, ihre Apps nicht mehr einzeln für Betriebssysteme wie Android von Google oder iOS von Apple anpassen. Was teuer ist. Und die Nutzer müssten nicht mehr für jede App einen neuen Account anlegen. Was umständlich ist.

Die Ankündigung des Firmenchefs stieß auf großes Interesse, vor allem bei Unternehmen, die schon in diese Richtung arbeiten. Ein Beispiel ist Yoli. Das Pekinger Start-up bietet seit Kurzem Englischkurse auf WeChat an. Der Schüler muss die App dafür nicht verlassen. Er öffnet das Yoli-Profil, ein Lehrer schaltet sich dazu und unterrichtet 15 Minuten. Per Sprachfunktion beantwortet der Schüler Fragen. Der Lehrer korrigiert in Echtzeit. Die umgerechnet rund sieben Euro Gebühr werden direkt über die App abgerechnet. „Die Nachfrage ist riesig“, sagt Gründer James Lalonde. Bereits nach einem Tag hätten sie die Entwicklerkosten der vergangenen fünf Monate verdient. Nach wenigen Tagen lagen die Nutzerzahlen im vierstelligen Bereich.

Nächster Schritt: Eigenes Betriebssystem

Lalonde hat unter anderem den Spielhersteller Yodo1 mitgegründet. Über 300 Millionen Smartphone-Besitzer spielen in China seine Spiele. Einen weiteren Ausbau der App-Funktion würde der 50-Jährige begrüßen. „WeChat ist einfach zu benutzen und jeder hat es“, sagt er. Er ist sich sicher: Kommt erst der App-Account, wird er sich zu einer harten Konkurrenz für die App-Stores von Google und Apple entwickeln. Und damit langfristig auch für die Betriebssysteme. Denn wenn niemand mehr WeChat verlassen muss, ist der nächste Schritt für Tencent ein eigenes Betriebssystem.

Noch ist das aber nur in China eine Gefahr für die internationale Konkurrenz. WeChat ist außerhalb des Landes wenig bekannt. 100 Millionen Nutzer hat die soziale Plattform im Ausland. Viele in Südostasien, in den USA und Europa nutzen sie meist Auslandschinesen. Immerhin: Es gibt auch eine deutschsprachige Version.

Bisher sind alle Expansionsversuche von Tencent gescheitert. Viele Nutzer in Europa und den USA fürchten um ihre Daten. Chinesische Internetnutzer sind da weniger sensibel. Die meisten haben nie einen Computer besessen. Das mobile Internet ist ihre zweite Heimat. Und damit WeChat.

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