Kurz bevor Markus Harwarth (Name von der der Redaktion geändert) die Baustelle auf der Autobahn hinter sich lässt, blitzt es. 60 Kilometer pro Stunde waren erlaubt, Harwarth war deutlich schneller. Auf dem Bußgeldbescheid, der wenige Wochen später in seinem Briefkasten liegt, steht es schwarz auf weiß: 26 Stundenkilometer zu viel hat der Radarmesser der Polizei ermittelt. Das macht 100 Euro, 3 Punkte und sogar ein einmonatiges Fahrverbot, denn es ist nicht das erste Mal, dass Harwarth geblitzt wird. Nur ein Stundenkilometer weniger und er wäre glimpflicher davon gekommen.
Für Harwarth ist der Bußgeldbescheid eine Katastrophe. Als Taxifahrer ist er auf seinen Führerschein angewiesen. Dann entdeckt er im Internet Geblitzt.com. Die Seite wirbt dem einem einfachen Versprechen: Sie lässt Bußgeldbescheide kostenlos auf ihre Richtigkeit prüfen. Wenn die Lizenzanwälte der Seite keine Chance sehen, den Fall zu gewinnen, lehnen sie eine weitere Bearbeitung ab. Sehen sie eine gute Chance, dass der Fall Erfolg haben könnte, fechten sie den Fall für den Klienten durch. Und das ebenfalls völlig gratis.
„Viele zahlen diesen Bußgeldbescheid einfach – dabei ist die Fehlerquote hoch“, sagt Jan Ginhold, Betreiber von Geblitzt.com. Acht Prozent aller Bußgeldbescheide in Deutschland seien unzulässig falsch, so haben es Verkehrsexperten auf dem 51. Verkehrsgerichtstag in Goslar 2013 in einer Studie errechnet. Jeder vierte Bußgeldbescheid ist zudem in der Beweisführung mangelhaft. Die Gründe reichen vom unkenntlichen Foto über fehlerhaft ausgefüllte Formulare bis zu falsch geeichten Radargeräten. Ginhold und seine Seite könnten damit zum Schrecken der Bußgeldstelle werden: Denn die Blitzer spülen Jahr für Jahr Millionen in die Stadtkassen. Alleine die Stadt Stuttgart nimmt jährlich 7,9 Millionen Euro durch Radarkontrollen ein.
Verkehrs-Apps
Das Programm ermöglicht Car-Sharing für Privatautos: Autobesitzer können ihre Wagen zur Miete anbieten. Wer ein Auto sucht, dem zeigt Tamyca Angebote aus der Umgebung. Schäden deckt eine Versicherung ab. iOS (Apple), Android
Diese App ist eine mobile Mitfahrzentrale. Wer verreisen will, bekommt die Ziele anderer Fahrer angezeigt. Praktisch: Flinc lotst den Fahrer zum Passagier, damit man sich nicht verpasst. iOS, Android, PC
Das Handyprogramm warnt vor Blitzern. Wer eine Radarfalle entdeckt, kann andere darauf hinweisen. Auch Unfälle und Straßenschäden können damit gemeldet werden. iOS, Android, Blackberry, Symbian
Das System meldet, wo und wie lange es auf Autobahnen und Bundesstraßen stockt. Grundlage sind Verkehrsdaten des ADAC. Für iOS, Android
Die App zeigt Benzinpreise von Tankstellen in der Umgebung. Nutzer können die aktuellen Preise mit der App melden. iOS, Android
Die Park-App merkt sich den Standort des eigenen Vehikels und warnt, bevor die Parkzeit abläuft. In Parkhäusern kann man Etage und Stellplatz speichern. iOS
Ein Ratgeber für unterwegs: Ob Tempolimit in den Niederlanden oder stabile Seitenlage, die Antworten sind auch ohne Funkverbindung verfügbar. iOS
Das Angebot von Geblitzt.com klingt verlockend. Eine Dienstleistung, die bei einem anderen Anwälten bis zu 800 Euro kostet, gibt es dort gratis. Das Geschäftsmodell: Wenn ein Bußgeldbescheid in einem Prozess für fehlerhaft befunden wird, muss die Bußgeldstelle den Anwalt bezahlen. Hat der Geblitzte bei dem Prozess keinen Erfolg, zahlt Geblitzt.com selbst das Anwaltshonorar. Das Geld bekommt die Firma aus Lizenzeinnahmen. Denn die Anwälte, die über die Plattform Fälle annehmen, müssen für die Nutzung dieses Dienstes ihrerseits Geld bezahlen.
„Viel Arbeitszeit in Anwaltskanzleien geht für Routinen drauf“, sagt Ginhold. Seine Firma Coduka ist der Betreiber von Geblitzt.com und fungiert als Prozessfinanzierer und Softwareentwickler. Das System von Coduka soll den Anwälten die Arbeit immens erleichtern: Ginhold spricht von einer Zeitersparnis von bis zu 90 Prozent. Die Prüfung einer Akte alleine nehme für einen erfahrenen Anwalt meist nicht mehr als 15 Minuten in Anspruch, weil alle erforderlichen Daten bereits aufgenommen wurden.
Insgesamt – so wirbt die Coduka – habe man über Geblitzt.com bereits mehr als 2000 Fälle bearbeitet. Für die Anwälte hat das System mehrere Vorteile. Zum einen sparen sie Zeit, zum anderen spielt Ihnen die Seite neue Klienten in die Kanzlei. Für jeden bearbeiteten Fall zahlt die Coduka den Anwälten eine zudem eine kleine Pauschale, denn Anwälte dürfen laut Gesetz nicht kostenlos arbeiten.
Sind Fälle komplizierter gelagert, können die Anwälte auch weitere Beratung anbieten. Ist beispielsweise ein Bußgeldbescheid korrekt, aber ein Fahrverbot zu vermeiden, kann sich der Klient weiter von der Kanzlei vertreten lassen. Die Nutzer von Geblitzt.com können dann selbst entscheiden, ob sie ihren Fall kostenpflichtig weiterführen wollen. Rund jeder dritte Nutzer hat auch eine Rechtsschutzversicherung, die eventuelle Kosten übernimmt.
Bisher geht das Geschäftsmodell auf, sagt Betreiber Ginhold, man sei bereits profitabel.
Verbindung zu Pornoportal?
Jörg Elsner, Verkehrsrechtsanwalt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltsvereins, hegt dagegen große Zweifel am Erfolg dieses Geschäftsmodells. Denn nicht immer lasse sich die Fehlerhaftigkeit eines Bußgeldbescheides aus dem Foto oder aus der Akte umgehend erschließen. „Bei technischen Fragen zu Messgeräten müssen die Anwälte einen Sachverständigen hinzuziehen“, sagt Elsner. Und das verursache zusätzliche Kosten. Bei einer Pleite von Coduka bleiben die Anwälte im schlimmsten Fall auf den Kosten sitzen.
Auch die Erstattung durch die Bußgeldstelle sei keinesfalls selbstverständlich, sondern erfolge nur bei wirklich eindeutig fehlerhaften Bescheiden, erklärt Elsner. „Der Staat verteidigt jeden Euro mit Zähnen und Klauen.“ Juristische Auseinandersetzungen um Bußgeldbescheide sind in der Realität oft ein zähes Ringen. „Man darf nicht glauben, dass es reicht, einen Brief zu schreiben, damit die Bußgeldstelle ihre Fehler einsieht.“
Bei der Kanzlei Schuhmacher&Partner ist man dagegen überzeugt von der System der Coduka. Die Düsseldorfer Anwälte nutzen die Software seit einem Jahr. Zwei Anwälte beschäftigen sich allein mit den eingehenden Fällen, die über Geblitzt.com einlaufen. Wenn ein Fall auf ihrem Schreibtisch in Düsseldorf landet, sind viele Arbeitsabläufe, die sonst in der Kanzlei erledigt werden mussten, bereits in das System eingepflegt. Namen und Adressen der Klienten, und sämtliche relevante Unterlagen sind elektronisch erfasst. Die Anwälte können so Standardschreiben wie die Übernahme des Mandats mit einem Klick erledigen. Nur die Prüfung der Akte und weitere Schriftsätze, die individuell verfasst werden müssen, sind weiter Aufgabe des Anwalts. „Durch die hohe Zahl an Fällen haben unsere Anwälte eine gewisse Erfahrung“, sagt Ginhold
Als Fürsprecher hat Geblitzt.com auch einen prominenten Juristen gewinnen können - Hans-Peter Schwintowski. Der emeritierte Professor der Humboldt-Universität in Berlin ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats im Bund der Versicherten und machte im Jahr 2007 mit einer Plagiatsaffäre negative Schlagzeilen. Geblitzt.com ist für Schwintowski eine „zukunftsweisende Technologie“. „Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Projekt mit seiner Software-Lösung das Rechtssystem in Deutschland oder sogar Europa verändern kann“. Ganz uneigennützig ist das Lob des Professors allerdings nicht: Er ist selbst finanziell an der Coduka beteiligt, hält Anteile an dem Start-Up.
Ohnehin gibt es einige Auffälligkeiten, die zumindest Zweifel am Geschäftsmodell von Geblitzt.com wecken. Als Unternehmergesellschaft (UG) ist Plattformbetreibers Coduka haftungsbeschränkt. Das Handelsregister weist ein Kapital von 384 Euro aus. In Wirklichkeit sei das Kapital, das in der Gesellschaft steckt größer, betont Ginhold auf Nachfrage. Über einen Investorenpool habe man 250.000 Euro eingesammelt, darum sei schon längst geplant, die Coduka in eine GmbH umzuwandeln.
Allerdings lässt auch ein weiteres Detail Zweifel an der Seriosität zu: An der eingetragenen Adresse der Coduka ist auch die Akud & Co. Verlagsgesellschaft mbH beheimatet. Hier heißt der Geschäftsführer ebenfalls Jan Ginhold. Allerdings sind einige Seiten, die von Akud betrieben werden, weniger seriös als die der Schwesterfirma Coduka. Neben einigen Fortbildungsseiten sind auf ihren Namen unter anderem die Webseiten Schlampenhimmel.de und Personalluder.de registriert. „Wir liefern nur die technische Basis für diese Seiten“, verteidigt sich Geschäftsführer Jan Ginhold. Er selbst produziere keine erotischen Inhalte.
Dass die eingehenden Bußgeldbescheide an die gleiche Adresse verschickt werden, an der auch die Akud registriert ist, ist nach Ansicht von Ginhold kein Problem. „Zwischen den beiden Firmen gibt es keinerlei personelle oder technische Überschneidungen“.
Doch insbesondere die Datenerfassung von „Geblitzt.com“ hält Verkehrsrechtsanwalt Elsner für fragwürdig. In einer Anwaltskanzlei seien die Angestellten zur Verschwiegenheit verpflichtet. „Ich kann mein Vorzimmer deswegen auch nicht einfach an einen Dienstleister auslagern“, sagt Elsner. Der Datenschutz sei auch bei Coduka voll garantiert, versichert dagegen Ginhold.
Im Internet ist die Resonanz auf Geblitzt.com überwiegend positiv. Rund 35.000 Nutzer folgen der Facebook-Seite von Geblitzt.com. „Bußgeldverfahren eingestellt. Nur einmal Porto bezahlt und dafür Bußgeld und 1 Punkt erspart. Coole Seite“, schreibt ein Nutzer. Und auch Taxifahrer Herwarth ist zufrieden. Innerhalb weniger Wochen wurde sein Fall von den Anwälten von Geblitzt.com übernommen. Ein kleines Detail rettete am Ende seinen Führerschein: Der Blitzer war falsch geeicht. Sein Bußgeldbescheid ist unwirksam.