Hackernetzwerk Wie Anonymous Scientology in die Knie zwang

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Der Höhepunkt der Attacken

Es muss nicht immer Google sein
Screenshot der Google-Homepage Quelle: Screenshot
Screenshot der Bing-Homepage Quelle: Screenshot
Screenshot der DuckDuckGo-Hompegae Quelle: Screenshot
Screenshot der Blekko-Homepage Quelle: Screenshot

Dazu kam, dass sich immer mehr Anons in den IRC-Netzwerken zusammenfanden, was bedeutete, dass sie ihre Spitznamen und ihren Ruf zu verteidigen hatten. Es ging jetzt nicht mehr nur darum, Teil eines Mobs zu sein, sondern es wurde zu einer gewissen Verpflichtung, wiederzukommen und sich auch an zukünftigen Angriffen zu beteiligen. Die Teilnehmer in einem Chanology-IRC-Chatroom wussten zum Beispiel, dass sie beim Einloggen am nächsten Tag auch eine Menge neuer Online-Freunde wiederfanden, die vielleicht schlecht von ihnen dachten, wenn sie sich nicht mehr blicken ließen. Das war ganz anders als auf /b/, wo man schlagartig verschwinden konnte, ohne dass es jemandem auffiel.

Chanology wurde zu einer regelrechten Gemeinde mit Hunderten von Angehörigen, und diese spaltete sich allmählich in Foren- und IRC-Netzwerk- Benutzer auf. Imageboard-Foren wie 4chan kannten die LOIC schon seit Jahren; die /b/tards lagen ständig in Fehde mit anderen Foren, denen sie unterstellten, ihre Meme und ihren Content zu stehlen, zum Beispiel eBaum’s World oder die Bloggerseite Tumblr. Aber inzwischen gingen immer mehr Anons zu IRC-Netzwerken über, um sich abzusprechen und Anweisungen für DDoS-Attacken einzuholen. Seit Januar 2008 veröffentlichten die Organisatoren Bekanntmachungen zu Chanology und Anleitungen zum Mitmachen im Partyvan-Netzwerk, damit die Tausende Neulinge, die dem Online-Protest so plötzlich zuströmten, sich über die LOIC und die IRC-Chatrooms informieren konnten, ohne erst jemanden fragen zu müssen.

Die DDoS-Angriffe auf Scientology erreichten ihren Höhepunkt am 19. Januar, als die Hauptwebseite der Sekte von 488 Attacken verschiedener Rechner getroffen wurde. Mehrere Mainstream-Medien, darunter Fox und Sky News, berichteten, dahinter stehe eine „kleine Gruppe von Superhackern“. Das war ein absolutes Missverständnis. Nur sehr wenige Anonymous- Unterstutzer waren wirklich versierte Hacker. Viele waren einfache jugendliche Internetnutzer, die einmal etwas anderes tun wollten, als ihre Zeit auf 4chan oder 7chan zu verplempern.

Scientology schlägt zurück

An einer dritten, noch umfangreicheren DDoS-Attacke am 24. Januar, die auf Partyvan angekündigt worden war, sollen sich um die 500 Nutzer beteiligt haben. Inzwischen hatte Scientology allerdings die Internetsicherheitsfirma Prolexic Technologies aus Hollywood, Florida, zu Hilfe gerufen, die sich auf die Abwehr von DDoS-Angriffen spezialisierte. Schon bald wurden die LOIC-Überfälle wirkungslos, und die Scientology-Webseiten liefen wieder verzögerungsfrei.

Dann schlug Scientology über die Medien zurück. Anfang Februar erklärte die Sekte gegenüber der Zeitschrift Newsweek, Anonymous sei „eine Gruppe von Internet-Terroristen, ... die religiös motivierte Hassverbrechen gegen die Scientology-Kirchen begehen“. Diese theatralische Formulierung schadete Scientology allerdings eher, denn im Internet heißt es in solchen Fällen: „Füttere den Troll nicht auch noch.“ Durch diese gereizte Reaktion zog Scientology nur noch mehr Anons an, sich an den Angriffen zu beteiligen. Und weil es so leicht war, sich Anonymous anzuschließen – man brauchte sich bloß in einen IRC-Chatroom oder bei /b/ einzuloggen und an der Diskussion zu beteiligen –, kamen abermals Hunderte Mitstreiter dazu.

Dann fand Anonymous eine weitere Methode, Unruhe zu stiften. Im #marblecake-Chatroom hatte Housh einem Teammitglied, das sich vier Tage lang nicht gemeldet hatte, die Aufgabe übertragen, herauszufinden, aus wie vielen Städten und Ländern die Chat-Teilnehmer kamen. Als der Kundschafter sich zurückmeldete, hatte er 140 bis 145 verschiedene Chanology-Chatrooms gefunden, deren Teilnehmer aus insgesamt 42 Ländern stammten.

„Was machen wir nur mit all denen?“, fragte einer aus dem Team. Sie begannen das Internet nach früheren Aktionen von Scientology-Gegnern zu durchsuchen und stolperten über ein Video der Anti-Scientology-Aktivistin Tory „Magoo“ Christmar, die vor einem Scientology-Zentrum herumtanzte und Parolen rief. „Das ist lustig“, meinte ein Teammitglied. „Wir sollten das Internet in die Außenwelt bringen.“ „Genau, wir müssen die Leute auf die Straße bringen“, stimmte der französische Doktorand zu. Housh war allerdings dagegen; er und der Franzose debattierten drei Stunden lang, dann gab er nach und gestand ein, dass eine Konfrontation zwischen den Anons und der Öffentlichkeit in der realen Welt bestimmt amüsant wäre. „Wir dachten, der beste Streich, den wir Scientology spielen konnten, wäre ein Protest vor ihren Filialen“, erzählte Housh später.

Die Gruppe begann, das nächste Video zusammenzustellen, den „Ruf zu den Waffen“, und anschließend noch einen Verhaltenskodex, nachdem sich ein Greenpeace-Aktivist über IRC eingeschaltet und darauf hingewiesen hatte, dass die Demonstranten auf keinen Fall über die Stränge schlagen, Gegenstände gegen die Gebäude werfen oder Polizisten bedrängen durften. Housh wurde immer mehr in die Rolle eines Leiters gedrängt, der Aufgaben verteilte und die Diskussionen zum Thema zurückbrachte, wenn die Chat-Teilnehmer plötzlich über die Möglichkeit von Bombenanschlägen witzelten oder in eine Diskussion über ein Xbox-Spiel gerieten.

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