Hackernetzwerk Wie Anonymous Scientology in die Knie zwang

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Scientology fordert 100.000 Dollar

So nehmen Internet-Portale ihre Nutzer aus
Gegen die Portale des Internet-Unternehmens Unister, Betreiber populärer Websites wie ab-in-den-urlaub.de, fluege.de und Preisvergleich.de, werden immer wieder Vorwürfe laut. Zuletzt berichtet die Zeitschrift Computerbild von weitreichenden Manipulationen, um Nutzer über den Tisch zu ziehen. Laut Heise Online widerspricht das Unternehmen den Vorwürfen teilweise und geht rechtlich gegen den Bericht vor. Die Computerbild wiederum bleibt bei ihrer Darstellung. Im Folgenden ein Überblick über die Maschen von Abzockern im Internet. Quelle: www.fluege.de
Klickfallen bei der FlugbuchungNutzlose Services wie eine Umbuchungs-Option oder eine Reiseschutzversicherung auf Flugportalen sind vorausgewählt und müssen erst manuell abgewählt werden. Eine derartige „Opt-Out-Regelung“ bei Buchungen über das Internet sind nicht zulässig. Quelle: dpa
Frei erfundene PreissenkungenImmer wieder fallen einzelne Anbieter durch frei erfundene Preissenkungen auf. Das ist wettbewerbswidrig. Ein Sonderangebot muss auch eine echte Preissenkung sein, das Produkt muss also regulär zu einem höheren Preis zu haben sein. Ein weiterer Trick: Service-Gelder, die bei einer Buchung versteckt aufgeschlagen werden. Quelle: dpa
Frei erfundene GebührenIntransparenz beim Preis ist für manches Online-Flugbuchungsportal die Strategie, um bei Preissuchmaschinen den günstigen Preis vorzutäuschen. Im letzten Buchungsschritt wird teilweise eine willkürliche „Servicepauschale“ von 20 bis 30 Euro aufgeschlagen. Dabei sind Flughafengebühr und Mehrwertsteuer in dem Preis bis dato bereits eingerechnet. Quelle: dpa
Falsches FlirtenEinem aktuellen Bericht der Computerbild zufolge arbeitet ein großes Dating-Portal mit computergenerierten Profilen. Doch damit nicht genug: Tausende Nutzer würden gefälschte Flirt-Nachrichten erhalten, um sie zu weiteren Abo-Abschlüssen zu bewegen. Die Vorwürfe sind nicht neu: Gegen die Fake-Profile hatte der Konkurrent eDarling eine einstweilige Verfügung gegen das Portal Partnersuche.de von Unister erwirkt, in der dem Unternehmen untersagt wird, weiterhin gefälschte Mitgliederprofile anzulegen und damit echte Mitglieder anzuschreiben. Die falschen Flirt-Nachrichten hatten offenbar das Ziel, Nutzer zum Abschluss einer Premium-Mitgliedschaft zu animieren. Quelle: www.partnersuche.de

„Wie steht Anonymous zu Scientology?“, wollte einer wissen. „Welche Haltung hat die Bewegung?“ „Soviel ich weiß, hat Anonymous etwas gegen Scientology“, erwiderte Mettenbrink und erzählte von den aufgeregten Posts über einen Raid gegen Scientology auf 4chan und 7chan. „Die haben gesagt, wir sollen ihre Webseiten angreifen.“ Mettenbrink hatte sich nach den Angriffen über Scientology informiert und meinte jetzt, die Glaubenslehre der Sekte sei „komisch“, und sie fordere Hunderte Dollar an Mitgliedsgebühren. „Waren Sie an den DDoS-Attacken beteiligt?“, fragte einer der Agenten. Mettenbrink rutschte auf seinem Stuhl herum. „Eine Weile lang schon“, sagte er. Der Rechner, auf dem er die LOIC-Software installiert hatte, stand unten im Keller. „Hat Ihnen die Beteiligung daran ... Spaß gemacht?“ „Klar“, erwiderte Mettenbrink, der daran dachte, wie langweilig er das College gefunden hatte. „War mal was anderes. Hat schon Spaß gemacht.“ „Wussten Sie zur Tatzeit, dass Ihre Handlung einen Straftatbestand darstellt?“, fragte einer der Agenten. „Schon“, gab Mettenbrink zu. „Ich habe aber nicht geglaubt, dass deswegen gleich das FBI bei mir auftaucht.“ Er starrte die beiden Agenten an.

Mettenbrink hatte zwar gewusst, dass die Verwendung der LOIC nicht legal war, aber auch nicht gedacht, dass es sich dabei um ein ernsthaftes Vergehen handele, sondern sie mehr für ein Kavaliersdelikt gehalten, etwa wie das Überfahren einer roten Ampel, das mit einem Bußgeld von 100 Dollar abgetan war. Später wünschte er sich, er hatte den beiden Agenten nicht so viel erzählt. Die beiden erklärten Mettenbrink, die Ermittlungen des FBI hatten ergeben, dass eine der IP-Adressen, von denen der Angriff ausgegangen war, zu Mettenbrinks Internetanschluss gehörte. „Haben Sie das verstanden?“ „Ja.“ „Kennen Sie irgendein Mitglied dieser Gruppe im realen Leben?“ „Nein.“

„Die fordern 100.000 Dollar von Ihnen“

Die „freundliche Unterhaltung“ dauerte etwa eine Stunde und lieferte dem FBI und später den Anwälten von Scientology genug Material gegen den unglücklichen Mettenbrink. Später kontaktierte das FBI auch noch sein ehemaliges College und ging seine Internetprotokolle durch. Mettenbrink hörte monatelang nichts mehr vom FBI, und es dauerte noch ein Jahr, bis ihm sein Anwalt erklärte, wie ernst die Anschuldigungen gegen ihn waren. „Haben Sie eine Vorstellung, welchen finanziellen Schaden Sie laut Scientology angerichtet haben?“, fragte der Anwalt. Der junge Mann überlegte. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass da überhaupt ein finanzieller Schaden sein soll“, meinte er. Er hatte schließlich nur eine Webseite mit sinnlosen Anfragen überschwemmt, sodass sie ein paar Tage lang ein bisschen langsamer lief. Na und? „Die fordern 100.000 Dollar von Ihnen“, sagte der Anwalt. Mettenbrink fiel aus allen Wolken. Sein Angriff auf Scientology.org war ein spontaner Spaß gewesen, seine Waffe ein kleines, umsonst erhältliches Programm, das er im Hintergrund laufen lassen hatte, während er in einem Forum chattete. Wie konnte das 100.000 Dollar Schaden anrichten?

Scientology ging mit der Forderung schließlich auf 20.000 Dollar herunter. Die würde Mettenbrink zwar zahlen müssen, aber wenigstens waren es nicht mehr 100.000. Die Anwälte von Scientology in Los Angeles forderten außerdem eine zwölfmonatige Gefängnisstrafe, weil eine Bewährungs- oder Ersatzstrafe „andere dazu ermutigen konnte, das Internet für Hassverbrechen zu missbrauchen“.

Laut der Urteilsbegründung hatte Mettenbrink „beste Aussichten im Leben“ gehabt, weil er aus einer intakten Familie in Nebraska kam und seine Eltern ihm halfen, das Collegestudium zu finanzieren. Außerdem wurden ihm „besondere Begabungen“ für Computer und Hardware bescheinigt. Während der Verhandlung beschrieb ein Anwalt der Scientology die Anonymous-Gruppe mit Vokabeln wie „Nazis“ und „Terroristen“.

Am 25. Januar 2010, fast zwei Jahre nachdem er das LOIC-Tool heruntergeladen hatte, bekannte sich Mettenbrink vor einem Bundesgericht für schuldig, in einen geschützten Rechner eingedrungen zu sein, und musste für ein Jahr ins Gefängnis. Er war erst der zweite Angeklagte überhaupt, der für seine Beteiligung an einer DDoS-Attacke von Anonymous in Haft kam. Im November 2009 war der neunzehnjährige Dmitriy Guzner aus Verona, New Jersey, zu einem Jahr und einem Tag Freiheitsstrafe in einem Bundesgefängnis verurteilt worden.

Inzwischen mühten sich die IT-Sicherheitsexperten ab, diese neue Art Hacktivisten einzuordnen, die scheinbar aus dem Nichts gekommen war. Prolexic, die Sicherheitsfirma, die mit der Abwehr der DDoS-Attacken auf Scientology bereits einige Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt hatte, riet zukünftigen Opfern von Anonymous: „Wecken Sie keine schlafenden Hunde.“ Nach einem DDoS-Angriff solle man nicht darüber reden. „Wenn Sie die Angreifer über die Medien warnen oder bedrohen, hält es die Sache nur am Leben, macht die Täter wütend und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Angriffs. Die meisten DDoS-Angreifer suchen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, also helfen Sie ihnen nicht noch dabei.“ Was natürlich genau das war, was Scientology getan hatte.

Nur wenigen Beobachtern war klar, dass Anonymous sich mit der Reaktion auf die Provokationen von Scientology in zwei Lager gespalten hatte. Das war schon bei den Demonstrationen zu erkennen gewesen – auf einer Seite die mit scherzhaften Parolen bekritzelten Transparente, auf der anderen die Plakate mit ernsthaften Vorwürfen gegen Scientology. Hier zeigte sich ein fundamentaler Bruch zwischen denjenigen, die an den Ursprüngen von Anonymous festhalten wollten, nämlich Spaß und Lulz, und denjenigen, die sich als Aktivisten sahen. In den kommenden Jahren würde diese unterschiedliche Motivation die Identität von Anonymous noch schwerer erkennbar machen. Sie würde sogar einen Keil zwischen Topiary und Sabu treiben. Und während Chanology langsam ihr Leben aushauchte, betrat einer von Sabus größten zukünftigen Gegnern die Bühne.

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