Wer heute an Krebs leidet, bekommt meist nicht nur ein Medikament verschrieben, sondern einen ganzen Cocktail an Antitumorwirkstoffen. So hoffen die Ärzte, die tückische Krankheit zu stoppen. Ob der Patient allerdings eine Kombination erhält, die ihm wirklich hilft, die tödliche Krankheit zu bekämpfen, ist ziemlich ungewiss. Denn bisher kann kein Mediziner im Voraus sagen, welches Präparat für ihn das beste ist. Grund dafür ist, dass jeder Patient ebenso einzigartig ist wie seine Erbanlagen, die Gene. Zudem unterscheiden sich auch die Tumore genetisch, oft verändern sie sich sogar noch während der Behandlung mit einem Medikament oder während einer Bestrahlung.
Trotzdem könnte es ausgerechnet mithilfe der Gene in Zukunft gelingen, vorab die passenden Medikamente zu finden. Denn das Berliner Unternehmen Alacris Theranostics hat ein Computermodell entwickelt, das diese Prognosen ermöglicht.
Damit errechnen die Wissenschaftler, welche Wirkstoffkombination einem Patienten am besten hilft. Sie nutzen für ihren „ModCell“ genannten Simulator vor allem die genetischen Informationen des Kranken und seines Tumors, die sich heute für wenige 100 Euro bestimmen lassen. In das Modell sind Daten aus Genforschungsprojekten, Medikamentenstudien und eigene Erkenntnisse eingeflossen.
„Dies ist ein Beispiel, wie die jahrzehntelange Genforschung in eine lebensrettende praktische Anwendung übersetzt wird“, begeistert sich Innovationspreis-Juror Frank Mastiaux für die Alacris-Entwicklung. Der EnBW-Chef hält solch eine computergestützte Auswertung des aktuellen medizinischen Wissens für „einen ganz wesentlichen Zukunftstrend in der Medizin“. Die Jury erkor Alacris deshalb zum Sieger in der Kategorie Mittelstand.
Tatsächlich seien viele Krebsärzte sehr interessiert an einer solchen Vorhersagemöglichkeit, sagt Alacris-Geschäftsführer Bodo Lange. Immerhin könnte sie die Zahl der Menschen, die Krebs überleben, dramatisch erhöhen.
Heute sind viele moderne Tumormedikamente oft nur für eine bestimmte, genetisch genau charakterisierte Patientengruppe gedacht. Doch die Analyse aller Genfaktoren überfordert niedergelassene und Klinikärzte zunehmend. Und selbst wenn sich Ärzteteams in großen Kliniken extra zum Brainstorming zusammensetzten, könnten die Mediziner unmöglich all das Wissen im Kopf haben, das die 18-köpfige Alacris seit der Gründung 2008 in ihr virtuelles Patientenmodell gesteckt hat – und ständig noch neu hinzufüttert.
Klassische Medikamentenauswahl ähnelt deshalb eher Kaffeesatzleserei. Lange sagt: „Ärzte müssen anhand von bisherigen Erfahrungen und Wahrscheinlichkeiten aus veröffentlichten Studien Rückschlüsse auf Kranke ziehen. Wir dagegen können die individuellen molekularen Daten des Patienten und Tumors in unser Modell einspeisen und so maßgeschneiderte, personalisierte Vorhersagen treffen.“