Internet-Fernsehen Wird Netflix zum Opfer seines Erfolgs?

Seit Jahren treibt Netflix die TV-Welt vor sich her, mischt sie mit Eigenproduktionen auf. Doch nun stockt die Erfolgsgeschichte. Droht dem Pionier ein Schicksal wie Myspace, das von cleveren Nachahmern überrollt wurde?

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Netflix, Reed Hastings Quelle: dpa

Ein markanter Basslauf, dann ein klagender Trompetenstoß – ab diesem Wochenende wird diese prägnante Tonfolge wieder deutsche Wohnzimmer beschallen: Frank Underwood ist zurück beim Internetsender Netflix. Kenner wissen Bescheid, Fernsehheld Underwood, gespielt von Oscar-Preisträger Kevin Spacey, ist der ruchloseste US-Präsident, der je im Weißen Haus regierte, eine Machtmaschine, die als Hauptfigur der Politserie „House of Cards“ Zuschauer weltweit begeistert. Mit Spacey in einer Paraderolle bescherte der Intrigantenstadel aus Washington Netflix weltweit Ruhm – und einen Gutteil seiner mehr als 83 Millionen Abonnenten.

Wenn allerdings Underwood in der vierten Staffel wieder um die Macht am Potomac kämpft, ist er auch Synonym für den gefährlichen Zwiespalt, in dem sein Geldgeber steckt: Netflix hat „House of Cards“ zwar ins Leben gerufen und damit eine Revolution ausgerufen: Der Streamingdienst war der erste Plattformanbieter, der selbst ins Produzentengeschäft einstieg.

100 Millionen Dollar kosteten die ersten beiden Staffeln. Doch den Erfolg, der das Wagnis belohnt, muss das kalifornische Unternehmen mit anderen teilen: Viele deutsche Zuschauer haben die vierte Staffel längst gesehen. Denn Sky zeigte sie schon vor einem halben Jahr und profitierte dabei von alten Verträgen, weil Netflix die Senderechte außerhalb der USA zur Finanzierung der Serie vorzeitig versilbern musste.

Netflix – lange war das die Geschichte vom innovativsten Unternehmen der Fernsehbranche. Seit CEO Reed Hastings 2011 den DVD-Versender zur Streamingplattform für Filme umpolte, gibt es kaum einen Winkel im TV-Geschäft, in dem Netflix nicht schon kräftig durchgekehrt hätte. Neue Technologien, neue Formate und Serien wie Filme frei von Werbung und zu jeder Zeit weltweit verfügbar, detaillierte Kenntnisse über die Vorlieben seiner Zuschauer – Hastings nutzt die Möglichkeiten des Internets wie keiner vor ihm.

Doch nicht nur der verzögerte Start von „House of Cards“ in Deutschland zeigt, dass längst auch andere von Netflix’ Pioniergeist profitieren. Auf den Streamingzug, den die Kalifornier ins Rollen brachten, springen neben Sky und RTL in Deutschland weltweit immer neue Konkurrenten auf: von lokalen Angreifern mit mehr Service wie Pickbox in Osteuropa über Spezialisten wie dem Sportstreamer Dazn und der Hooq genannten Kooperation des Telekomriesen Singtel aus Singapur mit US-Studios in Ostasien bis hin zu globalen Giganten wie dem Onlineriesen Amazon.

Kann sich Netflix in der neuen TV-Welt, die es selbst erschaffen hat, obenauf halten? Oder droht das Schicksal von Netscape, Myspace und Co., die von cleveren Nachzüglern in der rasend schnellen Techbranche hinweggefegt wurden?

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Noch im Januar gab sich Hastings selbstbewusst und verkündete den bisher größten Strategieschwenk. Bis dahin war Netflix stets nur in zwei, drei neue Märkte pro Jahr vorgedrungen. 2016 aber stehen 130 neue Länder auf der Eroberungsliste – von Südkorea über Russland bis Indien. Bis zu fünf Milliarden Dollar sollen dafür 2016 in neue Produktionen fließen, die Kunden anlocken sollen wie einst „House of Cards“.

Das Problem: Wachstum und Gewinnmarge sackten von gut zehn Prozent pro Jahr auf gut zwei Prozent, und der Cashflow ist seit fast drei Jahren negativ. Die toxische Kombination, die den Aktienkurs zuletzt dramatisch einbrechen ließ, kann Hastings nur entschärfen, wenn seine teure Expansionsstrategie zügig aufgeht.

Die IFA, Europas wichtigste Unterhaltungselektronikmesse, wäre die perfekte Gelegenheit für einen machtvollen Auftritt des Fernsehrevolutionärs. Doch Netflix scheint sich Drängenderem widmen zu müssen und hat die geplante Technikdemonstration in Berlin kurz vor Messestart abgesagt – mit Verweis auf Terminprobleme bei den Referenten aus dem Topmanagement.

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