In Deutschland ist es dagegen immer noch kurios, wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel in diesem Jahr Twitter entdeckt oder mit Peter Altmaier gar ein twitternder Politiker zum Minister berufen wird. Deswegen flogen deutsche Politiker in Scharen über den Atlantik, um sich von den US-Wahlkämpfern einige Kniffe abzuschauen. "Wir werden im Bundestagswahlkampf stärker auf soziale Netzwerke und Internet-TV setzen", kündigt CDU-Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler an. Auch Matthias Machnig, derzeit Wirtschaftsminister in Thüringen, war Ende Oktober eine knappe Woche in den USA.
Der SPD-Politiker hat die Schröder-Kampagnen organisiert und mit der legendären Kampa-Wahlkampfzentrale erstmals Methoden des US-Stimmenfangs auf Deutschland übertragen. Nun berät er auch Peer Steinbrück.
Wenig Berührungspunkte
Dennoch wird das Internet hierzulande auch im kommenden Bundestagswahlkampf längst nicht die Rolle spielen, wie in den USA. SPD-Kandidat Steinbrück hat bereits angekündigt, soziale Netzwerke weiterhin zu meiden, und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird wohl die Kommunikation via SMS den gleich langen öffentlichen Twitter-Kurznachrichten vorziehen.
"Die meisten Kandidaten haben wenig Berührungspunkte mit dem Internet oder sogar Berührungsängste", sagt Nico Lumma, einer der führenden Social-Media-Experten in Deutschland. Wer sein Publikum erreichen wolle, müsse akzeptieren, dass eine eigene Dynamik entsteht. "Doch dieses Loslassen ist in Deutschland extrem schwierig", sagt Lumma.
Ganz anders dagegen Obama, der reihenweise neue Plattformen ausprobierte. Bei Reddit beantwortete der Präsident Nutzerfragen, in seinem Tumblr-Blog teilten Unterstützer besondere Wahlkampf-Fotos, und in dem vor allem bei Frauen beliebten Bildernetzwerk Pinterest postete seine Frau Michelle Rezepte – Süßkartoffelsuppe oder gegrillte Pfirsiche auf Joghurt.
Das mag banal klingen, doch auch scheinbar belanglose Infohäppchen haben eine wichtige Funktion. „Es geht darum, die Basis zu motivieren und Gesprächsstoff zu liefern“, erklärt Geoffrey Skelley, Politikwissenschaftler an der University of Virginia. „Die Nutzer sollen so motiviert werden, im Freundeskreis über die Wahl zu sprechen – und ganz unverdächtig für Obama zu werben.“ Zudem präsentiert sich Obama modern und zeigt dabei ein gutes Gespür dafür, welche Angebote gerade massentauglich werden. „Obama ist ein Indikator dafür, wann Internet-Dienste ihre jeweilige Nische verlassen“, sagt der Internet-Experte Martin Weigert.