Koenzens Netzauge

Carrier, bleib bei deinen Leisten

Mehr Smartphones, mehr Streaming: Die Mobilfunker suchen Wege, den steigenden Bandbreitenbedarf durch mobile Datendienste zu befriedigen. Weil 5G noch weit ist, greift die Industrie nach den WLAN-Frequenzen. Das ist gefährlich.

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Die Provider suchen dringend nach Wegen, den rasant steigenden Bandbreitenbedarf durch mobile Datendienste zu befriedigen. Quelle: dpa

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass die WLAN-Welt gehörig ins Wanken geriet. Auf dem Mobile World Congress 2015 stellten die Chiphersteller erstmals ihre Pläne für die nächste Ausbaustufe von LTE vor. Im Zentrum des neuen LTE-LAA (License Assisted Access): lizenzfreies Spektrum im 5 GHz-Band, heute genutzt von vielen WLAN-Netzen.

Konkret sieht LTE-LAA vor, Daten nicht nur über die üblichen, lizenzierten, Bänder zu übertragen, sondern gleichzeitig Frequenzen im lizenzfreien 5 GHz-Band zu belegen. Das Modell bringt mehr Bandbreite, ist also für die Mobilfunker hoch attraktiv.

Auch finanziell. Denn während die Provider üblicherweise in milliardenschweren Auktionen neue Frequenzblöcke ersteigern müssen, ist das 5 GHz-Band kostenlos.

Deutschland hat keine Ahnung vom Internet
Laut einer Studie der Internationale Fernmeldeunion (ITU) haben 4,3 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zum Internet oder zu Handys, ein Großteil von ihnen lebt in Entwicklungsländern. Besonders in Afrika mangelt es an der Verbreitung der modernen Technik, wie der Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex der ITU zeigt. Internationales Schlusslicht ist die Zentralafrikanische Republik auf Platz 166. Allerdings steigt in den Entwicklungsländern die Verbreitung rasant: 2013 stieg die Verbreitung um 8,7 Prozent - in den Industrienationen waren es dagegen nur 3,3 Prozent mehr. Und einige der Industriestaaten könnten durchaus noch Nachhilfe gebrauchen. Quelle: AP
So schafft es Deutschland nur auf Platz 17, was die Zugänglichkeit und die Nutzung von Internet und Handys sowie die Kompetenz der Bevölkerung im Umgang mit der Technik angeht. In der Bundesrepublik hapert es jedoch nicht nur an der flächendeckenden Versorgung mit schnellen Internetanbindungen. Bereits im Jahr 2012 hat eine Studie von Eurostat den Deutschen in Sachen Computerkenntnisse kein gutes Zeugnis ausgestellt. Und daran hat sich bis dato nicht viel geändert. Nur 58 Prozent der Deutschen haben mittlere bis gute PC-Kenntnisse. Und selbst die Digital Natives, die mit Computern, Internet und Handy groß geworden sind, gehen nicht automatisch kompetent mit den neuen Medien um. Zu diesem zentralen Ergebnis kommt eine weltweite Studie zu den Computer- und Internetkenntnissen von Achtklässlern. Quelle: dpa
Doch selbst die USA - Heimatland von Google, Facebook, Microsoft, Twitter & Co. - wurden von der ITU nur auf Platz 14 eingestuft. Im kommenden Jahr könnten sich die USA jedoch hocharbeiten. Dann nämlich sollen zumindest in New York alte Telefonzellen durch kostenlose Wifi-Stationen ersetzt werden. Fehlen nur noch die ländlichen Regionen versorgt. Quelle: dpa
Österreich und die Schweiz landen im weltweiten Internet-Ranking auf den Plätzen zwölf und 13. Auch bei der „International Computer and Information Literacy Study “ (ICILS) schnitten Österreich und die Schweiz besser ab, als Deutschland. Die Schüler aus den Nachbarstaaten taten sich leichter, einfache Textdokumente am Computer zu erstelle oder eigenständig Informationen zu ermitteln (Kompetenzstufen III und IV). Von den deutschen Schüler erreichte dagegen nur jeder Dritte die untersten Kompetenzstufen I und II: Das bedeutet, dass viele deutsche Jugendlichen gerade einmal über rudimentäres Wissen und Fertigkeiten beim Umgang mit neuen Technologien verfügt. Sie konnten etwa einen Link oder eine E-Mail öffnen. Quelle: AP
Besser als die deutschsprachigen Länder schnitten dagegen Japan (Platz elf), Luxemburg (Platz zehn), Hongkong (Platz neun) und Finnland (Platz acht). Quelle: dapd
Selbst unsere Nachbarn im Westen sind in puncto Verbreitung und Kompetenz deutlich besser aufgestellt: Mit einem Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex von 8.38 kommen die Niederlande auf Platz sieben und sind damit zehn Plätze vor Deutschland mit einem Index von 7,90. Quelle: AP
Auf Platz drei liegt Schweden mit einem Index von 8.67 vor Island (8.64), Großbritannien (8.50) und Norwegen (8.39). Quelle: REUTERS

Kein Wunder also, dass die Mobilfunker ihre Pläne mit hohem Tempo vorantreiben. So soll der LTE-LAA Standard noch in diesem Jahr durch das 3GPP (3rd Generation Partnership Project) verabschiedet werden. Die ersten Produkte soll es laut Chiphersteller Qualcomm dann in 2017 geben. Und auch die ersten Live-Tests hat es bereits gegeben.

Es wird eng im WLAN-Band

Nun muss man kein Physiker sein, um angesichts der Pläne nervös zu werden. Funk ist grundsätzlich ein „Shared Medium“. Je mehr Teilnehmer sich also in einem Frequenzbereich – oder in einer Zelle – tummeln, desto weniger Bandbreite bleibt für jeden einzelnen übrig.

Was der neue Mobilfunk 5G leisten soll

Doch warum ist gerade das 5 GHz-Band so immens wichtig für uns WLAN-Nutzer?

Als vor rund 15 Jahren die ersten WLAN-Geräte auf den Markt kamen, funkten diese fast ausnahmslos im 2,4 GHz-Band. Das ging solange gut, bis die Welt das unglaubliche Potential der Drahtlosnetze für sich entdeckte und die WLANs nur so aus dem Boden sprießten. Schätzungen des Verbands der deutschen Internetwirtschaft e. V. (eco) zufolge wird die installierte Basis an WLAN-Geräten bis Ende 2017 weltweit die 20 Milliarden-Marke überschreiten. Und schon heute gibt es fast keinen Haushalt – und erst recht kein Unternehmen – mehr ohne eigenes Drahtlosnetz.

Von 1G bis 5G: Die Ahnengalerie der Netze

Gerade in Ballungsgebieten konnte man die Folgen sehr genau beobachten: Die Netze fingen an sich zu stören, die Masse der WLAN-Clients sorgte für Staus in den Drahtlosnetzwerken und weitere fremde Störquellen wie Mikrowellen, Bluetooth und andere, die auch im 2,4 GHz-Band funkten, taten ihr Übriges. Ein zuverlässiger Funkbetrieb wurde immer schwieriger.

Also wichen immer mehr WLAN-Nutzer auf das zweite WLAN-Band aus: den 5 GHz-Bereich. Dieses Band ist unter anderem deshalb hochattraktiv, weil es noch recht wenig genutzt und weitgehend frei von fremden Störquellen ist.  Es ist heute der Garant schlechthin für ein zuverlässiges Funktionieren eines Wireless LAN.

Das würde sich mit der Einführung von LTE-LAA schlagartig ändern.

LTE-LAA: Die große Unbekannte mit Störfaktor

Auch wenn die Chiphersteller nicht müde werden, zu betonen, dass LTE-LAA bestehende WLAN-Netze im 5 GHz-Band nicht beeinträchtigen würde, sind Zweifel angesagt. Denn wir müssen davon ausgehen,  dass die Carrier so viel Datenverkehr wie nur irgendwie möglich auf das 5 GHz-Band auslagern werden, sobald es ihnen technologisch möglich ist.

Wo das Internet am schnellsten ist
Platz 10: FinnlandInternetnutzer in Finnland surfen mit durchschnittlich 7,1 Megabits pro Sekunde. Damit landet Finnland auf Platz 10 der Rangliste des IT-Unternehmens Akamai, das sich darauf spezialisiert hat, Web-Inhalte zu beschleunigen. Zum Vergleich in Deutschland sind Surfer im Schnitt mit sechs Megabits pro Sekunde unterwegs. Quelle: dapd
Platz 9: SchwedenIm Nachbarland Schweden surfen die Internetnutzer laut Akamai ein wenig schneller als ihre finnischen Nachbarn. Mit 7,3 Megabits in der Sekunde belegt Schweden den neunten Platz. Quelle: dpa
Platz 8: USADie Heimat von Microsoft, Apple und Google ist zwar in den Top 10 der Länder mit der schnellsten Internetverbindung vertreten – allerdings mit dem achten Platz relativ weit hinten. 7,4 Megabits pro Sekunde beträgt hier die Durchschnittsgeschwindigkeit im Internet. Quelle: dpa
Platz 7: TschechienTschechien ist auf dem siebten Platz vertreten. Mit  0,7 Megabits in der Sekunde hat unser Nachbarland die Internet-Macht USA deutlich überholt – und bietet seinen Nutzern damit eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 8,1 Megabits pro Sekunde. Quelle: dpa
Platz 6: NiederlandeUnsere niederländischen Nachbarn haben es beim Internetsurfen noch etwas komfortabler: 8,6 Megabits pro Sekunde beträgt die durchschnittliche Internetgeschwindigkeit. Quelle: dpa
Platz 5: SchweizDen Schweizern wird ja gerne unterstellt, dass sie es eher gemütlich angehen lassen. Doch im Internet sind unsere Nachbarn schnell unterwegs. Mit durchschnittlich 8,7 Megabits pro Sekunde landet das Alpenland auf Platz 5 der Akamai-Rangliste. Quelle: dpa
Platz 4: LettlandEine Durchschnittsgeschwindigkeit von 8,9 Megabits in der Sekunde bietet Lettland seinen Internetsurfern. Damit belegt das baltische Land den vierten Platz. Quelle: dpa

Die Folge wäre ein „LTE-Dauerfunker“, der das Frequenzband in Spitzenzeiten durchgängig belegen und das Versprechen der Chiphersteller, ein faires Miteinander zu gewährleisten (Fair Sharing) ad absurdum führen würde. Gerade für Unternehmen würde damit eine störungsfreie und zuverlässige Nutzung des 5-GHz Frequenzbandes für ihre eigenen Netze praktisch unmöglich.

Zugegeben: Wie groß diese Gefahr tatsächlich ist, lässt sich schwer einschätzen. Weder bei dem Live-Test in Deutschland – noch während des Entwicklungsprozesses von LTE-LAA – wurde die WLAN-Industrie aktiv eingebunden. Das ist umso erstaunlicher, als es gerade die WLAN-Nutzer sind, für die hier am meisten auf dem Spiel steht.

Anstieg des Datenverkehrs pro Gerät bis 2017

LTE & WLAN: Gemeinsam geht's

Es gibt aber durchaus Wege, wie die Provider kurzfristig mehr Bandbreite schaffen können, ohne die Existenz und den weiteren Ausbau der WLAN-Infrastruktur hierzulande zu gefährden. Und auch hierbei spielt WLAN eine zentrale Rolle.

Das Konzept ist simpel: Statt auf LTE-LAA zu setzen, könnten die Carrier an neuralgischen Punkten und in Ballungsgebieten eigene WLAN-Hotspots aufbauen. Kommt ein Smartphone in Reichweite, wird der mobile Datenverkehr automatisch über den breitbandigeren Hotspot transportiert.

Die Technologie dahinter ist auf Basis eines ratifizierten Standards verfügbar und sofort einsatzfähig. Mit  IEEE 802.11u – auch bekannt als Hotspot 2.0 oder Passpoint  – werden die Nutzer über ihre SIM-Karten automatisch im Hotspot authentifiziert und müssen sich nicht anmelden. Der gesamte Datenverkehr findet verschlüsselt statt, so dass für ein Höchstmaß an Sicherheit gesorgt ist.

Die Infrastrukturinvestitionen  für die Hotspots hielten sich in Grenzen (zumal auch LTE-LAA neue Hardware erfordern dürfte!), die Bandbreite würde massiv erhöht. Mobilfunk bliebe Mobilfunk und wilderte nicht im WLAN-Spektrum – und die friedliche Koexistenz dieser beiden für die weitere Digitalisierung unseres Landes so immens wichtigen Technologien würde gewahrt. Mehr noch: sie würden sich ideal ergänzen!

Es ist unverständlich, dass diese Alternative so wenig in Erwägung gezogen wird.

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