Mentor im Display Warum Sprachapps jetzt auf echte Lehrer setzen

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Genmanipuliert, genetisch modifiziert?

Während die Deutschen mit deutlich negativem Unterton etwa von „genmanipuliert“ sprechen, wählen die Franzosen die neutralere Beschreibung „genetisch modifiziert“. Die Amerikaner, generell weitaus offener für technische Neuerungen aller Art, reden lieber von „genetically engineered“.

Sprache entstehe eben immer im kulturellen Kontext, sagt Rüschoff. Deswegen bezweifelt er, dass die viel gepriesenen Chatbots – automatisierte Gesprächspartner, wie sie etwa das Start-up Duolingo anbietet – in naher Zukunft schon als Lehrer taugen.

Computer sind schließlich gut in Logik, aber mit den weitaus komplexeren Situationen des menschlichen Miteinanders oft genug überfordert. Und sie können noch nicht so viel, wie die Unternehmen gerne anpreisen. Ein Mitarbeiter von Rüschoff etwa hat kürzlich mit einem Chatbot sein Mandarin verbessern wollen. Doch der Roboter hatte selbst noch Nachholbedarf: Er verstand nicht einmal die Freundin des Mitarbeiters – und die ist Chinesin.

Warum Sprachen lernen so schwer ist
Sprache liegt in den menschlichen Genen. Als Baby lernt man seine Muttersprache im direkten Umfeld, vor allem durch die Eltern, deren Sprache instinktiv imitiert wird. Dass dies eine menschliche Spezialität ist, zeigt die Beobachtung: Während Babys die Sprache ihres Umfelds übernehmen, lernen Hunde oder Katzen diese nicht. Es bedarf also einer biologischen Grundlage. Die Sprache, die man als Kind zuerst lernt, hat einen Einfluss auf das Lernen weiterer Sprachen. Das Gehirn versucht bei jeder weiteren, bekannte Vokabeln und Grammatik anzuwenden. Aus diesem Grund ist es oft einfacher, eine Sprache der gleichen Sprachfamilie zu lernen. Quelle: dpa
Beim Lernen von Fremdsprachen sind Erwachsene Kindern gegenüber deutlich im Vorteil. Dies hat sowohl biologische als auch geistige Ursachen. Im Laufe des Alterungsprozesses nimmt die Formbarkeit des Gehirns nach, Nervenzellen und Synapsen werden langsamer produziert. Zudem unterscheidet sich der Prozess der Problemlösung bei Erwachsenen und Kindern: statt intuitiv an das Lernen heranzugehen, nutzen Erwachsene oft feste Strukturen. Quelle: dpa
Sprachforscher sind sich einig, dass Wiederholung ein Schlüssel zum Lernen von Fremdsprachen ist. Wörter und Phrasen sollten regelmäßig geübt werden, erst in kurzen, später in größeren Zeitabständen. Eine bewährte Methode ist die Nutzung von Vokabelkarten. Diese können sich in einzelne Zeitabstände eingeordnet werden. Hat man auch nach Wochen die Vokabel noch im Gedächtnis, kann die Karte ein Fach weiter eingeordnet werden. Quelle: dpa
Schlaf trägt dazu bei, die Erfahrungen des Tages in eine für das Gehirn brauchbare Struktur zu bringen, wie eine Studie der Universität Berkeley ergeben hat. Selbst Nickerchen unterstützen das Gehirn dabei, Gelerntes ins das Langzeitgedächtnis zu bringen. Ist es dort einmal angekommen, lässt sich die Erinnerung durch wiederholtes Lernen verstärken. Quelle: obs
In Sprachkursen orientiert sich der Lernplan üblicherweise an der Sprache selbst. Eine Studie der Universität Cambridge hat eine Gruppe von Schülern untersucht, die Französisch lernen. Das Ergebnis: Die Studenten waren deutlich motivierter, wenn sie statt der Sprache selbst ein beliebiges anderes Fachgebiet in Französisch behandelten. Wer die Grundlagen einmal verinnerlicht hat, kann sich mit Literatur aus dem eigenen Interessensgebiet beschäftigen oder Podcasts hören, um schneller zu lernen. Quelle: dpa
Um den gewünschten Lernerfolg zu erzielen ist es hilfreich, große Aufgaben in kleinere Etappen aufzuteilen. Das menschliche Gehirn hat eine begrenzte Aufnahmekapazität, in der Nacht wird Gelerntes verarbeitet. Mit täglichen kleinen Lerneinheiten erhöht sich die Erfolgsquote. Quelle: dpa
Das menschliche Gehirn lechzt förmlich nach neuen Informationen – zu viele neue Wörter und Phrasen können es aber überfordern. Laut dem University College London macht es die Mischung. Wer neue Vokabeln lernen möchte, sollte diese zusammen mit bereits bekannten Vokabeln mischen. Dies lässt sie herausstechen und hilft dem Gehirn dabei, die neuen Informationen zu speichern. Quelle: dpa

Die Erkenntnis, dass der Mensch der bessere Lehrer ist, scheint nun also auch bei den Anbietern von Sprach-Apps angekommen zu sein: Auch eine der bekanntesten Anwendungen, Babbel aus Berlin, bietet seit August Video-Chats mit Muttersprachlern – wenn zunächst auch nur in speziellen Lernprogrammen fürs Berufsleben, etwa um sich auf ein Bewerbungsgespräch vorzubereiten. Man wolle dieses Angebot allerdings ausbauen, heißt es bei dem Berliner Unternehmen. Auch andere der 14 Sprachen, die man bei Babbel lernen kann, sollen dann von Menschen statt nur von der Maschine unterrichtet werden. Bei Konkurrent Busuu kann man zudem seine Schreib- und Sprechübungen an Muttersprachler schicken. Auch dort plant man weitere Investitionen.

Scott Chacons Chatterbug ist zunächst zwar mit Deutsch gestartet – und umgarnt damit vor allem die englischsprachigen Expats, von denen allein in Berlin mehrere Zehntausend leben. Englisch, Französisch und Spanisch sollen aber zügig folgen. Eine Grundlage erarbeitet man sich im Selbststudium: mit Lernkarten für Vokabeln, Grammatik-, Schreib- sowie Leseübungen. Anschließend kann man die Termine für Videokurse bei den Muttersprachlern zur Vertiefung je nach Bedarf vereinbaren.

Linguist Rüschoff glaubt indes, dass es selbst bei Bildschirmen eine gewisse Barriere gibt: „Da stoßen Sie irgendwann an Grenzen. Es braucht die menschliche Komponente.“ Vielleicht setzt sich auch diese Erkenntnis eines Tages selbst bei in Technik vernarrten Entwicklern wie Chacon durch. Er selbst lernt derzeit mit Chatterbug Deutsch – und sieht im Faktor Mensch sogar noch einen Vorteil: Schüler zeigten mehr Disziplin, wenn sie sich mit einem Menschen statt nur mit einer Maschine zum Unterricht treffen. Einen Menschen versetzten die Lernenden nicht so einfach wie einen Computer, sagt der Mann aus dem Valley.

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