Die Zukunft der Kommunikation beginnt an ganz erstaunlichen Orten. Zum Beispiel in den Weinbergen über dem Dörfchen Bremm bei Cochem an der Mosel.
In Betonwürfeln nahe der Autobahn 9 bei Nürnberg.
Oder in einer Maschinenhalle am Rand von Aachen, in der Roboter Plastikwürfel bedrucken und in zigarettenschachtelgroße Kartons verpacken.
Was diese drei Orte eint: Dort testen Forschungsinstitute, Netzausrüster und Kommunikationskonzerne Technik, die die Mobilfunkwelt radikaler verändern wird als jedes Update zuvor.
Was der neue Mobilfunk 5G leisten soll
Bis zu 100 Mal größer: 5G soll ganz neue Formen der Unterhaltung ermöglichen, wie Videospiele mit virtuellen Realitäten – und Computerbrillen für 3-D-Videos mit lebensechter 4-K-Auflösung.
10 Mal effizienter: Heute ist Strombedarf einer der größten Kostentreiber im Mobilfunk. Künftig müssen Infrastruktur und Endgeräte drastisch weniger Energie verbrauchen – und im Idealfall bis zu zehn Jahre ohne Batterietausch funken.
1000 Mal höher: Wenn Mobilfunk künftig auch Sensoren in Parkuhren, Ampeln, oder Pkw-Stellplätzen vernetzen soll, müssen Funkzellen mit der 1000-fachen Zahl von Geräten kommunizieren können.
10 bis 100 Mal schneller: Damit autonom fahrende Autos einander rechtzeitig Notbremssignale geben können, muss das Funknetz Befehle in weniger als zehn Millisekunden übermitteln. Heutige Netze brauchen mindestens 100 Millisekunden.
Bis zu 1000 Mal verlässlicher: Heute nerven Verbindungsabbrüche nur. Im Internet der Dinge wird es zum unkalkulierbaren Risiko, wenn der Funk zickt. Dann drohen der Stillstand von Maschinen oder gar tödliche Unfälle mit Robotern.
Denn es geht um eine neue, umfassende Form der Vernetzung – und einen der wichtigsten Technologietrends der kommenden Dekade: das Internet der Dinge. Das Kürzel, das die Kommunikationswelt elektrisiert, heißt 5G. Es steht für die fünfte Generation des Mobilfunks. Sie wird Topthema beim Mobile World Congress in Barcelona sein, der wichtigsten Messe der Kommunikationsindustrie. Denn 5G wird im Vergleich mit der heutigen Technik:
- 1000-mal mehr Gesamtkapazität haben,
- Nutzern bis zu 100-mal mehr Up- und Downloadtempo bieten,
- pro Funkzelle das 100-Fache an Endgeräten erreichen,
- zehnmal schneller auf Anfragen reagieren,
- zehnmal energieeffizienter arbeiten,
- bis zu zehn Jahre Gerätebetrieb ohne Batterietausch erlauben,
- um den Faktor 1000 stabiler sein.
Das ist weit mehr als nur ein noch schnelleres Handynetz. In Wirklichkeit markiert die Zukunftstechnik den Bruch mit allen Formen des Mobilfunks seit Start der D- und E-Netze in den Neunzigerjahren. „5G wird weltweit nicht bloß Hunderte von Millionen Menschen vernetzen“, sagt Frank Fitzek, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze an der Technischen Universität Dresden. „Künftig geht es darum, global Hunderte Milliarden von Maschinen zu verbinden – und das in Echtzeit.“
1,4 Billionen Dollar in Technik für Funknetze bis 2020
Mobilfunk wird zum universellen Übernetz für alles und jedes. Es geht um einen gigantischen Markt. Bis 2020 prognostiziert der Mobilfunkverband GSMA weltweit Investitionen von 1,4 Billionen Dollar in Technik für Funknetze. Das Volumen wird sich vervielfachen, wenn 5G dann Abermilliarden Maschinen zum Internet der Dinge verknüpft. Nach groben Schätzungen wird jeder der deutschen Netzbetreiber pro Jahr rund zwei Milliarden Euro in den Aus- und Umbau seiner Netze für 5G stecken.
Die Technik dafür soll bereits in wenigen Jahren marktreif sein: Südkorea plant erste Netztests schon 2018, während der Olympischen Winterspiele dort. 2020 sollen alle Standards verabschiedet sein. Als erstes Land will Japan dann zu seinen Olympischen Sommerspielen erste kommerzielle Netze starten. Weitere Staaten und Netzbetreiber wollen folgen, auch Deutschland.
Einer jener Orte, an denen dieser Wandel plötzlich sehr greifbar wird, ist das 5G-Lab Germany in Dresden. Dessen Arbeit koordinieren Frank Fitzek und sein Kollege Gerhard Fettweis, zwei der weltweit renommiertesten Forscher in der Mobilfunkbranche. Beide steuern ein europaweit einzigartiges Kompetenzzentrum: Mehr als 600 Experten aus 20 Disziplinen arbeiten dort mit mehr als 50 Industriepartnern am Kommunikationsnetz der nächsten Dekade.
Das Dresdner Labor ist nur einer von mehreren deutschen 5G-Hotspots. Zwar werden hierzulande seit Jahren keine Handys mehr gebaut, einstige Branchenriesen wie Siemens haben ihr Kommunikationsgeschäft längst ausgegliedert. Aber als Forschungsstandort ist Deutschland erste Wahl. Auch alle führenden Netzausrüster sind hier präsent, mit zusammen mehr als 1000 Spezialisten; Ericsson in Herzogenrath bei Aachen, Nokia und Huawei in München.
Rennen um die Technologieführerschaft wieder offen
Allein diese Ansammlung von Wissen rund um die neue Technik zeigt: Sie ermöglicht nicht nur einen neuen Mobilfunk, sie mischt auch die Machtverhältnisse im Mobilfunkmarkt neu.
Denn wenn es plötzlich in erster Linie darum geht, per Mobilfunk selbstfahrende Autos, funkende Weinberge oder Medizinroboter statt nur Menschen zu verbinden, ist plötzlich in der Kommunikationswelt Know-how der Maschinenbauer gefragt, der Autohersteller, Sensorspezialisten und der industriellen Softwareentwickler – Kompetenzen der wichtigsten deutschen Industrien.
Von 1G bis 5G: Die Ahnengalerie der Netze
1960: A-C-Netze
Mit der ersten Generation wurde die Autotelefonie möglich.
1990: GSM-Netz
Durch das GSM-Netz konnten unter anderem folgende Funktionen genutzt werden: digitaler Mobilfunk, SMS und E-Mail.
2000: UMTS-Netz
Die 3. Generation schaffte die Voraussetzung für die Nutzung von mobilem Internet und Apps.
2010: LTE-Netz
Mit dem LTE-Netz wurde die Möglichkeit zur Nutzung von Breitband-Mobilfunk und Video eingeräumt.
2020: Internet der Dinge
Das Internet der Dinge soll die Voraussetzungen für vernetzte Maschinen und Gaming schaffen.
Schien Europa gegenüber den USA und Asien im Wettlauf um die Technologieführerschaft im umsatzträchtigen Markt der drahtlosen Netze abgeschlagen, ist das Rennen jetzt wieder offen. Mehr noch, die nächste Funkgeneration wird auch das Machtverhältnis zwischen den Internetkonzernen, von Amazon und Facebook bis Google und Microsoft, und den Netzbetreibern neu austarieren.
„Wir haben gute Chancen, dieses Mal Trends zu setzen und Standards zu definieren“, sagt Bruno Jacobfeuerborn. Der 56-Jährige ist Cheftechnologe der Deutschen Telekom. Und als Chairman der Next Generation Mobile Network Alliance (NGNM) einer der wichtigsten Netzarchitekten auf Betreiberseite. Zur Allianz mit Sitz in Frankfurt zählen fast 30 Mobilfunkkonzerne; sie legt die genauen Anforderungen an 5G fest.
„Die Nähe zu Industrie, Maschinenbau, Autoherstellern – den wichtigsten Zielgruppen für die künftigen Netze – ist eminent wichtig“, sagt auch Walter Weigel. Bis Frühjahr 2015 war er bei Siemens für Industriekooperationen verantwortlich. Heute ist er Vizechef des Europäischen Forschungsinstituts von Huawei. Der chinesische IT-Riese betreibt in München eines seiner wichtigsten Antennenlabors und ein 5G-Entwicklungszentrum für Industrieanwendungen.
Unternehmen definieren 5G von Beginn an mit
Vernetzte Mobilität, digitale Medizin, die intelligente Fabrik – es sind solche Szenarien, die Unternehmen mit der nächsten Mobilfunkgeneration realisieren wollen. „Früher haben wir Ausrüster die Anforderungen mit den Netzbetreibern abgestimmt“, sagt Michael Meyer, Forschungsmanager im Eurolab des Netzausrüsters Ericsson in Herzogenrath: „Bei 5G definieren nun erstmals von Beginn an Branchenvertreter, Verbände und Industriegremien die kommende Kommunikationstechnik mit.“
Parallel dazu läuft längst die ganz praktische Entwicklung – etwa vernetzter Maschinen für die intelligenten Fabriken im Zeitalter von Industrie 4.0. So wie im Werkzeugmaschinenlabor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen (RWTH). Dort, nur ein paar Hundert Meter von der niederländischen Grenze entfernt, erproben Spezialisten vom Ericsson Eurolab und der Industrie mit Forschern der RWTH, wie sich die Maschinen sicher in Funknetze integrieren lassen.
Anstieg des Datenverkehrs pro Gerät bis 2017
Anstieg des Datenverkehrs pro Gerät bis 2019 (in Megabyte pro Monat)
Quelle: Cisco
+8691 MB
+3162 MB
+2948 MB
+338 MB
In einer simulierten Fabrik produzieren dort Roboter Würfel mit Werbebotschaften. Ein unsichtbarer Zaun aus Lichtschranken trennt den Arbeitsraum der Maschinen von den Laufflächen der Forscher. Damit die Roboter keine Menschen verletzen, die ihnen in die Quere kommen, müssten die Signale der Lichtschranken die Maschinen absolut verlässlich stoppen, sagt Ericsson-Forscher Meyer. „Klassischer Mobilfunk schafft das nicht.“
Gilt es heute als tolerabel, wenn ein Mobilfunknetz im Jahr bis zu 53 Minuten ausfällt, so soll es unter 5G nicht mal mehr als eine Drittelsekunde sein. Volker Held, Innovationsmanager beim Netzausrüster Nokia in München, beschreibt es so: Wenn es darum gehe, Produktionsmaschinen zu steuern, Notbremsbefehle von Auto zu Auto zu übertragen oder als Arzt per Telemedizin Roboter zu steuern, die Skalpelle führen, „muss die Verbindung funktionieren.“
Ganz andere Qualitäten zählen in einem weiteren Projekt: An der Mosel in der Nähe von Cochem bringt Funktechnik seit dem Frühjahr 2015 Rebstöcke von fünf Winzern ins Internet. Bei der Technik, die das Nürnberger Systemhaus MyOmega, der US-Chipriese Intel und Ericsson geliefert haben, geht es um Robustheit, Energieeffizienz und niedrige Betriebskosten.
Die Rechner verlassen die Rechenzentren
Im Projekt Tracovino – das Wortspiel verbindet Wein und Tracking – erfassen solarbetriebene Sensoren in den Weinbergen etwa von Kilian und Angelina Franzen Temperatur, Luft-, Boden- und Blattfeuchtigkeit sowie Sonnenstrahlung. Die Daten landen per Funk auf den Tablet-Computern der Winzer. So können die erkennen, ob nach heftigem Regen Pilzbefall droht oder bei Dürre Trockenstress. Tester Franzen hofft, dank Funk und Sensoren „viel gezielter als bisher spritzen und bewässern zu können“.
Für Industriekunden wie Klaus Fröhlich, Entwicklungsvorstand des Autobauers BMW, wiederum ist – neben der Stabilität der Netze – vor allem eins entscheidend: Damit Autos einander etwa vor Unfällen oder Eisglätte warnen können, müssen sie nicht nur ständig, sondern auch extrem schnell miteinander kommunizieren, sagt Fröhlich. „Ohne neue Netze geht das nicht. Auf dem Weg zum autonomen Fahren gehören Fahrzeugsensorik und 5G zusammen.“
Wie alle deutschen Hersteller schickt daher auch Fröhlich seine Entwickler mit Ingenieuren der Netzausrüster auf Probefahrten. Eine der wichtigsten Teststrecken ist die Autobahn 9, quasi ein asphaltiertes Labor.
Im November demonstrierten dort Telekom, Nokia, Autozulieferer Continental und das Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik, wie sie die Reaktionszeit des Netzes beim Datenaustausch um rund 90 Prozent verkürzen wollen. Dazu rüsteten sie Basisstationen an der Autobahn mit Computertechnik aus.
Wie das Internet der Dinge die Wirtschaftsleistung ankurbelt
Das Internet der Dinge schafft enormen Mehrwert – dank niedrigerer Kosten, höherer Gewinne, neuer Geschäftsmodelle und besserer Produkte. In diesen Sektoren winken 2025 im Vergleich zu 2015 weltweit die höchsten Zuwächse an Wirtschaftsleistung.
3,4 Billionen Euro bringt das Internet der Dinge in der Produktion.
Quelle: McKinsey
In den Städten könnte das Internet der Dinge um 1,6 Billionen Euro an Marktvolumen zunehmen.
Das prognostizierte Wachstum im Gesundheitswesen liegt bei 1,5 Billionen Euro.
Heute wandern die Daten noch über mehrere Netzknoten zu entfernten Rechenzentren, um die Fahrzeuge zu koordinieren. Das dauert. An der A 9 erledigen dies die Prozessoren in den garagengroßen Betonwürfeln. „Das Kommunikationsnetz wird zum flächendeckenden Rechenzentrum, die Datenverarbeitung wandert in die Basisstationen“, beschreibt Telekom-Technikchef Jacobfeuerborn den radikalen Umbruch.
Das hat Folgen, weit über die Mobilfunkwelt hinaus. „Der Übergang zum Internet der Dinge mit 5G kehrt den Megatrend zum Cloud Computing (Datenverarbeitung im Internet; die Red.) teilweise wieder um“, prognostiziert Mobilfunk-Professor Fitzek. Die Vorstellung, autonom fahrende Google-Autoflotten aus Cloud-Rechenzentren in den USA zu steuern, sei angesichts der langen Übertragungszeiten der Signale über die Transatlantikkabel illusorisch.
Für die Netzbetreiber wie Telekom oder Vodafone, die sich von den Internetkonzernen seit Langem in die Rolle des billigen Datentransporteurs gedrängt sehen, ist das eine gute Nachricht. „Mit 5G sitzt die Cloud nicht mehr im Rechenzentrum, sondern wandert ständig mit – von Funkmast zu Funkmast“, sagt Vodafone-Deutschlandchef Hannes Ametsreiter. „Damit eröffnen die intelligenten Netze der Zukunft auch Kunden und Betreibern ganz neue Geschäftsfelder.“
Robert Stumpf, Netzexperte bei der Unternehmens- und Technologieberatung Accenture, beschreibt das Risiko für Amazon, Google, Microsoft und Co. „Das bisherige Infrastrukturmodell mit seinen riesigen, abgelegenen Rechenzentren funktioniert im 5G-Zeitalter bei zeitkritischen Anwendungen nicht mehr.“ Das hebe die Chancen der Netzbetreiber, „ihre Wertschöpfung auszubauen und die Margen zu steigern“.
Den Internetriesen scheint die Gefahr für ihr lukratives Cloud-Geschäft durchaus bewusst zu sein. Längst investieren sie Millionen in die Entwicklung eigener Funksysteme. Facebook etwa hat vergangenen Sommer Aquila vorgestellt – eine riesige solarbetriebene Drohne. Sie soll drei Monate in der Luft bleiben und ganze Landstriche mit Internet versorgen. Google entwickelt im Projekt Loon ebenfalls fliegende Funkstellen in Form von Ballons und testet unter dem Codenamen Skybender im US-Bundesstaat New Mexico spezielle Drohnen und Empfangstechnik am Boden für 5G-Mobilfunkfrequenzen.
Viel Zeit bleibt den Europäern also nicht, wollen sie nicht erneut ins Hintertreffen geraten. Nokia-Innovationsmanager Held fordert daher, rasch auch in Europa ein fixes Startdatum für das Übernetz festzulegen, so wie die Koreaner und Japaner. Den perfekten Zeitpunkt hat er schon: „2020 findet, einen Monat vor den Olympischen Spielen in Japan, die Fußballeuropameisterschaft in 13 europäischen Städten statt. Gibt es einen besseren Startschuss für 5G?“