Die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs, dass Google bestimmte Suchergebnisse entfernen muss, ist in seiner Deutlichkeit überraschend. Noch irritierender sind jedoch die Reaktionen.
Sicher ist es zu begrüßen, wenn auf europäischer Ebene der Rechtsrahmen abgesteckt wird, in dem sich US-Konzerne bewegen müssen. Doch der konkrete Fall ist genau das falsche Beispiel für Jubelstürme.
"Google kann nicht einfach seine Hände in Unschuld waschen, wenn es auf Internet-Seiten mit falschen oder kompromittierenden Daten verweist", schreibt SZ-Redakteur Heribert Prantl. Doch es geht eben nicht um falsche Behauptungen, böse Gerüchte oder Ähnliches.
Was das Google-Urteil für Nutzer bedeutet
Die Richter erklärten, Suchmaschinen wie Google seien für die Einhaltung des Datenschutzes verantwortlich. Sie müssen Links zu Webseiten mit persönlichen Daten aus ihren Ergebnislisten entfernen, wenn diese die Rechte eines Betroffenen verletzen, weil sie etwa nicht mehr relevant oder überholt sind. Das können Zeitungsartikel, Gerichtsurteile oder andere Dokumente sein. Im konkreten Fall darf Google nach Ansicht der Richter bei der Suche nach dem Namen einer Person keinen Verweis auf eine Zwangsversteigerung anzeigen, die 15 Jahre her ist. Das gilt auch dann, wenn die Information korrekt ist und die Original-Webseite nicht gelöscht wird. Die Richter machen zudem klar, dass europäisches Recht auch dann gilt, wenn sich ein US-Anbieter auf dem europäischen Markt bewegt. Datenschützer sehen dies als großen Sieg.
Sie erhalten mehr die Kontrolle über personenbezogene Informationen - selbst wenn die Daten aus öffentlichen Quellen stammen. Bisher hatte der Verbraucher es sehr schwer, Links löschen zu lassen, weil Google & Co bestritten haben, für die Verarbeitung von Daten zuständig zu sein. In ähnlichen Fällen gab es in der Vergangenheit lange Rechtsstreitigkeiten. Allerdings: Die Informationen wären damit nicht aus dem Netz verschwunden, sondern nur schwerer auffindbar.
Die Antwort ist denkbar einfach: In dem sie sich selber regelmäßig googeln. Das gilt nicht nur für Personen des öffentlichen Lebens sondern auch für Otto Normalbürger. Denn auch bei Peter Müller aus der Bahnhofstraße können in den Google-Suchergebnissen unliebsame Links oder Fotos auftauchen.
Wer betroffen ist, muss als erstes versuchen, sein Recht auf das „Vergessen“ und Löschen direkt bei Google oder anderen Betreibern durchzusetzen. Kommt Google der Bitte auf Entfernen aus der Ergebnisliste nicht nach, muss der Verbraucher sich laut Urteil bei den „zuständigen Stellen“ beschweren. Das sind die nationalen Datenschutzbehörden. Da Google in Deutschland eine Niederlassung in Hamburg hat, wäre in Deutschland der Hamburger Datenschutzbeauftragte der richtige Ansprechpartner. Bringt das keinen Erfolg, kann der Betroffene vor Gericht klagen.
Das ist schwer zu sagen. Rechtsexperten und Datenschützer erwarten wegen des Löschanspruchs eine Klagewelle. Ob dies durchzusetzen ist, beantwortet der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht so: „Ich hoffe, dass dieses Urteil von allen so respektiert wird, auch vom betroffenen Unternehmen.“ Experten sind skeptisch. John Phelan vom Europäischen Verbraucherschutzverband BEUC warnt: „So wie die Dinge stehen, wird es schwer umzusetzen sein, weil es wenig Vorkehrungen gibt, die Nutzern in Europa erlauben, solche Daten von Suchmaschinen entfernen zu lassen.“
Stein des Anstoßes sind zwei Meldungen über die Pfändung und Zwangsversteigerung des Grundstücks eines Spaniers im Jahr 1998. Der Kläger hatte auch beantragt, die entsprechenden Einträge aus dem Archiv der spanischen Zeitung "La Vanguardia" entfernen oder ändern zu lassen. Dies wiesen die Richter jedoch zurück.
Es geht also nur darum, Google den Verweis auf eine zutreffende Information, die nach Ansicht des höchsten europäischen Gerichts auch weiterhin im Internet verfügbar gemacht werden darf, zu verbieten.
Mit Datenschutz hat das wenig zu tun, es ist vielmehr eine Einschränkung der Informationsfreiheit. Wem es wirklich um das nun vielbeschworene "Recht auf Vergessen" geht, der muss konsequenterweise von den zuständigen Gerichten und Gesetzgebern auch fordern, dass in bestimmten Fällen oder nach bestimmten Zeiten Informationen wieder gelöscht werden.
Hierzulande dürfen Medien zwar nach einer bestimmten Zeit die Namen von Verurteilten in neuen Berichten nicht nennen, doch gegen das Säubern der Archive haben sich die Verlage vor Gericht in der Regel erfolgreich gewehrt.
Löschen statt sperren
Dass Zeitungen auf Google schimpfen, wenn der Konzern von Medien veröffentlichte Informationen zugänglich und auffindbar macht, ist daher scheinheilig. "Löschen statt Sperren" lautet zu Recht auch die Forderung von Internetaktivisten, wenn es um Kinderpornografie und andere tatsächlich illegale Inhalte geht. Daher ist es umso erstaunlicher, dass die Entscheidung nun so einhellig begrüßt wird. "Wer gegen Netzsperren ist, muss auch das EuGH-Urteil zu Löschpflichten von Google ablehnen", wundert sich auch der auf IT-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Thomas Stadler.
Doch stattdessen wird die Gelegenheit genutzt, einem allgemeinen diffusen Unbehagen gegenüber Google Luft zu machen. "Nur gemeinsam kann die Macht von Google gebrochen werden", schreibt gar die Stuttgarter Zeitung und ruft die Bürger zu massenhaften Löschanträgen auf.
Natürlich ist die dominante und in vielerlei Hinsicht auch marktbeherrschende Stellung von Google eine Gefahr. Auch die Frage, welche Daten wie sehr verknüpft werden dürfen, muss gestellt und vor allem aber geregelt werden. Doch wem es um diese Probleme geht, der sollte sich auch genau diesen Fragen widmen, das kommt jedoch wieder zu kurz.
"Don't shoot the messenger", schrieb Shakespeares in seinem Werk Henry IV. Nichts anderes wird mit dem aktuellen Urteil und der daran geknüpften Debatte versucht: Der Übermittler einer für den Betroffenen unangenehmen Wahrheit wird dafür verantwortlich gemacht.
Dadurch das "Ende der Omnipotenz" von Google auszurufen ist falsch und kurzsichtig.