RSS-Tool wird eingestellt Das Ende des Google Reader ist kein Grund zur Panik

Am 1. Juli stellt Google seinen RSS-Reader ein. Für viele gut organisierte Blogger und Professionals mit hohem Informationsbedarf ist das ein herber Schlag. Doch es gibt Gründe, über den Schritt froh zu sein.

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Ab dem 01. Juli 2013 ist Schluss: Google schließt seinen RSS-Service

Googles bei Durchschnittsnutzern unbekanntes, aber von vielen "Newsjunkies", Bloggern und Journalisten täglich genutztes RSS-Tool Google Reader wird am 1. Juli 2013 eingestellt. Als mich diese Kunde am Mittwochabend erreichte, war ich erst einmal geschockt. Zum einen hatte ich trotz der jahrelangen Vernachlässigung des Dienstes seitens Google und des signifikanten Rückbaus im November 2011 zugunsten von Google+ nicht mit einem solchen drastischen Schritt gerechnet. Der Betrieb des Services, zu dem keine Anwenderzahlen bekannt sind, dürfte den Internetgiganten nicht sonderlich viel kosten, gleichzeitig handelt es sich bei der Nutzerschaft um eine einflussreiche, laute und meinungsstarke Gruppe, die selbst Google nicht ohne große Not gegen sich aufbringen sollte. Zum anderen ist der Schritt für mich problematisch, da das RSS-Werkzeug das Herzstück meines täglichen Informationsmanagements darstellt. Ein Ende des Readers könnte äußerst negative Auswirkungen auf meine Produktivität haben, sofern sich kein adäquater Ersatz findet - und bisher mangelt es an diesem. Mehr dazu weiter unten.

Die größten Flops von Google
Google Quelle: dpa
Google Videos Quelle: Screenshot
Google X Quelle: Screenshot
Larry Page Quelle: REUTERS
KnolZu den Projekten die eingestellt werden gehört auch Knol. Es sollte Googles Alternative zu Wikipedia sein: Eine Wissenssammlung, bei der die Nutzer die Artikel schreiben und bearbeiten. Der Erfolg hält sich in Grenzen – oder kennen Sie intensive Knol-Nutzer? Quelle: Screenshot
Google WaveNach knapp einem Jahr hat Google sein Projekt „Wave“ wieder gestoppt. Beim Start hatte der Konzern noch getönt, Wave sei wie die Neu-Erfindung der Mail. Doch selbst viele Nerds konnten mit dem Angebot nichts anfangen, mit dem man Nachrichten gemeinsam bearbeiten und kommentieren konnte. Ende April 2012 wird Wave nun endgültig dicht gemacht.  
LivelyAls der Hype um virtuelle Welten wie Second Life noch groß war, startete Google "Lively". Damit konnten Avatare geschaffen werden und Räume in denen man sich treffen konnte. Resonanz und Halbwertzeit waren dürftig: nach nicht einmal sechs Monaten wurden die neuen Tummelplätze wieder geschlossen. Quelle: Screenshot

Die allgemeine Empörung in meinen Timelines bei Twitter und App.net selbst am späten Abend signalisierte, dass ich nicht der einzige bin, den die Entscheidung von Google in eine missliche Lage bringt. Obwohl in den vergangenen Jahren immer wieder die Behauptung zu vernehmen war, dass RSS als aktives Verfahren für den Nachrichtenkonsum durch soziale Medien abgelöst worden sei (etwa Twitter-Listen), so offenbarten die teilweise verärgerten, teilweise verzweifelten Reaktionen im Netz, wie viele Informationworker für die Verwaltung ihrer Quellen nach wie vor auf RSS setzen. Dieser Tweet brachte die Situation gut auf den Punkt.

Über 200.000 Tweets zur Schließung

Laut dem Analysedienst Topsy wurde der Begriff "Google Reader" in den Stunden nach der Bekanntgabe der Schließung über 200.000 Mal getwittert - ein Beleg dafür, dass es sich bei dem Google-Produkt zwar um ein Nischenangebot handelt, aber um eines, für das es durchaus Interesse und einen Markt gibt. Wenn vielleicht auch nicht unter dem Dach von Google.

Nachdem sich die erste Enttäuschung und Verärgerung gelegt hatte, änderte sich meine Sichtweise. Sukzessive kam ich für mich zu dem Schluss, dass das Ende des Readers zwar mit einigem Umstand verbunden sein würde, letztlich aber langfristig positiv sei.

Wie das Ende einer beschädigten Freundschaft

Dinge, die Google lieber geheim halten will
Google hat den Tablet-Markt verschlafenGoogles erster eigener Tablet-PC, das Nexus 7 (Foto), kam erst diesen Juli auf dem Markt. Damit schiebt sich Google in ein Terrain, auf dem sich schon einige Platzhirsche drängeln: Apple, Samsung, Amazon. Google wird es schwer haben, sich als Neuling unter diesen etablierten Anbietern  zu behaupten. Quelle: dpa
Google verschleiert seine DatensammeleiGoogle besitzt zwar eine Datenschutzrichtlinie, diese wird jedoch von der Europäischen Union bemängelt. Danach fehlen wichtige Informationen und eindeutige Formulierungen. So steht in der Datenschutzrichtlinie nicht deutlich, was das Unternehmen mit den Infos der User macht. Außerdem informiert Google nicht darüber, wie lange es bestimmte Informationen, wie Aufenthaltsorte, speichert. Quelle: dapd
Bei der Android-Vielfalt verzichten Hersteller auf UpdatesDas Google-Betriebssystem Android für Smartphones und Tablet-PCs gibt es für hunderte verschiedene Modelle. Das wirkt sich negativ auf das Update-Verhalten der Hersteller von Endgeräten aus. Seit der Android-Einführung 2008 gab es zehn verschiedene Updates. Diese müssen die Hersteller auf jedes ihrer einzelnen Smartphone- und Tablet-Modelle anpassen. Das ist aufwendig, wodurch die neuen Versionen meist unter den Tisch fallen lassen werden. Derzeit ist Android 2.3 von Dezember 2010 immer noch die am meisten verbreitetste Version. Quelle: dapd
Der Aufwand ist zu groß, unerwünschte Suchergebnisse zu löschenEs kommt vor, dass Menschen bei Google etwas über sich persönlich finden, was sie dort nicht gerne sehen. Dagegen etwas zu unternehmen, ist schwierig. Die Suchergebnisse basieren auf berechneten Algorithmen. Je öfter etwas im Internet erwähnt wird, desto eher findet man es bei Google. Es ist sehr aufwendig, etwas aus den Google-Ergebnissen zu löschen und meist mit rechtlichen Schritten verbunden. Dabei muss vor allem erst der Text, das Bild oder das Video von dem Server gelöscht werden, auf den die Information gespielt wurde. Dann kann es noch bis zu neun Monate dauern, ehe die Info auch aus der Google-Suche verschwindet. Quelle: dpa
Apple-Maps könnte Google bald einholenApple hat sich entschieden beim neuen iPhone 5 (Foto) auf die vorinstallierte Google-Maps-App zu verzichten. Stattdessen findet sich auf dem Handy ein eigenes Kartenprogramm. Die weist im Vergleich zu Google Maps war einige Schwächen auf, doch Experten sind sich sicher, dass Apple bald nachlegen wird – und Google so einholen oder gar überholen könnte. Quelle: REUTERS
Die Arbeit der Google-AngestelltenVolleyballplatz, Bowlingbahn, Gemüsegarten – das Google-Hauptquartier bietet zahlreiche Annehmlichkeiten. Mit ähnlichen Dingen warten auch manche europäische Zweigstellen auf. Experten werfen dem Unternehmen vor, so Mitarbeiter länger an ihrem Arbeitsplatz halten zu wollen und zu Überstunden zu bewegen. Quelle: dapd
Google steht beim Online-Shopping hinten anGoogle ist bei Online-Shoppern nicht die erste Wahl. Laut einer Studie von Forrester Research hat fast ein Drittel der Konsumenten bei ihrem letzten Online-Einkauf als erste Adresse Amazon (Foto) angesteuert. Bei Google waren es gerade mal 13 Prozent. Quelle: dpa

Die Schließung des Google Readers ist wie das Ende einer einstmals guten Freundschaft, die sich schon über längere Zeit aufgrund geänderter Werte und Interessen auseinander gelebt hat. Was es dann noch braucht, um endgültig getrennte Wege zu gehen, ist ein Ereignis, welche das Fass zum Überlaufen bringt. Mit der Einstellung des Readers betont Google, dass es künftig andere Pläne verfolgt, als noch länger die Mission eines offenen Webs zu unterstützen - auch nicht einmal symbolisch. Für mich ist der Google Reader der einzige aus heutiger Sicht unersetzliche Dienst aus dem Hause Google (nein, ich nutze kein Gmail). Dass der Konzern mir ausgerechnet diesen nimmt, ist ärgerlich, aber es macht es mir ultimativ noch leichter, eine distanzierte Haltung einzunehmen und meine Unabhängigkeit von den Launen des Larry Page & Co sicherzustellen.

Danke Google

Letztlich ist es absurd, dass das wichtigste Instrument meiner beruflichen Tätigkeit ein nicht monetarisierter, vernachlässigter Gratisdienst eines Unternehmens ist, welches in seiner Vision weit von meinen individuellen Bedürfnissen liegt. Ich bin Google dafür nicht böse. Nein, ich bin dem Unternehmen sogar dankbar, dass es mich dazu zwingt, mich nach einer Alternative umzuschauen. Zumal der Export der RSS-Feeds aus dem Google Reader und der Import bei einem anderen Service glücklicherweise ein Kinderspiel ist.

Es muss nicht immer Google sein
Screenshot der Google-Homepage Quelle: Screenshot
Screenshot der Bing-Homepage Quelle: Screenshot
Screenshot der DuckDuckGo-Hompegae Quelle: Screenshot
Screenshot der Blekko-Homepage Quelle: Screenshot

Gute Alternativen sind rar, aber es gibt Hoffnung

Ich bezeichnete Google Reader eben als "unersetzlich". Damit beziehe ich mich auf die Funktionspalette und den Support durch externe Apps. Betrachtet man beides zusammen, ist Google Reader in dieser Form derzeit einzigartig. Aber freilich existieren zahlreiche andere RSS-Reader. Marketingland listet zwölf unterschiedliche Alternativen. Auch Flipboard macht auf seine RSS-Funktion aufmerksam. Wirklich ernst zu nehmen, weil auch mit mobilen Apps ausgestattet und für Intensivnutzer geeignet, sind wohl derzeit lediglich Newsblur und Feedly (beide Sites sind derzeit nur schwer erreichbar). Feedly hat mittlerweile angekündigt, in den letzten Wochen eine Art Klon der Google-Reader-API entwickelt zu haben, die es zu einem späteren Zeitpunkt auch anderen 3rd-Party-Apps zur Verfügung stellen möchte.

Alternative RSS-Dienste

Wie Google seine Suche geändert hat
Die radikale Änderung der Google-Suche Quelle: Screenshot
Das Zuckerberg-Beispiel Quelle: Screenshot
Zuckerberg-Suche bisher Quelle: Screenshot
Unbrauchbare Vorschlagsfunktion Quelle: Screenshot
Beispiel Twitter Quelle: Screenshot
Neue Twitter-Ergebnisse Quelle: Screenshot
Beispiel Wulff Quelle: Screenshot

Das würde beispielsweise bedeuten, dass Reeder - die sehr beliebte RSS-App für iOS und Mac und mein absoluter Favorit - anstelle des Google Readers künftig den persönlichen Feedly-Account eines Nutzers als Basis für die Feeds verwenden könnte. Auf Anfrage, was der Tod des Google Reader für Reeder bedeutet, erklärte Macher Silvio Rizzi, dass er künftig entweder mehr externe RSS-Tools für die Synchronisation zulassen (also beispielsweise Feedly) oder einen internen RSS-Sync anbieten wird. "Mit Reeder 3.0 für iPhone habe ich mich zum Glück schon darauf vorbereitet, mehr RSS-Dienste zu unterstützen", so Rizzi, der noch kein Datum für die Veröffentlichung der neuen Reeder-Version nennt. Schon heute bietet die iPhone-App neben dem Google Reader auch Fever als alternative RSS-Feed-Quelle an. Bei Fever handelt es sich um eine selbstgehostete RSS-Software, die für bisherige Google-Reader-Freunde mit eigenem Webspace oder Server eventuell auch einen näheren Blick wert ist. Spiegel-Online-Redakteur Konrad Lischka zeigte sich jüngst sehr angetan von Fever.

Kein Grund zur Panik

Da bis zum 1. Juli noch etwas Zeit ist, gibt es keinen Grund zu übereilten Entscheidungen. Instapaper-Macher Marco Arment vermutet, dass mit dem Ende des Google Reader endlich wieder Innovation in den RSS-Sektor einkehrt. Erste Anzeichen dafür gibt es schon. Auch wenn kein RSS-Reader jemals das Next Big Thing werden dürfte, so zeigt die breite Resonanz auf die Reader-Hiobsbotschaft innerhalb der Blogger- und Digitalszene, dass sich hier durchaus Spielraum für neue Projekte und Erlösquellen auftut. Ich bin garantiert nicht der einzige, der für einen leistungsfähigen, modernen RSS-Reader Geld auf den Tisch legen würde. Jemand müsse für den Google Reader ganz einfach das machen, was Pinboard für Delicious-Anwender tat, als sie eine Schließung durch Yahoo befürchteten, so der Wunsch dieses App.net-Users. Pinboard, ein Ein-Personen-Startup, ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine Nische im Netz in ein lukratives Geschäftsmodell verwandeln lässt. Gleiches ließe sich im RSS-Segment realisieren.

Ich werde die nächsten Wochen also erst einmal abwarten, wie sich die existierenden Anbieter positionieren, einige ausprobieren und schauen, welche Neulinge auf der Bildfläche erscheinen. Angesichts der durchaus beeindruckenden Empörungswelle des bis gestern scheinbar niemanden mehr emotional berührenden Google Readers ist selbst ein Abkehr des Webriesen von seinem Plan nicht auszuschließen. Aber trauen kann man Google im Bezug auf den Reader nicht mehr. Das Unternehmen hat klar gemacht, dass der Reader nicht zur Firmenstrategie passt, und würde es bei einer eventuellen Fortführung entsprechend behandeln. Davon hat niemand was. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Dieser Artikel ist zuerst auf netzwertig.com erschienen.

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