Schmaler Grat zwischen Nutzen und Nerven Der ultimative Smartphone-Knigge

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Jugendliche im Kommunikationswahn

16.00 Uhr: Eine Kollegin fragt: „Könntest du mir nochmal den Ablauf der Veranstaltung erklären?“ „Gerne, also...“ Dann klingelt das Telefon. Die Kollegin nimmt ohne eine Erklärung ab.

„Seine Mitmenschen nicht in die konkrete Situation mit einzubeziehen, ist sehr unhöflich“, sagt Agnes Jarosch vom Deutschen Knigge-Rat. Höflich sei, wer genau erklärt, warum es so wichtig ist, das Gespräch anzunehmen oder eine Nachricht zu lesen. Außerdem sei es angebracht, um Erlaubnis zu bitten, ob man rangehen darf.

Wer diese Regel beachtet hinterfragt automatisch, wie wichtig der Griff zum iPhone, Galaxy, Lumia oder HTC in diesem Moment wirklich ist. „Dadurch entsteht ein bewusster Umgang mit dem Smartphone“, sagt Jarosch. Es ginge wie in der Burnout-Prävention darum, wieder mehr auf das zu achten, was man eigentlich macht und Gewohnheiten nicht überhand nehmen zu lassen. Das steigere am Ende auch die Konzentrationsfähigkeit.

„Wir merken oft erst rückwirkend, wie viel unnötigen Stress wir uns durch eine Dauererreichbarkeit gemacht haben“, sagt Wissenschaftler Höflich. Er betont das Moment der Gelassenheit. „Manche Dinge können warten. Nicht alles, was wir tun, ist wichtig“, sagt er. „Wir machen aus der Benutzung des Smartphones ein rituelles Ding. Dadurch bekommt die Aktivität einen Selbstwert, den sie eigentlich gar nicht hat.“ Wer das zulasse, gebe Autonomie ab.

19.00 Uhr: Ein Paar ist in einem italienischen Restaurant verabredet. Das Smartphone landet wieder auf dem Tisch. Als die beiden mit einem Glas Rotwein anstoßen wollen, blinkt eine Nachricht auf.

Hier hat die Frau dem Absender der Nachricht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als ihrem eigenen Partner – und damit gegen die Anwesende-vor-Nichtanwesende-Regel verstoßen. Gerade wenn man gezielt miteinander Zeit verbringen möchte, ist das besonders unhöflich.

Daher gibt der Deutsche Knigge-Rat für das Verhalten im Restaurant klare Regeln vor. Wie im Kino oder Theater hat das Telefon hier nichts zu suchen. Sowohl das Licht als auch das Klingeln, Piepen oder Brummen würden andere Menschen in diesen Situationen stören. „Ausnahmen gestattet Knigge, wenn ein Gastgeber noch auf Gäste wartet“, sagt Agnes Jarosch. „Hier wäre es unhöflich das Telefon auszustellen, so dass der Gastgeber nicht mehr erreichbar ist.“

Danach gehöre das Telefon ausgeschaltet. Natürlich müssten viele Menschen aus beruflichen Gründen erreichbar sein, schränkt Jarosch ein. Doch wie erreichbar, habe der Einzelne oft selbst in der Hand. „Ich schüre natürlich eine Erwartungshaltung, wenn man mich immer erreichen kann“, sagt Jarosch. Wer klar macht, dass er ab einer gewissen Uhrzeit dem Unternehmen nicht mehr zur Verfügung steht, werde in der Regel auch nicht kontaktiert. „Man verliert nicht gleich seinen Job, nur weil man eine E-Mail nicht sofort beantwortet“, sagt Jarosch.

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