Schnüffler-Apps Wie Eltern ihre Kinder digital überwachen

Standort bestimmen, SMS lesen, Facebook durchstöbern: Mit speziellen Apps können Eltern ihre Kinder digital überwachen. Die Anbieter versprechen Sicherheit, Pädagogen sind entsetzt. Wie weit dürfen Eltern gehen?

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Fast 80 Prozent der deutschen Jugendlichen besitzen ein Smartphone. Das Gerät kann zum Spion der Eltern werden. Quelle: dpa

Wenn die 17-jährige Elene ihre Schule betritt, bekommt ihre Mutter eine SMS: "Elene ist nun in der Schule." Sie wird auch benachrichtigt, wenn ihre Tochter die Schule verlässt. Schwänzen ist damit unmöglich. Elenes Moskauer Schule hat wie andere Lehranstalten der Stadt das Eingangssystem an der Pforte mit einer automatischen Benachrichtigung der Eltern verknüpft.

Auch in Frankreich, Finnland oder Kroatien gibt es diese Praxis. In Deutschland ist die Schwänzer-SMS - noch - die Ausnahme. Dirk Teubner, ein Anbieter solcher Systeme spricht "von einer Handvoll Schulen hierzulande", die die Anwesenheit via Textnachricht protokollieren. Er bedauert die Vorbehalte, insbesondere beim Datenschutz.

Dabei sind potenzielle Spitzel-Assistenten längst in den Taschen des Nachwuchses. 94 Prozent der deutschen 12- bis 19-Jährigen besitzen laut dem medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest ein Handy mit Internetzugang.

Hier können Eltern "Parental Control"-Apps installieren. So gibt es zum Beispiel Tracking-Apps, die automatisch den Standort der Kinder an die gekoppelten Eltern-Geräte senden. Der Marktführer unter den Tracking Apps, "Life 360", hat laut eigenen Angaben weltweit 100 Millionen Nutzer, die Hälfte davon in den USA.

So überwachen die Eltern-Apps

Die Anbieter appellieren an die Urängste vieler Eltern: Endlich weiß man, ob das Kind wohlbehalten in der Schule oder bei den Freunden angekommen ist. "Die Familie zu beschützen war nie leichter", wirbt etwa die App "Mama Bear". "Gute App, um die Kinder im Auge zu behalten", lautet eine der überwiegend positiven Rezensionen im App-Store.

Was laut Werbeversprechen für mehr Sicherheit sorgen soll, birgt für Paula Honkanen-Schoberth, Bundesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes, auch Gefahren. "Solche Apps erzeugen eine Atmosphäre der Angst. Sie verstärken sowohl bei Kindern als auch bei Eltern das Gefühl, sie lebten in einer so gefährlichen Welt, dass ständige Kontrolle erforderlich ist", erklärt Honkanen-Schoberth.

Manche Programme gehen sogar noch weiter. So versprechen Anbieter wie "Qustodio", "Net Nanny" oder "My Mobile Watchdog" eine Überwachung in allen Bereichen: die Kontrolle von SMS und Anrufen, Mitlesen der Facebook-Aktivitäten und die Analyse von Browser- und Suchverläufen. Angeblich alles zur Sicherheit der lieben Kleinen.

Überwachung von Facebook & Co.

"Wussten Sie, dass eins von fünf Kindern Sexangebote im Netz bekommen hat und dass die meisten Kinder zum ersten Mal mit elf Jahren einem Porno ausgesetzt werden? Dies führt in vielen Fällen zu einem langen Kampf mit Pornosucht", schürt etwa die App "Net Nanny" die Sorgen von Eltern.

Lotte Rose, Pädagogik-Professorin an der Frankfurt University of Applied Sciences, kritisiert diese Panikmache: "Die Apps propagieren die Annahme: Wenn das Kind nicht überwacht wird, wird es sich schlecht entwickeln und ist gefährdet. Das bedeutet auch Stress für die Eltern."

Die Spitzel-Dienstleistungen kosten etwa drei bis sechs Euro im Monat. Doch für viele Eltern scheint sich das zu lohnen. So rezensiert eine Mutter die App Qustodio, für die jährlich 35 Euro anfallen: "Ich finde, das ist das Geld wert: Endlich zu sehen, was meine Söhne online und auf Facebook machen."

Dabei seien soziale Netzwerke reale und vor allem private Lebensräume, in denen Teenager sich aufhalten, wie Rose erklärt. "Jugendliche sollen selbst entscheiden können, mit wem sie ihre Gedanken und Gefühle teilen. Jeder Mensch hat ein Recht auf Privatheit."

Kinder können sich gegen die ungewollte Spionage nicht wehren, indem sie etwa die Schnüffel-Apps einfach löschen. Denn die meisten können ohne Passwort nicht entfernt werden.

In den Rezensionen der Programme wird klar, warum sich die Kinder darauf einlassen: "Das war die Bedingung für das Smartphone. Meine Kids scheinen nicht so begeistert, ich schon", schreibt eine Mutter im AppStore. So zählt die App "Qustodio" nach Unternehmensangaben weltweit über eine Million Nutzer und ist auf mehreren Millionen Geräten installiert.

Fragwürdiges Schnüffeln

Rechtlich sind die Apps in Deutschland zunächst kein Problem, wie Datenschützer Thilo Weichert erklärt. Es handele sich um eine private Anwendung, bei der die Nutzer dem Datenaustausch zustimmen.

"Dabei haben auch Jugendliche spätestens ab dem Alter von 14 Jahren ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es gibt hier allerdings keine Rechtsprechung", erläutert Weichert. Schließlich komme es selten vor, dass Kinder gegen ihre Eltern klagen.

In jedem Fall fragwürdig seien Apps, die die Kinder heimlich überwachen. Zum Beispiel bietet die App "Children Tracker" die Option, das Programm-Icon zu verbergen, so dass die Kinder nicht wissen, ob eine Kontroll-App installiert ist.

Auch das Hamburger Startup "Familonet" hat eine App entwickelt, mit der sich Familien ihre augenblicklichen Koordinaten mitteilen. Im Gegensatz zu amerikanischen Apps wie "Child Tracker" oder "AT&T Family Map", bei denen ein permanentes Livetracking stattfindet, müssen die Beteiligten hier freiwillig ihren Standort senden. "In Europa sind die Menschen deutlich sensibler, was ihre digitalen Daten angeht", sagt Hauke Windmüller, einer der Gründer.

Wissen, wo wer gerade ist: Für den Geschäftsführer von Familonet ist das ein Beitrag zum Familienzusammenhalt. "Es erleichtert den Familienalltag, weil die Eltern zum Beispiel wissen, wann sich die Kinder auf dem Heimweg befinden und sie das Essen vorbereiten können", sagt Hauke Windmüller, einer der Gründer von Familonet. Er verzeichnet steigende Wachstumsraten seiner Familien-App: Innerhalb eines Jahres hatte das Programm laut Windmüller 200.000 Nutzer weltweit.

Ständige Kontrolle stört die Eltern-Kind-Beziehung

Viele der amerikanischen Apps kontrollieren nicht nur die virtuellen Orte, an denen sich die Kinder aufhalten. Sie überwachen auch die Art und Weise, wie sie sich im Internet bewegen. So schickt die App "Mama Bear" eine Benachrichtigung an die gekoppelten Elterngeräte, sobald der Zögling bestimmte, zuvor festgelegte verbotene Worte benutzt.

Auch andere Kontroll-Apps versuchen, sich durch spezielle Zusatzfunktionen abzuheben. Die App "Ignore no more" beispielsweise hat sich auf das Wegdrücken und Ignorieren elterlicher Anrufe spezialisiert. Gehen die Kinder nicht ans Handy, können Papa und Mama das Handy solange sperren, bis der Nachwuchs sich zurückgemeldet hat.

Die App „Ignore No More

Die App "Canary" überwacht das Fahrverhalten des Nachwuchses. Sind die Kinder zu schnell unterwegs oder fahren nicht den Verkehrsregeln entsprechend, bekommen die Eltern eine Benachrichtigung. Beim "Mobile Guardian" können Eltern die SMS-Funktion der Handys während Autofahrten sperren.

"Die Kinder sind durch solche Apps wie Hunde an der Leine. Sie spüren, dass sie gläsern sind und das ist furchtbar für sie. Das stört auch die Beziehung zwischen Kindern und Eltern", sagt Honkanen-Schoberth. "Selbst wenn die Grundangst der Eltern verständlich ist: Kinder brauchen unkontrollierte Freiräume, damit sie stark und selbstbewusst werden."

Viel wichtiger sei es, mit den Kindern offen und auf Augenhöhe zu reden und heikle Situationen, wie sie auch im Internet auftreten können, zu trainieren.

Die Kritik des Kinderschutzbundes entspricht der verzweifelten Rezension einer 12-Jährigen im iTunes-Store zur App "Mama Bear": "Das nimmt einem die gesamte Privatsphäre. Wenn Sie Ihren Kindern vertrauen, sollten Sie diese App nicht kaufen."

Und eines scheinen viele Eltern zu vergessen: Ihr Nachwuchs zählt zu den Digital Natives. Sie kennen sich in der virtuellen Welt immer noch besser aus als die Elterngeneration der Digital Immigrants. So existieren längst zahlreiche Seiten zum Thema "How to unlock Parental Control".

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