Selfies Was der Selfie-Wahn über uns aussagt

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Selfies als Imagepflege

Zum Beispiel Angela Merkel. Ob mit verschwitzten Fußballern nach dem WM-Sieg in der Umkleidekabine oder gemeinsam mit Flüchtlingen: Vor allem seit Beginn der Zuwanderungsdebatte scheut sie sich nicht, das von ihr viel zitierte freundliche Gesicht Deutschlands auch auf Selfies zu zeigen. Darüber sprach sie vor wenigen Wochen auch in der Talkshow von Anne Will. Als die Moderatorin die Kanzlerin fragte, ob die freudestrahlenden Selbstporträts aus dem Flüchtlingslager nicht das falsche Signal an all diejenigen senden, die da vielleicht noch kommen werden, konterte Merkel: „Glauben Sie ernsthaft, dass Hunderttausende Menschen ihre Heimat verlassen, weil es ein solches Selfie gibt?“

Fest steht: Wer die Selbstporträts einzig als Trend gelangweilter Jugendlicher abstempelt, der irrt gewaltig. Sie können, wie im Falle der Kanzlerin, der Imagepflege dienen; als Teil eines cleveren Werbevertrags Millionen einbringen, wie beim Oscar-Selfie der US-Moderatorin Ellen DeGeneres. Sie können Normalos reich und berühmt machen und die Reichen und Berühmten normal erscheinen lassen. Oder eine politische Debatte darüber auslösen, was sich gehört – und was nicht.

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Wie beim fröhlichen Selfie, das US-Präsident Barack Obama mit Großbritanniens Premier David Cameron und Dänemarks damaliger Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt im Dezember 2013 schoss – auf der Beerdigung von Nelson Mandela. Neuerdings interessiert sich für die Darstellungsform auch die Kunstszene. In Karlsruhe eröffnet Ende Oktober eine Ausstellung, die sich mit der Historie des Selbstporträts seit Rembrandt beschäftigt. Mit dabei sind Werke aus sechs Jahrhunderten von Künstlern wie Henri Matisse oder Andy Warhol. Im Düsseldorfer NRW-Forum hängen aktuell ebenfalls Selfies an den Wänden. Die These der Ausstellung: Die digitale Revolution hat nicht nur die Art verändert, wie wir Momente wahrnehmen, sondern längst auch Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung. Frei nach René Descartes: Ich fotografiere – also bin ich?

Inszeniert wie eine Werbekampagne

Kurz noch einmal das Haar aufschütteln, den linken Daumen nach oben strecken und ein extra breites Grinsen aufsetzen. Kopf leicht nach links drehen. Dann mit der rechten Hand das Smartphone von schräg oben halten. Klick.

Die 21-jährige Dagi Bee gehört zu Deutschlands bekanntesten YouTube-Stars. Sie dreht Videos zum Thema Make-up, Mode und darüber, wie es im Jahr 2015 ist, ein Teenie zu sein. Dazu gehört neben einem Film übers Schlussmachen auch eine Anleitung für das perfekte Selfie. Darin wird deutlich, dass selbst geschossene Porträts keine spontanen Schnappschüsse sind. Denn Dagi Bee hellt mithilfe einer Retuschier-App ihre Zähne auf, entfernt eine Narbe am Mund und bearbeitet ihre Pupillen mit einem Lichteffekt.

Als Dagi Bee mit sich zufrieden ist, lächelt ihr eine porenfreie Puppe auf dem Smartphone-Display entgegen. Fast 1,9 Millionen Menschen sahen sich die Anleitung bislang an. Es ist eine extreme Form des digitalen Exhibitionismus, den sie betreibt – und eine lukrative noch dazu, denn mittlerweile kann sie von Werbeeinnahmen und Kooperationen leben.

„Es geht nicht darum, Bilder zu zeigen, die die Realität illustrieren, sondern darum, eine Selbstbeschreibung zu wählen, mit der man bei anderen punkten kann“, sagt Beate Großegger vom österreichischen Institut für Jugendkulturforschung. Selfies sind in Wahrheit genauso inszeniert und bearbeitet wie eine Werbeanzeige von L’Oréal oder eine Modestrecke in der „Vogue“. Niemand will zeigen, wer er ist – sondern wer er sein will. „Bei Selfies geht es um Kontrolle“, sagt Soziologin Kneidinger-Müller. „Niemand wählt das erste Bild aus, sondern schießt so lange Fotos, bis das eine dabei ist, auf dem man sich als besonders schön, cool oder glamourös empfindet.“

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