Eine künstliche Intelligenz steuert eine Fabrik, in der Büroklammern hergestellt werden. Programmierer haben ihr das Ziel vorgegeben, so viele Büroklammern wie möglich zu produzieren. Und damit ist der Teufel aus der Flasche: Die Software schreibt sich selbst um, wird immer cleverer, um immer bessere Produktionsmethoden zu ersinnen. Bald baut sie neue Maschinen, verarbeitet jede greifbare Materie, tötet Menschen – und verwandelt den Planeten in eine Büroklammerwüste.
Noch ist die Apokalypse aus Algorithmen nur ein Gedankenspiel, ersonnen vom Philosophen Nick Bostrom an der Universität Oxford. Aber die Geschichte macht auf ein Problem aufmerksam, das zunehmend auch Manager, Programmierer und Produktentwickler beschäftigt: Künstliche Intelligenz hat sich technisch enorm entwickelt, sie steuert Autos, therapiert Patienten, verkauft Produkte, nur einen ethischen Kompass haben die schlauen Maschinen bisher nicht.
Was das anrichten kann, zeigten erste Skandale aus dem vergangenen Jahr: Microsofts Chatbot Tay schwärmte auf Twitter plötzlich von Hitler und der Judenverfolgung. K5, ein Sicherheitsroboter vom US-Start-up Knightscope, bretterte in einem kalifornischen Einkaufszentrum ein Kind um. Die Ausrichter des Schönheitswettbewerbs Beauty AI wiederum mussten sich Rassismus vorwerfen lassen, weil ihre Maschinen-Jury nur Weiße zu Gewinnern kürte.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
Derlei programmierte Patzer vergiften langfristig das Klima einer Gesellschaft – und entscheiden auch direkt über Leben und Tod, etwa wenn Roboter in den Krieg ziehen. Ähnlich wie Philosoph Bostrom warnen inzwischen auch der Physiker Stephen Hawking und Tesla-Chef Elon Musk vor superintelligenten Maschinen, die die Menschheit ausradieren. Zusammen mit mehr als 8000 Experten unterzeichneten sie schon vor zwei Jahren einen offenen Brief, den US-Forscher verfasst hatten, um vor den Gefahren der schlauen Software zu warnen. Tenor: Die Forschung müsse sicherstellen, dass künstliche Intelligenz der Gesellschaft nütze.
Killer-Kodex für Drohnen
„Wenn Programmierer künstliche Intelligenz entwickeln, kann das Hunderte Millionen Menschen betreffen“, sagt die britische Ethik-Beraterin Susan Liautaud, die an der kalifornischen Stanford-Universität Unternehmensethik lehrt. „IT-Unternehmen müssen sich darum heute über die langfristigen Folgen ihrer intelligenten Maschinen Gedanken machen“, sagt die Wissenschaftlerin. Dabei sollten sie NGOs und Politiker, Wissenschaftler und Nutzer an einen Tisch bringen.
Genau zu diesem Zweck haben Amazon, Google, Microsoft, Facebook und IBM eine Initiative namens Partnership on AI gegründet. Tesla-Chef Musk wiederum will mit seinem Projekt Open AI die Entwicklung von menschenfreundlicher KI voranbringen. Und Google hat ein eigenes Ethik-Board eingerichtet, um die Folgen von KI für die Gesellschaft zu bestimmen.
Aber lässt sich Ethik in die Sprache von Maschinen übersetzen? Kann man Moral programmieren, oder müssen Roboter sie lernen wie Menschenkinder? Und welchen Werten sollen Chatbots, selbstfahrende Autos und Haushaltsroboter überhaupt folgen?
Die Entwicklungsstufen Künstlicher Intelligenz
Der britische Informatiker entwickelt den nach ihm benannten Test. Er soll ermitteln, ob eine Maschine denken kann wie ein Mensch. Ein russischer Chat-Roboter soll ihn 2014 erstmals bestanden haben.
Experten einigen sich auf den Begriff "Künstliche Intelligenz". Der Rechner IBM 702 dient ersten Forschungen.
Katerstimmung bei den Forschern: Die Fortschritte bleiben hinter den Erwartungen zurück. Computer sind zu langsam, ihre Speicher zu klein, um die Daten von Bildern oder Tönen zu verarbeiten. Budgets werden gestrichen, erst ab 1980 geht es wieder voran.
Der Supercomputer von IBM siegt im Schachduell gegen Weltmeister Garry Kasparov. Die Maschine bewertete 200 Millionen Positionen pro Sekunde. 2011 siegt IBMs Software Watson in der Quizsendung "Jeopardy".
Der KI-Forscher sagt in einem Buch für das Jahr 2045 den Moment der "Singularität" voraus: Die Rechenleistung aller Computer erreicht die aller menschlichen Gehirne. Seit 2012 arbeitet Kurzweil für Google an KI-Systemen.
Ein Google-Programm beschreibt präzise in ganzen Sätzen, was auf Fotos zu sehen ist. Nahrungsmittelkonzern Nestlé kündigt an, 1000 sprechende Roboter namens Pepper in seinen Kaffeeläden in Japan als Verkäufer einzusetzen. Physiker Stephen Hawking warnt: KI könne eines Tages superschlau werden – und die Menschheit vernichten.
Computer sind schlau wie Menschen – und machen sogar Witze. Fabriken, Verkehr und Landwirtschaft sind nahezu komplett automatisiert.
Ronald Arkin ist einer, der ans programmierte Gute glaubt. Der Wissenschaftler am Georgia Institute of Technology in Atlanta arbeitet an einer Software, die Kriegsmaschinen Ethik eintrichtern soll. Damit etwa militärische Drohnen sich künftig an internationale Gesetze halten, wenn sie in den Kampf ausschwärmen. Terroristen abschießen: ja. Krankenhäuser und Wohnhäuser bombardieren: nein.
Moral als Code, das bedeutet, dass die Maschinen, einmal programmiert, klaren Regeln folgen. Etwa den Robotergesetzen des Schriftstellers Isaac Asimov, die unter anderem vorschreiben, dass Maschinen Menschen nicht schaden dürfen. Oder der Ethik des Utilitarismus, die das Wohlergehen aller Betroffenen maximieren will.
Programmierte Moralkeule
Das Problem liegt im Detail: Im Einzelfall geraten Roboter, genau wie Sterbliche, schnell in ein moralisches Dilemma. Etwa, wenn sie zwei Menschen gleichzeitig davor bewahren müssen, in ein Loch zu fallen. Alan Winfield, Roboteringenieur am Bristol Robotics Laboratory in Großbritannien, simulierte dieses Szenario im Labor mit drei handtellergroßen Robotern. Ergebnis: In der Hälfte der Fälle konnte der Helfer-Bot sich nicht entscheiden, wen seiner Kumpanen er zuerst retten sollte – und ließ beide ins Unglück stürzen.
Selbstfahrende Autos können sich derlei Zögern nicht erlauben. Wenn etwa die Bremsen versagen, muss die Software blitzschnell wählen, wen sie töten soll: Insassen oder Spaziergänger? Kinder oder Alte? Drei Hunde oder einen Menschen? Auf ihrer Webseite Moral Machine lassen Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Millionen Nutzer solche Szenarien durchspielen. „Wir sehen regionale Muster“, sagt Projektleiter Sohan Dsouza. Menschen aus Asien neigten dazu, das Leben der Passagiere zu schützen – auf Kosten der Fußgänger. Menschen aus westlichen Ländern tendierten dagegen dazu, so viele Leben wie möglich zu retten.
Computer schmökert Kinderbücher
Moral ist offenbar relativ, je nach Herkunft, Alter oder Situation. Manche Forscher wollen Roboter darum nicht mit einem festen Ethik-Kodex ausstatten. Stattdessen sollen sich Maschinen moralisches Verhalten von Menschen in ihrer Umgebung abschauen. So sieht das auch Jen-Hsun Huang, Gründer und CEO des US-Chipherstellers Nvidia, der unter anderem Autos mit künstlicher Intelligenz ausstattet. „Intelligente Maschinen sind wie Kinder: Sie können lernen, Gutes wie auch Böses zu tun“, sagt Huang. „Wir sollten künstliche Intelligenz zum Guten erziehen“, wünscht er sich, „so wie wir unseren Kindern gute Vorbilder bieten, ihnen Werte anerziehen und Toleranz für verschiedene Kulturen vermitteln.“
Die Forscher Mark Riedl und Brent Harrison vom Georgia Institute of Technology etwa lassen dazu intelligente Software Kinderbücher schmökern. Die künstliche Intelligenz soll aus den Geschichten Schlüsse ziehen, welches Verhalten gut und welches schlecht ist.
Das Problem daran: Künstliche Intelligenz kann mit den falschen Lerndaten auch unmoralisches Verhalten lernen – wie ein Kind, das in einem Problemviertel aufwächst. Obendrein ist KI-Software oft so komplex, dass selbst ihre Programmierer nicht mehr nachvollziehen können, wie sie zu ihren Schlüssen gekommen ist.
Künstliche Intelligenz in Aktion
„White Collar“-Jobs sind keine Sperrzone mehr für Roboter. Bei der US-Anwaltsfirma Baker & Hostetler arbeitet der digitale Kollege Ross. Er kann mit Hilfe von Datenbanken eigenständig Schlüsse ziehen und Beziehungen herstellen. So liefert er seinen menschlichen Kollegen die nötigen Unterlagen und eine Einschätzung der Relevanz für die bei ihm in Auftrag gegebenen Fälle.
Das Londoner Unternehmen IntelligentX lässt Bier nach einer Rezeptur einer künstlichen Intelligenz brauen. Das Ganze funktioniert mit Hilfe einer App. Wer ein AI-Bier probiert hat, kann dort sein Feedback abgeben. Auf Basis der darüber gesammelten Daten und maschinellem Lernen wird die Rezeptur für das Bier verändert.
Das Berliner Start-up Parlamind arbeitet an einer Software, die bald schon Kundenanfragen beantworten soll. Nachrichten werden dabei automatisch gelesen, erkannt, gruppiert und kategorisiert.
Das Self-Service-Center ist heute schon gar nicht mehr aus der Bankfiliale wegzudenken. Der Trend geht noch viel weiter. Softwares wie etwa das Finanzhandel-Analyseprogramm mit dem Namen Kensho sollen Prognosen zufolge in den nächsten zehn Jahren etliche Angestellte ersetzen.
In japanischen Läden besteht durchaus die Chance auf Pepper zu treffen. Der weiße kleine Roboter begrüßt dort Kunden, und beantwortet Fragen oder nimmt Beschwerden entgegen. In den japanischen Filialen von Nescafé berät Pepper auch schon bei der Kaffeewahl.
Das indes ist nicht nur ein Problem der Roboter: Wenn Menschen in Unfällen reflexartig reagieren, können sie oft hinterher nicht erklären, warum sie wie gehandelt haben. Und oft genug pflegen wir eine Doppelmoral: In einer Science-Studie stimmten 76 Prozent der Befragten zu, dass ein selbstfahrendes Auto lieber den Passagier töten sollte als zehn Passanten. Ein solches Auto kaufen wollte aber kaum einer der Befragten.
Vielleicht sind Maschinen eines Tages doch die konsequenteren Ethiker auf dem Planeten. Aber was, wenn nicht? Wie verhindern, dass superintelligente Maschinen die Welt in Büroklammern verwandeln? Google-Ingenieure haben dazu vor ein paar Monaten eine Lösung vorgeschlagen, eine Art Notausknopf für Roboter: Dreht die künstliche Intelligenz durch, dann schlägt die programmierte Moralkeule zu.