Als der Paketbote zum vierten Mal binnen weniger Tage mit einem klobigen Karton vor unserer Haustür steht, schwant meiner Frau nichts Gutes. „Ist wieder diese Fernseh-Messe“, empfängt sie mich eines Abends im August mit leicht indigniertem Unterton an der Haustür.
Unter leise gemurmelten Entschuldigungen bestätige ich ihre Vermutung: Der Internetadapter für unseren Fernseher, die vernetzbare Sound-Bar fürs Regal, der Home-Server für die digitale Medienbibliothek und die Streaming-Box für die Hi-Fi-Anlage – all das will ich einem Praxistest unterziehen. Und zugleich den familiären Medienkonsum auf ein ganz neues, multivernetztes Niveau heben.
Wie die neuen Streamingdienste die Unterhaltungswelt verändern
Schnelles Internet via DSL, Kabel oder Glasfaser ermöglicht den Abruf der Medien aus der Cloud.
Die Boxen geben Webradio oder Musik-Streams in einzelnen Räumen oder gleichzeitig im ganzen Haus wieder.
Smarte TV-Geräte dienen als Unterhaltungszentrale, spielen Filme aus dem Netz ab und ermöglichen den Zugriff auf Computerspiele etwa im PC.
Die flachen Rechner oder Smartphones werden zur Universal-Fernbedienung für alle Medieninhalte im Haus.
Weitere TV-Geräte zeigen Filme vom Digitalrekorder im Wohnzimmer oder aus dem Netz.
Der Laptop überträgt die digitale Foto-, Musik- und Filmsammlung ins heimische Netz.
Das vernetzte Radio im Fahrzeug greift auf Musik-Streams aus dem Internet oder vom Smartphone zu.
Meine Gattin hat keinesfalls etwas gegen moderne Unterhaltungselektronik. Wenn wir den Tatort verpasst haben, flimmert der Kultkrimi aus der ARD-Mediathek über unseren Fernseher. Urlaubsbilder sehen wir uns mit Freunden auf dem Tablet-Computer an. In der Küche dient das Schnurlostelefon schon mal als Webradio.
Die Menge an Netztechnik aber, die nun bei uns einzieht, erfordert schon mehr als durchschnittliche Multimedia-Begeisterung. Immerhin geht es um den Praxistest zum aktuellen Megatrend: Streaming. Ob Film oder Pop-Hit, Hörbuch oder Onlinegame – es gibt heute kaum ein digitales Genre, das die Deutschen nicht schon millionenfach und ganz legal von einem der vielen Medienportale laden.
Streaming ändert den Medienkonsum
Klassische TV- oder Radioprogramme, jahrzehntelang wichtigste Unterhaltungsquelle daheim, geraten im Immer-online-Zeitalter unter Druck. „Streaming ändert unseren Medienkonsum grundlegend“, sagt Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des deutschen Digitalverbandes Bitkom. Wer braucht noch Musik-CDs oder Film-DVDs, wenn alles aus der Daten-Cloud ins Haus strömt?
In der Tat: Gut drei Viertel der Deutschen über 14 Jahre schauen schon Filme oder Videos per Stream aus dem Netz – sei es von einer der virtuellen Videotheken von Maxdome bis Netflix, aus den Mediatheken der TV-Sender oder von Plattformen wie YouTube. Das ergab eine im Juli veröffentlichte Umfrage im Auftrag des Bitkom.
Auch bei der Musik hat der Medienstrom aus dem Netz das Nischenstadium verlassen. Knapp 40 Prozent der Deutschen nutzen laut Bitkom Streaming-Dienste wie Spotify, Deezer oder Soundcloud. Deren Umsätze erreichten vergangenes Jahr 108 Millionen Euro. Allein das Geschäft im ersten Halbjahr 2015 summiert sich schon auf fast 90 Millionen Euro – ein knappes Viertel des CD-Absatzes in Deutschland.
Die Heim-Vernetzung ist vielfältig wie noch nie
Als am vergangenen Freitag die IFA in Berlin die Tore fürs Publikum öffnete, wurde „fast mehr noch als die klassischen Techniktrends – etwa noch bessere, größere und farbstärkere Bildschirme – die Vielfalt digitaler Angebote in der heimischen Unterhaltung" zum entscheidenden Messethema, sagt Kai Hillebrandt, Deutschlandchef der Unterhaltungselektroniksparte vom Elektronikriesen Samsung.
Die neue Vielfalt bringt nicht nur eine kaum mehr zu überblickende Flut an Medienquellen. Fast alle Inhalte lassen sich auf vielfältigste Geräte im Haushalt übertragen oder von dort abrufen (siehe Grafik). Angesichts der Masse an Kreuz-und-Querverbindungen bekommt der Begriff Heimvernetzung fast schon bildhafte Bedeutung.
Tücken des Streamings: Ärgerliche Insellösungen der Hersteller
„Man könnte es auch Chaos nennen“, grummelt meine Frau beim Blick auf unseren Couchtisch. Wo bisher schon unsere Sammlung aus TV-, Digitalrekorder- und Kabelbox-Fernbedienung lag, kommen nun noch zwei weitere Exemplare dazu. Eine für die Internetbox des Onlineriesen Amazon, eine für das Soundsystem von Bose.
Amazons Fire TV genanntes Gerät habe ich an unseren Fernseher angeschlossen. Es öffnet uns nicht nur den Zugriff auf fast alle beliebigen Internetangebote. Vor allem natürlich bringt es die Inhalte von Amazons Filmportal Prime Instant Video auf unseren Bildschirm, daneben aber unter anderem auch das Film- und Serienportal Netflix. Beides konnte ich mit unserem TV-Gerät bisher nicht nutzen. Denn dessen leicht angejahrte Onlinesoftware kannte die Videodienste schlicht noch nicht.
Die vernetzten Bose-Boxen bringen uns nicht bloß Webradio oder Inhalte von Musikdiensten wie Spotify oder Deezer ins Haus. Ich kann auch die digitale Plattensammlung auf der Multimediafestplatte in unserem Familiennetzwerk ansteuern oder Musik aus meinem Handy abrufen. Es wäre sogar möglich, sie via WLAN auf andere Boxen zu Hause zu streamen.
Das Geschäft mit dem Musik-Streaming
Nachdem MP3-Dateien CDs und Platten ersetzten, bringt das Streaming eine vielleicht noch größere Veränderung für die Musikbranche. Denn die Nutzer zahlen nicht mehr für den Besitz von Musik, sondern deren Nutzung. Für eine Monatsgebühr erhalten sie Zugriff auf Musikkataloge mit Millionen Titeln. Zudem gibt es auch kostenlose Angebote, die über Werbung Geld einnehmen.
Laut dem Bundesverband der Musikindustrie haben die Streamingdienste stark an Bedeutung gewonnen. Derzeit (Stand Sommer 2014) haben sie einen Anteil von fünf Prozent am Musikmarkt. Nach Schätzungen sollen sie 2018 schon 35 Prozent des Marktes ausmachen.
Künstler kritisieren immer wieder die geringe Vergütung – pro gehörtem Stück erhalten sie Bruchteile eines Cents. Die Einnahmen sind bislang deutlich geringer als über die Verkaufsbeteiligungen. Trotzdem schreiben auch Streamingdienste wie Spotify Verluste. Wie sich die Kalkulationen von Streaminganbietern, Plattenfirmen und Musikern künftig ausbalancieren, ist eine der entscheidenden Fragen.
Zumindest theoretisch. In der Praxis hat die vernetzte Unterhaltungswelt durchaus noch ihre Tücken. Nicht bloß, weil die Zahl der Fernbedienungen wächst. Vielmehr haben sich die Hersteller bisher nicht auf einen Standard einigen können, der es erlaubt, beliebige Technik des einen ohne Aufwand mit Geräten eines anderen zu koppeln.
Keine Kommunikation unter Konkurrenten
Netzwerk-Lautsprecher von Bose etwa kommunizieren nicht mit denen des Konkurrenten Sonos. Und dessen Boxen nicht mit jenen des Raumfeld-Systems von Teufel. Was in analogen Hi-Fi-Zeiten völlig selbstverständlich war – einen Verstärker von Yamaha mit einem Tuner von Onkyo zu verbinden und die Musik auf Boxen von Sony abzuspielen –, ist im Digitalzeitalter bisher nahezu unmöglich.
Will ich die Netzwerk-Lautsprecher ausreizen, also etwa beim Wechsel aus dem Wohn- ins Arbeitszimmer mein Musikprogramm einfach mitnehmen, oder aber auf Knopfdruck gleich das ganze Haus beschallen, dann muss ich die komplette Audiotechnik beim gleichen Anbieter kaufen.
Nicht anders sieht es mit den neuen Filmangeboten aus dem Netz aus, mit denen ich den Techniktest meiner Frau schmackhaft zu machen versuche. Um die Videos aus dem iTunes-Archiv ihres iPads auf dem Fernseher anzusehen, brauchen wir entweder die Netzwerkbox Apple TV als Zuspieler oder müssen den Tablet-Rechner an den Bildschirm klemmen. Direkt aus dem Netz lassen sich die Inhalte nicht im Heimkino abspielen. Filme und Serien aus Googles Play Store wiederum zeigt Amazons Fire TV nicht. Umgekehrt finden Inhalte von Amazons Videothek nicht ihren Weg in Googles TV-Adapter Chromecast.
Aus Sicht der Markenstrategen bei den Herstellern mag das verständlich sein. Sie wollen schließlich möglichst viel ihrer eigenen Technik verkaufen. Meine Frau – und mit ihr vermutlich die Mehrheit der potenziellen Kundschaft – findet es schlicht „dämlich“.
Immerhin, geht es um die Inhalte, wächst bei der Software schon zusammen, was bei der Hardware noch nicht harmoniert.
So bietet etwa Sonos’ Handy-App Zugriff auf rund 60 vorkonfigurierte Musik- und Audio-Streaming-Angebote sowie Zigtausende Webradiostationen. „Wir arbeiten auch mit Apple an der Integration von Apple Music in unsere Software und hoffen, dass das noch dieses Jahr klappt“, sagt Jörn Taubert, Chef des Zentraleuropa-Geschäfts bei Sonos. Microsofts Groove-Music-Dienst ist bereits seit Juli in die App integriert.
Industrie muss endlich komfortable Konzepte entwickeln
2002 in Kalifornien gegründet, war das Unternehmen einer der Pioniere des Musik-Streamings. „Für uns war immer klar, dass die Zukunft im Musik-Streaming liegt“, betont Taubert. Statt wie anfangs gedacht fünf Jahre dauerte es am Ende zehn, bis sich der Trend durchsetzt, „aber jetzt ist es so weit“.
Wie das im Idealfall aussieht, erlebe ich beim Test des Musikdienstes Spotify: Dessen gebührenpflichtiges Premiumangebot Connect erlaubt es mir, meinen Hit-Mix zunächst am Rechner zu starten.
Per App schalte ich die Wiedergabe später nahtlos auf Sonos-, Raumfeld- oder Bose-Boxen um. Sogar beim Joggen begleitet mich das persönliche Programm im Smartphone, das die letzten Hits auf der Heimfahrt auch noch zum vernetzten Autoradio überspielt.
Was Kunden am Musik-Streaming schätzen
Ersatz für andere Angebote
Seitdem ich Musikstreaming-Dienste nutze, höre ich kaum noch Musik auf CDs oder Schallplatten.
Stimme zu: 44 Prozent
Stimme nicht zu: 53 Prozent
Keine Angabe: 3 Prozent
Quelle: Bitkom/ Deloitte: Studie Die Zukunft der Consumer Electronics – 2014
Soziale Komponente
Dank Musikstreaming-Angeboten kann ich meine Musik leichter mit Freunden austauschen (z.B. über Playlists, die ich in sozialen Netzwerken teile).
Stimme zu: 64 Prozent
Stimme nicht zu: 32 Prozent
Keine Angabe: 4 Prozent
Neues entdecken
Dank Musikstreaming-Angeboten kann ich leichter neue Musikstücke und -genres entdecken.
Stimme zu: 79 Prozent
Stimme nicht zu: 19 Prozent
Keine Angabe: 2 Prozent
Einfachheit
Musikstreaming-Dienste sind für mich praktisch, da ich damit meine Musik ohne vorheriges Übertragen auf verschiedenen Geräten hören kann.
Stimme zu: 83 Prozent
Stimme nicht zu: 14 Prozent
Keine Angabe: 4 Prozent
Legalität
Ich nutze Musikstreaming-Dienste gerne, weil sie legal sind
Stimme zu: 89 Prozent
Stimme nicht zu: 7 Prozent
Keine Angabe: 5 Prozent
Permanenter Zugriff
An Musikstreaming-Diensten schätze ich vor allem die Möglichkeit, von jedem beliebigen Ort auf sämtliche Musikstücke zugreifen zu können.
Stimme zu: 92 Prozent
Stimme nicht zu: 7 Prozent
Keine Angabe: 2 Prozent
Noch sind so komfortable Konzepte eher die Ausnahme als die Regel. Doch die Industrie arbeitet erkennbar an Lösungen.
Nirgendwo zeigte sich das so deutlich wie an den IFA-Ständen der großen TV-Gerätehersteller. Denn am Ende könnten deren gute alte Fernseher – allen Umbrüchen zum Trotz – Ankerpunkt der vernetzten Unterhaltung werden.
Grenzen zwischen Computer- und Unterhaltungstechnik verschwimmen
Ob bei LG oder Philips, Samsung oder Sony, überall dienen die Flachbildriesen inzwischen auch als Medienzentrale für zu Hause. Die Konzepte sind vielversprechend: Via Handy- oder Tablet-App gesteuert, starten etwa Samsungs TV-Geräte Video-Streams aus dem Netz oder lenken Musik von der PC-Festplatte drahtlos zu Boxen in der Küche. „Die Grenzen der Unterhaltungswelten verschwimmen“, sagt Samsung-Mann Hillebrandt.
Die Fernseher der Isio-Serie vom deutschen Hersteller Technisat besitzen neben dem Netzwerkanschluss gleich mehrere TV-Empfänger. So überspielen sie das Livebild eines Senders per Funk aufs Tablet etwa ins Schlafzimmer. „Wer will, kann so in Ruhe Bundesliga schauen, während der Rest der Familie im Wohnzimmer den Fernseher okkupiert“, skizziert Technisat-Geschäftsführer Stefan Kön ein auch bei uns zu Hause bekanntes Szenario.
Der im Frühjahr 2014 aus der Insolvenz gerettete Hersteller Loewe wiederum führt fast beliebige Medieninhalte in einem zentralen Programmführer zusammen. Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF liegen so in der Senderliste direkt neben dem Onlinefilmverleih oder dem Lieblingsvideokanal von YouTube.
Spätestens bei Philips und Sony verwischen die Grenzen zwischen Computer- und Unterhaltungstechnik vollends: Beide Elektronikkonzerne nutzen für fast alle neuen TV-Geräte Googles Android-Betriebssystem in einer für Fernseher angepassten Variante. Damit mutieren die Gigaglotzen quasi zum größtmöglichen Multimedia-Tablet.
„Unsere Android-TVs passen die Darstellung von Apps und Onlinevideos automatisch an das Querformat der TV-Displays an“, sagt Thomas Nedder, Deutschlandchef bei Sony. Zugleich ließen sich über die Bildschirme im XXL-Format auch beliebige reguläre Smartphone-Apps nutzen. Dank der Integration von Googles Sprachsteuerung reagieren die neuen Android-Fernseher sogar in vielen Fällen aufs Wort.
Aber längst nicht immer. Mit der TV-Technik zu sprechen ist vorerst eher nett als nützlich, zeigt sich in unserem Test daheim. Als ich verbissen, aber vergeblich versuche, Amazons ebenfalls per Sprache steuerbare Fire-Box dazu zu bewegen, einen Film zu starten, bremst meine Gattin das Spielkind in mir. „Nimm doch einfach die Fernsteuerung“, meint sie trocken. Recht hat sie.