Die Tür in die andere Welt liegt gegenüber eines Erotik-Discounters zwischen einem Fitnessstudio und einem Ibis-Hotel, an einer viel befahrenen Straße am Barbarossaplatz in Köln. Von hier geht es in die Zentrale von Mediakraft.
Die unscheinbare Firma ist ein sogenanntes Youtube-Netzwerk, das mit 150 Mitarbeitern Stars produziert. Seine Zugpferde nennen sich Y-Titty, ApeCrime oder Die Lochis. Die Videos allein dieser drei zogen bisher fast 1,2 Milliarden Zuschauer an.
Trotzdem dürften die meisten Deutschen davon noch nie etwas gehört haben. Denn die Superstars, die von Mediakraft und ähnlichen Anbietern aufgebaut und vermarktet werden, sind sogenannte Youtuber. Sie treten nicht in Casting-Shows oder Endlosstaffeln im Fernsehen auf, sondern auf Youtube, der Videoplattform des Internet-Konzerns Google. Dort machen sie Comedy, Songs, erzählen von ihren Einkäufen oder kommentieren den Alltag.
Wenn diese Stars die virtuelle Welt verlassen und live auftreten, kommt es inzwischen zu Szenen wie auf Boyband-Konzerten: Teenies kreischen und fallen schon mal in Ohnmacht. Vor der Mediakraft-Zentrale warten in den Schulferien zeitweise Dutzende Fans darauf, ihre Idole abzupassen. „Manche wurden von ihren Müttern zum Stalken gefahren“, erinnert sich ein Mitarbeiter. Mediakraft engagierte gar einen Sicherheitsdienst, damit der Belagerungszustand nicht außer Kontrolle geriet.
Milliardengeschäft für Google
Außer Kontrolle scheint nun auch die Youtube-Szene zu geraten. Denn die Google-Tochter ist eine Plattform für Milliardengeschäfte geworden, um die ein heftiger Streit entbrannt ist. Netzwerker wie Mediakraft, Medienkonzerne und die neuen Kultfiguren kämpfen wie die Kesselflicker – um die meisten Nutzer, die besten Werbeträger und darum, wie viel Kommerz die Streifen der neuen Stars im Internet vertragen.
Die teuersten Übernahmen von YouTube-Netzwerken
Käufer: Disney
Preis: 950 Millionen US-Dollar
Quelle: eigene Recherchen
Käufer: AT&T/Chernin Group
Preis: 200-300 Millionen US-Dollar
Quelle: eigene Recherchen
Käufer: Dreamworks
Preis: 117 Millionen US-Dollar
Quelle: eigene Recherche
Käufer: RTL
Preis: 107 Millionen US-Dollar
Quelle: eigene Recherche
Käufer: Warner
Preis: 18 Millionen US-Dollar
Quelle: eigene Recherchen
„Das Youtube-Universum ist eine Parallelwelt“, sagt Mediakraft-Co-Geschäftsführer Spartacus Olsson – und eine veritable Konkurrenz zum herkömmlichen Fernsehen. Zum großen Geschäft werden die Videos auf Youtube durch Netzwerke wie Mediakraft. Sie helfen, die Videos zu produzieren und vor allem diese zu Geld zu machen. So organisieren die Netzwerker zum Beispiel Gastauftritte der Youtuber, die so füreinander in ihren Videos werben. Zudem bündeln sie die Clips, um sie besser vermarkten zu können.
So gelang es Mediakraft, dass die Videos der 2500 Youtuber, die das Unternehmen unter Vertrag hat, im Dezember 450 Millionen Mal im Internet abgerufen wurden. Damit werden die Streifen für Unternehmen interessant, um Werbung zu Beginn der Videos zu schalten.
Diese Aussicht hat eine große Schlacht um die Netzwerker ausgelöst. „Online-TV ist das neue Fernsehen“, tönt Mediakraft-Co-Chef Christoph Krachten. Entsprechend massiv greifen alte Medienkonzerne nach den neuen Internet-Firmen, oft mit dreistelligen Millionenbeträgen (siehe Grafik). Als bisherigen Höhepunkt legte Disney bis zu 950 Millionen Dollar für die Maker Studios auf den Tisch. Die haben PewDiePie unter Vertrag, den weltweit erfolgreichsten Youtuber.
„In den USA werden astronomische Summen für Youtube-Netzwerker bezahlt“, sagt Jan Oliver Rode, Chef des Anbieters TubeOne Networks, der vom Plakatwerber Ströer gekauft wurde.
Bei Youtube bestimmen neue Formate das Bild
Deutschlands Youtube-Hauptstadt ist Köln. Hier produziert nicht nur der Netzwerker Mediakraft, der im Sommer 16,5 Millionen Euro von Wagnisfinanzierern wie Iris Capital aus Paris erhielt. In der Domstadt residiert inzwischen auch die neue Ströer-Tochter TubeOne Networks, die ursprünglich aus Hamburg stammt.
Das bisher größte Youtube-Rad in Köln drehte RTL. Die TV-Tochter des Bertelsmann-Konzerns zahlte im November 107 Millionen Dollar für die Mehrheit des Netzwerks Stylehaul. Dabei stach die Sendergruppe unter anderem die US-Medienriesen Hearst und 21st Century Fox aus. Zuvor hatte RTL bereits 27 Millionen Euro für 51 Prozent an Broadband TV aus Vancouver ausgegeben und sich am Berliner Netzwerk Divimove beteiligt. „Wir wollen auch auf der anderen Seite des Zauns eine wesentliche Rolle spielen“, sagt RTL-Chefin Anke Schäferkordt.
Die andere Seite des Zauns, das ist ein wahres Kontrastuniversum zum herkömmlichen TV. Wer es betritt, muss sich fühlen wie der verstorbene Erfinder der Rateshow „Dalli Dalli“, Hans Rosenthal, wenn dieser die Late-Night-Show „Circus Halligalli“ auf ProSieben moderieren müsste.
Shoppingtour und Computerspiele
Im Youtube-Orbit dominieren ganz andere Formate als im Fernsehen, zum Beispiel Let’s-Play-Clips und Hauls. Hier präsentieren junge Mädchen, was sie auf Shoppingtouren bei der Billigkultkette Primark oder im Drogeriemarkt DM erbeutet haben (Haul ist das englische Wort für Beutezug). Oder junge Männer führen – nach dem Motto Let’s Play – die neuesten Computerspiele vor. Zu den Machern der Spiele-Videos gehört Deutschlands erfolgreichster Youtuber Gronkh. Der wird von der ProSiebenSat.1-Internet-Tochter Netzwerk Studio71 produziert und erzielte bisher insgesamt 1,3 Milliarden Abrufe.
„Langsam wird den Entscheidungsträgern in der Werbeindustrie und den Markenherstellern bewusst, was ihre Kinder in der Youtube-Welt machen“, sagt Mediakraft-Co-Geschäftsführer Olsson.
Tatsächlich wandern immer größere Teile der Werbebudgets zu den Online-Videos, nicht nur in den USA. So hat die Techniker Krankenkasse (TK) Ende des vergangenen Jahres eine große Kampagne mit Youtube-Stars gestartet, die in Anzeigen und Videoclips für die gesetzliche Krankenkasse werben. Im Zentrum stehen natürlich Youtube-Spots, in denen zum Beispiel der Videoproduzent Florian Mundt alias LeFloid von einem Unfall mit einem BMX-Rad erzählt, nach dem er seinen Berufswunsch Chirurg abschreiben musste und stattdessen professioneller Youtuber wurde.
Abgang der Affengang
Mehr als 1,2 Millionen Mal wurde der Clip in einem Monat angeklickt. Für ein Werbevideo ist das enorm, alle anderen Youtube-Videos der TK zusammen haben seit 2005 gerade einmal 2,6 Millionen Aufrufe geschafft. Ähnliche Kampagnen dürften in diesem Jahr folgen. „Wir sprechen derzeit mit verschiedenen Unternehmen darüber, Werbespots mit Youtubern zu drehen“, sagt TubeOne-Chef Rode.
Doch je begehrter die Youtuber als Werbeträger sind, umso mehr Zoff gibt es um ihre Vermarktung. Kurz vor dem Start der Kampagne mit der Techniker Krankenkasse hatte Mundt alias LeFloid seine Kündigung bei Mediakraft bekannt gegeben. Kurz vor Weihnachten beendete auch Simon Unge alias Ungespielt die Zusammenarbeit mit Mediakraft und beschimpfte das Unternehmen als „Scheißhaufen“.
Der Shitstorm ist kaum abgeflaut, da ist auch noch ApeCrime, neben Y-Titty der wichtigste verbliebene Partner von Mediakraft, abgesprungen. „Der Vertrag ist Ende des Jahres ausgelaufen“, bestätigt das Unternehmen.
Kommerzialisierung verprellt Fans und Youtuber
Der Abgang der Affengang, wie sich die ApeCrime-Macher Cengiz Dogrul, Andre Schiebler und Jan-Christoph Meyer auch nennen, ist ein enormer Verlust für die Mediakraft. „ApeCrime gehören zu den erfolgreichsten Comedy-Stars Deutschlands“, warb Mediakraft bisher gern. Deren Sketche wurden allein im Dezember 18 Millionen Mal angesehen, der ApeCrime-Song „Ich trau mich nicht“ schaffte es 2013 bis auf Platz 35 der deutschen Charts.
Die Affenbande war auch ein Zugpferd für Werbekunden. Denn neben den vorgeschalteten Spots vermittelt Mediakraft auch Product Placement. „Integrative Werbeformate“, nennt Co-Chef Krachten das. Der Anteil des Geschäfts mit Produktplatzierung an den Einnahmen habe vor zwei Jahren noch 15 bis 20 Prozent betragen, inzwischen sei es ein Drittel. So füllte ApeCrime zur Fußball-WM im Auftrag von Mediakraft mit Coke TV einen eigenen Youtube-Kanal des Brauseriesen. Mediakraft präsentiert zudem die ApeCrime-Parodie auf ein Sony-Playstation-Spiel als „Best Case“, um Werbung unter die Videos zu mischen.
Den deutschen Top-Stars beschert die Werbung vor oder in ihren Clips fünf- bis sechsstellige Summen im Monat. Einen Teil müssen sie an die Netzwerke abgeben. Mediakraft verlangt laut Branchenkennern etwa 30 Prozent. Doch viele Darsteller sind sich ihrer Bedeutung bewusst und wollen einen höheren Anteil.
Hype um die Stars der Szene
Inzwischen gibt es einen Run auf die Youtube-Stars wie auf Fußballtalente. Mediakraft hat gerade Nela Lee von Studio71 abgeworben, die Ex-Moderatorin des ProSieben Boulevardmagazins „Taff“, die nun verstärkt auf eine Youtube-Karriere setzt. Dafür verlor das Unternehmen Ungespielt-Macher Unge, der vermutlich bei TubeOne andockt. „Ich würde mich freuen, wenn wir künftig mehr zusammen machen würden“, sagt Geschäftsführer Rode. Und Mediakraft drohen weitere Abgänge. „Es haben noch eine ganze Reihe Youtuber gekündigt“, sagt ein Insider. Krachten will nun „darüber nachdenken, wie wir die Beziehung zu unseren Partnern verbessern können“.
Fragen und Antworten zu Heartbleed
Die Schwachstelle findet sich in einer Funktion, die eigentlich im Hintergrund laufen sollte: Diese schickt bei einer verschlüsselten Verbindung regelmäßig Daten hin und her, um sicherzugehen, dass beide Seiten noch online sind. Nun ist es aber möglich geworden, dass neben den Test-Daten, auch gespeicherte Informationen, wie Passwörter oder Inhalte von E-Mails übermittelt werden. Der Angreifer kann so alle beliebigen Informationen auslesen.
Fast alle Webseiten, E-Maildienste und Chatprogramme, die OpenSSL nutzen. Darunter sind etwa die Seiten von Yahoo und Flickr, aber auch Hypovereinsbank.de, Web.de, Kicktipp.de, Chefkoch.de. Eine Liste der 10.000 größten Webseiten, die auf die Schwachstelle geprüft wurden, gibt es hier.
Es kann nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass die Werkzeuge zur Verschlüsselung der eigenen Internetdaten gestohlen wurden. Daher empfehlen Fachleute den Austausch der wichtigen Zertifikate. Abwarten gilt hingegen für Nutzer, solange bis der Betreiber die Lücke geschlossen hat. Passwörter können dann geändert werden, aber erst nach dem der OpenSSL-Fehler behoben wurde.
„Das Problem ist, dass ein Angreifer beliebige Information auslesen kann“, sagt Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam. „Man kann Informationen beschaffen, die die ganze Verschlüsselung aushebeln. Deswegen ist es eine ziemlich kritische Schwachstelle.“
Sonst könnte es schwierig werden, weiterhin so viele Nutzer zu erreichen. Mit LeFloid und ApeCrime fehlen künftig zwei Künstler, die zu den Top Fünf in Deutschland zählen. Dies droht das für den Sommer angepeilte Ziel von einer Milliarde Videoaufrufen zu gefährden. „Der Imageschaden durch den Ausstieg von ApeCrime ist enorm“, sagt der Online-Video-Berater Bertram Gugel.
Von der Nische zur Branche
Die Kommerzialisierung der Videos verprellt indes schon manche Fans und YouTuber. „In der Wahrnehmung der Außenwelt geht es bei Youtube derzeit nur um Klicks, Wachstum und Geld“, kritisiert Marie Meimberg. Die Berlinerin macht Videos, hatte für Mediakraft ein Büro in der Hauptstadt aufgebaut, sich aber nach einem halben Jahr wegen unterschiedlicher Vorstellungen getrennt. Meimberg sieht die generelle Entwicklung der Youtube-Szene kritisch. „Wir sind extrem schnell von einer Nische zur Branche geworden“, sagt sie. Dadurch fingen viele Leute an, Youtube-Videos zu machen, in der Illusion, mithilfe der Netzwerker schnell Hunderttausende Fans zu gewinnen und viel Geld zu verdienen. Dabei kämen die Inhalte zu kurz.
Meimberg hat daher mit LeFloid und anderen Youtubern den Verein 301+ gegründet. „Uns geht es darum, geilen Scheiß zu produzieren“, sagt sie. Damit meint sie zum Beispiel das Video #Nichtschön, in dem YouTuberinnen erzählen, warum sie als Frauen nicht auf das Äußere reduziert werden wollen. Oder einen Spendenmarathon für soziale Zwecke, bei dem LeFloid mit Partnern so lange live Computer spielte, wie die Nutzer spendeten – am Ende 48 Stunden. Auf diese Weise kamen 31.500 Euro zusammen.
Auch die Netzwerker reagieren langsam auf die Kritik. So schwärmt TubeOne-Chef Rode inzwischen wieder vom klassischen Youtube-Look anstelle technisch glatter Videos. Seine Devise: „Mehr Handykameras als Hochglanzoptik.“