Studie zu Datenqualität Das große Datenchaos deutscher Unternehmen

Alle Welt redet von Big Data und den großen Wettbewerbsvorteilen, den die komplexe, inhaltliche Analyse von Stammdaten mit sich bringt. Doch deutsche Unternehmen haben viel bodenständigere Sorgen mit der Pflege ihres Unternehmenswissens. Über das Chaos mit den Daten und die wichtige Rolle der CIOs.

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Viele deutsche Unternehmen kämpfen mit der Qualität ihrer Daten. EIn täglicher Kampf für die IT-Chefs um Geld, Ressourcen und Verständnis. Quelle: Fotolia

 

Big Data ist der neue Megahype, der Unternehmen einen enormen Wettbewerbsvorteil verschaffen soll. Wer seine Kunden und seine Unternehmensabläufe kennt, kann gezielt Werbung schalten oder Transportwege optimieren – gar in die Zukunft schauen. Barack Obama hat im Zuge des US-Wahlkampfs im vergangenen Jahr auf politischer Ebene vorgemacht, welche Macht in den Daten steckt. Und Wissenschaftsjournalist Rudi Klausnitzer widmet dem Thema ein ganzes Buch unter dem Titel „Das Ende des Zufalls“.

Doch so vielversprechend der große Hype klingt, er schwebt eine Ebene über der Realität deutscher Unternehmen. Denn die hier erfassten Stammdaten sind qualitativ noch so schlecht, dass sie für eine riesige Datenanalyse im Sinne einer Big Data-Auswertung gar nicht geeignet sind. Das hat eine Studie der Unternehmensberatung „Camelot Management Consultants“ ergeben, die der WirtschaftsWoche Online vorliegt (ab Montag hier abrufbar). Befragt wurden 56 Entscheider aus global agierenden Unternehmen aller Branchen und Unternehmensgrößen. Etwa 60 Prozent der Befragten sehen danach einen enormen Nachholbedarf bei der Messbarkeit und Kontrolle der Datenqualität. Und nicht einmal ein Zehntel nutzt ein geeignetes System zur Messung, Analyse und Kontrolle von Datenqualität.

Die wichtigsten IT-Trends

„Die meisten Unternehmen haben enorme Potenziale, die Effizienz ihrer Prozesse zu steigern“, sagt Jorma Gall von Camelot Management Consultants. Gemeinsam mit seinem Kollegen Henrik Baumeier hat er die Studie verfasst. „Dabei liegt die Lösung sozusagen ungenutzt in der Schublade – in Form ihrer eigenen Unternehmensdaten.“ Dass das so ist, ist bei den meisten Unternehmern inzwischen angekommen. Doch seitdem versucht wird diese Ressource zu heben, zeigt sich, dass es oft an der Grundvoraussetzung für eine strategische Verwertung fehlt.

Datenpflege ist die Pflicht, Big Data die Kür

Die Pflege der Kunden- und Prozessdaten im Unternehmen ist eigentlich kein neues Thema. Und doch hat sich in den letzten Jahrzehnten erschreckend wenig in diesem Bereich getan. Überall ist das Pflegen, Ausmisten und Kontrollieren von Datenbanken das ungeliebte Kind im Unternehmen. Etwas, was getan werden muss, deren konkreter Nutzen sich aber nicht sofort monetarisiert. Neben den Daten, die automatisch generiert werden, lässt es sich bis heute nicht vermeiden, dass auch immer wieder große Daten manuell eingegeben werden müssen. In der Regel sitzen dann Praktikanten oder Aushilfskräfte vor dem Rechner und geben stumpf Namen, Adressen,

Chaos in den Datensätzen

Wie viele Daten wir erzeugen
Riesiges Datenwachstum
iPads
Großstädte
Berge
Mauer
HD-Filme
Tomographie

Telefonnummern, Umsatzzahlen oder Materialkosten ein. Dabei entstehen doppelte Datensätze, Namen werden falsch geschrieben, Zahlen vertauscht. Wo Menschen am Werk sind, da werden auch Fehler gemacht.

Die am häufigsten genannte Ursache für geringe Datenqualität sind unvollständige Stammdaten. „Der Lieferanten- und Materialstamm weist meistens eine bessere Qualität auf als die Kundenstammdaten. Besonders von mangelhafter Stammdatenqualität betroffene Unternehmensbereiche sind das Unternehmens-Reporting und das Lieferketten-Management“, fasst Baumeier die wesentlichen Ergebnisse der Studie zusammen.

Verantwortlich für den Bereich der Datenaufbereitung sind in allen großen Konzernen die CIOs (Chief Information Officer), die IT-Leiter in Unternehmen. Nahezu alle Unternehmen haben das Thema Stammdatenmanagement in dieser Abteilung aufgehängt, da es eng an die Nutzung einer Software gekoppelt ist. Und genau so wurde Stammdaten über Jahrzehnte hinweg verstanden: als ein rein technisches Archiv. Dass sich zwischen all den Tabellen, Listen und Datenbänken bares Geld verbirgt, war vielen Konzernchefs nicht wirklich klar. In den letzten Jahren hat hier ein massiver Wandel in der Wahrnehmung stattgefunden.

Jorma Gall Quelle: Presse

Am schnellsten war auf diesem Weg ganz sicher der Einzelhandel. „Im Konsumgüterbereich sind die Margen sehr gering. Daher hat man hier sehr früh erkannt, dass die gute Datenpflege einen Wettbewerbsvorteil bringt“, sagt Jorma Gall. Berühmtestes Beispiel ist Amazon. Der Online-Versandhandel hat nicht nur seine Hausaufgaben in Sachen Datenpflege gemacht. Das Unternehmen gilt längst als eines der Vorzeige-Beispiele in Sachen Big Data. Wohl kein Einzelhändler hat die Logdaten, das Surfverhalten oder die Userdaten so gut ausgewertet und dadurch die Kunden so gut kennengelernt. Im Ergebnis kann Amazon seinen Kunden passgenau Produkte anbieten.

Auch die Automobilbranche hat in Sachen Datenmanagement zugelegt. Ganz anders sieht es zum Beispiel in der Pharma- und Chemieindustrie aus. „Die Branche ist mit Margen bis 30 Prozent sehr verwöhnt gewesen“, sagt Jorma Gall. „Entsprechend haben die Unternehmen hier - über das, was der strenge rechtliche Rahmen vorgibt hinaus - nicht so viel in den Bereich Stammdatenmanagement investiert.“

Ein Grund dafür könnte die europaweit schwelende Krise sein, die dafür sorgt, dass die Unternehmer das Geld nicht mehr ganz so locker ausgeben. Eine schwierige Situation für die CIOs, die gleichzeitig dafür verantwortlich sind, einem gewissen Anspruch ihrer Vorgesetzten gerecht zu werden.

Datenschlamperei geht ins Geld

 

„Da gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was der CEO gerne hätte und dem, was der CIO mit seinen Mitteln leisten kann“, ist sich Jorma Gall sicher. Ein konkretes Szenario, um das Dilemma zu veranschaulichen: Der Chef einer großen Automobil-Zulieferers würde gerne wissen, wie viel Umsatz durch die Zusammenarbeit mit einem bestimmten Hersteller zusammen gekommen ist. In seinen Augen, muss dafür nur irgendein Knopf gedrückt werden, und dann sind die Ergebnisse da. Im konkreten Fall kann es aber sein, dass das besagte Unternehmen mit zig verschiedenen Profilen in der Datenbank angelegt wurde – und je nach Lieferung ein anderes Datenstammblatt verwendet wurde. „So etwas passiert in den Datenbänken großer Konzerne gar nicht selten“, sagt Gall. Und dann kann so eine eigentlich einfache Auswertung plötzlich zu einem tagesfüllenden Projekt werden. Verknüpft mit entsprechenden Personalkosten.

Henrik Baumeier Quelle: Presse

Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen gibt an, dass die unzureichende Stammdatenqualität sich nach wie vor massiv negativ auf die Prozesse entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette auswirkt. „Vor allem die Lieferketten global agierender Unternehmen lassen sich durch ein besseres Stammdatenmanagement deutlich optimieren“, ist sich Henrik Baumeier sicher. Zu konkreten Zahlen wollen sich die Unternehmensberater nicht hinreißen lassen. Zu unterschiedlich seien die Bedingungen in den einzelnen Branchen und zu schwierig die genauen Summen zu beziffern, die sich durch ein effizienteres Daten-Management wirklich einsparen lassen.

Lieferketten werden unterbrochen

Doch die Auswirkungen sind auch so logisch: Wird das Material oder Teile nicht geliefert, hat das vor allem im produzierenden Gewerbe verheerende Auswirkungen. Allein die Konventionalstrafen für verzögerte Auslieferungen können sich schnell auf mehrere 100.000 Euro belaufen – vom Produktionsstillstand und dem Imageschaden ganz zu schweigen.

Neben den Mängeln im Rahmen der Lieferketten fiel auf, dass in den Bereichen Berichtswesen und Marketing/Vertrieb die gesammelten Daten über eine eher schlechte Qualität verfügen - gefolgt von den Bereichen Einkauf und Logistik. Am besten sahen sich die Unternehmen in der Kundenbetreuung und bei den Finanzen aufgestellt.

Es tut sich was

Insgesamt ist also noch Luft nach oben: Die Technik-Chefs haben genau aus diesem Grund das staubige Thema „Datenbanken“ forciert und in die Management-Ebenen getragen. Eigene Erfahrungen und eine verstärkte Berichterstattung zum Thema Big Data haben sicher dazu beigetragen, dass das Augenmerk der IT-Chefs noch stärker auf das Thema gelenkt worden ist. Zum anderen haben aber auch die Softwareentwickler dem Ganzen einen Schub gegeben. „Die Entwickler haben das Thema erkannt und sind mit neuen Produkten auf die CIOs zugegangen“, sagt Jorma Gall. Vor allem SAP und Oracle haben in den letzten Jahren immer wieder neue Produkte auf den Markt gebracht, die die Abwicklung der Stammdaten erleichtern sollen.

Und das ist dringend nötig. Denn die Datenverwaltung wird auch heute noch von einem Großteil der befragten mit Excel abgewickelt. Über 60 Prozent der Befragten gaben an, hauptsächlich mit dem Windows-Office-Produkt zu arbeiten. „Aus IT-Sicht ist das Tool für die Datenerfassung in global agierenden Konzernen eher ungeeignet, da es kein integriertes Arbeiten zulässt“, sagt Jorma Gall. Dass es dennoch so viel genutzt wird, liegt daran, dass Excel ein weitverbreitetes Werkzeug ist, mit dem sich viele Menschen in einem Unternehmen gut auskennen. Der Umstieg auf ein neues Tool ist immer mit Kosten in der IT und natürlich Personalschulungen verbunden. Außerdem halten sich die IT-Chefs mit dem Kauf neuer Tools noch zurück, weil viele von ihnen noch Kinderkrankheiten haben. „Man hat die Erfahrung gemacht, dass es sich am Ende rechnen kann, noch ein wenig zu warten, ehe man neue Produkte anschafft“, sagt Jorma Gall.

Doch mit einem neuen Werkzeug zur Datenpflege ist es seiner Meinung nach nicht getan. „Die Auswertung der Daten darf keine reine IT-Aufgabe bleiben“, ist er sich sicher. Vielmehr sei es wichtig, die Verantwortung je nach Thema in den einzelnen Abteilungen thematisch zu verankern. „Ein Tool kann nur so gut sein, wie die Anpassung auf die Bedürfnisse des Unternehmens“, sagt Gall. Und dafür muss das Firmen-Know-How auch in die technische Lösung fließen. Die Datenpflege muss zu einem Teil der Unternehmenskultur werden. „Gerade erfolgreiche Unternehmen haben ihr Stammdaten-Management ihrem Geschäftsmodell entsprechend ausgerichtet und eine Strategie, Organisation und Governance eingeführt“, sagt Henrik Baumeier. Denn eine einmalige Stammdaten-Initiative greift den Experten zu kurz.

All das kostet. Um die Qualität herzustellen, die Daten bräuchten, um sie auswertungstauglich zu machen, müssen die Unternehmen tief in die Tasche greifen. Ein umfassendes IT-Konzept kann ein mittelständisches Unternehmen schnell bis zu fünf Millionen Euro kosten. Obwohl sich die Unternehmen mit derartigen Investitionen immer noch schwer tun, scheint sich etwas zu bewegen. Die Berater von Camelot Management haben nach eigenen Angaben festgestellt, dass sich in das Investitionsvolumen in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt hat. Damit ist den CIOs ein erster wichtiger Schritt gelungen. 

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