Tauchsieder
Asoziale Medien? Quelle: Getty Images

Das Gift der asozialen Medien

Donald Trump schlägt Jürgen Habermas: Es zählt nicht mehr die Kraft des besseren Arguments, sondern die twitternde Egalisierung dessen, was stimmt oder auch nicht. Was tun?

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Jürgen Habermas ist mittlerweile 88 Jahre alt und hat weiß Gott seine Ruhe verdient. Aber leider kann man sich das Recht, von der Wirklichkeit unbehelligt zu bleiben, nicht erarbeiten. Zu dieser Wirklichkeit gehört, dass ein zentraler Baustein im Denken des großen Philosophen, die Diskursethik, von der Realität der „Sozialen Medien“ in den vergangenen fünf Jahren restlos kompromittiert wurde.

Zur Erinnerung: Habermas hat den Diskurs seit den Siebzigerjahren als eine Art ortlosen Ort der gesellschaftlichen Selbstverständigung in liberalen Gesellschaften definiert - und im Anschluss an Immanuel Kant als ein „Verfahren der Vernunft“ gepriesen, in dem „kein Zwang außer dem des besseren Arguments ausgeübt wird“. Habermas ging dabei vom guten Willen und vom Interesse des Menschen als eines sozialen Wesens aus, mit sich und der Gesellschaft dauerhaft in einen großen, rationalen Gespräch sein zu wollen.

Selbst wenn sich die Beteiligten im Einzelfall nicht auf „konsensuelle Lösungen“ einigen könnten, so Habermas’ Pointe, so entstünde doch „performativ, also durch die bloße Teilnahme an der diskursiven Praxis“ ein „Hintergrundeinverständnis“ vom Range des kategorischen Imperativs, den man in die saloppe Formel kleiden könnte: "Wenn Du möchtest mein Hörzu, dann lass auch meine Rede zu."

Anders gesagt: Habermas wandte Kants Moraltheorie auf den Raum an, dessen Entstehen und Wandel er 1962 so großartig beschrieben hatte: auf den Raum der Öffentlichkeit. Die Bestimmung ethischer Normen folge in modernen Gesellschaften nicht mehr individuellen Erwägungen („das Gewissen“) wie bei Kant, so Habermas, sondern entstehe in einem intersubjektiven, herrschaftsfreien Dialog. Von dessen Vorzügen überzeugen sich die Menschen im Vollzug des Austauschs von Argumenten - etwa weil dieser Austausch Voraussetzung und Bedingung der Meinungs- und Redefreiheit in einer liberalen Demokratie sei.

Heute klingt Habermas Theorie nach Höhlengleichnis und Weltgeist - wie ein philosophisches Märchen aus längst versunkener Zeit. Es gibt kein „Hintergrundeinverständnis“ mehr über den Wert des Diskurses, auf das sich „eine Öffentlichkeit“ einigen könnte. Und es gibt  keinen Zwang des besseren Arguments mehr auf der Basis einer intersubjektiv ermittelten Wirklichkeit. Stattdessen ist das exakte Gegenteil der Fall: Es herrscht verschärftes Unverständnis zwischen partikularen Öffentlichkeiten, die in digitalen Echokammern ihre Meinungen schärfen - auf der Basis prästabilierter Vorurteile, von Falschheiten und Unterstellungen.

Tatsächlich hat das Wort vom „Informationskrieg“ in den vergangenen Monaten eine ganz neue Bedeutung angenommen. Es geht nicht mehr darum, dass Regierungen und Unternehmen ihren Informationen einen „Spin“ beimischen - und dass sich ihre Erfolgsaussichten dabei ständig verbessern, weil etwa in den USA bereits auf einen Journalisten fünf PR-Leute kommen, die im Schnitt 40 Prozent mehr verdienen. Es geht auch nicht mehr darum, dass Autoritäten Nachrichten manipulieren und Informationen erfinden, um dieselbe Öffentlichkeit zu täuschen, die sie zu ihrer Unterstützung gewinnen wollen - wie etwa im Fall der gefälschten Beweise, der Irak sei 2003 im Besitz von Massenvernichtungswaffen gewesen. 

Sondern es geht darum, Falschinformationen so systematisch und unverhohlen in Umlauf zu bringen, dass sowohl ihre Verifizierung als auch ihre Falsifizierung ausgeschlossen sind - damit die Falschinformation eine Realität annehmen kann, mit der im politischen Diskurs unbedingt zu rechnen ist. 

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