Terrorabwehr Was bringt die Vorratsdatenspeicherung?

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Erwecken die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung falsche Erwartungen?

Die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung ist in der Tat geprägt von einer Vielzahl von falschen Versprechungen und falschen Behauptungen. Wohlmeinend kann man hoffen, dass es sich nur um Irrtümer handelt, böswillig lässt sich aber auch bewusste Täuschung unterstellen.

In jedem Fall ist weder die von manchen Verfechtern der Vorratsdatenspeicherung propagierte Wirksamkeit zur Straftatverhinderung irgendwie belegbar, noch die von ihren Kritikern unterstellte Behauptung nachvollziehbar, die Vorratsdatenspeicherung verwandle Deutschland in einen Überwachungsstaat. Zumindest wer der Bundesrepublik eine – im Großen und Ganzen – funktionierende Gewaltenteilung zugesteht, sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Rechtsprechung (als dritte Gewalt) der Exekutive (als zweiter Gewalt) beim Zugriff auf die im Zuge der Vorratsdatenspeicherung erfassten Daten der Bürger enge Grenzen setzt.

Dabei ist unbestritten, dass die anlasslose Speicherung der Informationen einen Verstoß gegen die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung bedeutet. Ob die nun beschlossene Lösung des Zugriffs mit Richtervorbehalt ein grundgesetzkonformer Kompromiss ist, wird – erneut – das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben. Auch das ist übrigens ein Zeichen einer funktionierenden Gewaltenteilung.

Die Tatsache jedenfalls, dass es in Paris schon wieder zu einem brutalen Attentat gekommen ist, eignet sich nicht als Beleg dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung ein nutzloser Eingriff in die Bürgerrechte darstellt, sondern bloß, dass Befürworter oder Gegner bewusst oder unbewusst die falschen Erwartungen an die Speicherung geweckt haben.

Was soll eine Ausweitung der Datenerfassung dann überhaupt bringen?

Schon die – zwischenzeitlich vom Bundesverfassungsgericht gekippte – Erstfassung der deutschen Vorratsdatenspeicherung gab den Ermittlern längst nicht so weit reichende Datenzugriffsoptionen wie es etwa die im Juni beschlossene Verschärfung der Rechtslage in Frankreich oder die aktuell geplante Gesetzesänderung in Großbritannien zulassen.

In Frankreich ist inzwischen eine Speicherung von Daten über bis zu fünf Jahre möglich. Und weder bei der Speicherung noch bei der Nutzung von (Staats-) Trojanern ist eine richterliche Vorabkontrolle vorgesehen. Und auch in Großbritannien sollen Ermittlungsbehörden ohne richterliche Genehmigung Zugang zu Verbindungsprotokollen erhalten, wie Innenministerin Theresa May Anfang November im Londoner Parlament angekündigt hat. Auch die Überprüfung, wer welche Webseiten aufgerufen hat, soll möglich sein. Nur, wenn es um den Zugriff auf die vollständigen Inhalte der Kommunikation geht – also etwa das Mitlesen von Nachrichten, oder das Mithören von Anrufen oder Sprach-Chats – ist eine juristische Genehmigung vorgesehen.

Und was fordern nun deutsche Ermittler wie GdP-Vize Radek? Weder den Wegfall der richterlichen Kontrolle, noch umfassenden Zugriff auf alle Daten. Stattdessen geht es vor allem um eine Verlängerung der Zugriffsfristen. Aus Sicht der Fahnder sollten die Daten erst nach einem Jahr gelöscht werden.

Wer beim Datenschutz gute Noten bekommt
Ist Datenschutz schon in Deutschland eine heikle Sache, sieht es in den USA noch viel kritischer aus: Die dortigen Ermittlungsbehörden wie die NSA haben durch den Patriot Act, der nach den Anschlägen des 11. September 2001 erlassen und kürzlich leicht abgemildert wurde, viel umfassendere Rechte und Befugnisse zur Abfrage von Daten von Privatpersonen. Und diese nutzen sie auch, während die Gesetze und Regulierungen im Bereich Datenmanagement und Datenschutz mit den technologischen Entwicklungen nicht mithalten können. Die Nichtregierungsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) will mit ihrem regelmäßigen Datenschutz-Report „Who has your back“ auf dieses Problem aufmerksam machen. EFF untersucht 24 große IT- und Telekomunternehmen daraufhin, wie sie mit dem Thema Datenschutz umgehen. Quelle: dpa
Der Report bewertet einerseits, ob sich Firmen gegen teils willkürliche staatliche Überwachung wehren. Zudem wird die Transparenz bewertet, die Firmen darüber herstellen, ob und wie staatlichen Ermittlungsbehörden bei ihnen Zugriff auf Nutzerdaten fordern. Die EFF hat über vier Jahre die Praktiken großer Internet- und IT-Konzerne beobachtet und analysiert, ob die Firmen ihren Fokus eher auf den Schutz der Nutzerdaten oder eher auf die Kooperation mit staatlichen Ermittlern legen. Dabei konnten sie in den vergangenen vier Jahren eine Entwicklung feststellen. Quelle: AP
Während das Thema Datenschutz vor vier Jahren bei kaum einem Unternehmen auf der Agenda stand, hat nun – einige Snowden-, Wikileaks-Enthüllungen und Spähaffären später – laut EFF ein Umdenken eingesetzt: Viele Firmen veröffentlichen Reports über ihren Umgang mit Nutzerdaten und über Regierungsanfragen nach Nutzerdaten. Quelle: dpa
Die EFF hat die Entwicklungen damit aufgefangen, dass sie die Firmen nun unter anderem in der Kategorie des industrieweiten Standards vorbildlicher Praktiken bewerten. Ihre Kriterien im Überblick: 1. Unter dem erwähnten industrieweiten Standard verstehen die Aktivisten etwa, dass die Firma den Staat bei einer Datenanfrage nach einer offiziellen Vollmacht für den spezifischen Fall fragt. Außerdem wird erwartet, dass das Unternehmen einen Transparenzreport über staatliche Anfragen veröffentlicht und dass die Firma deutlich macht, wie sie mit den Regierungsanfragen formell verfährt. 2. In einer weiteren Kategorie wird geprüft, ob Internetfirmen die jeweiligen Nutzer einzeln informieren, wenn sie beziehungsweise ihre Daten von Regierungsanfragen betroffen waren. Als Best Practice Beispiel gelten die Firmen, die ihre Nutzer schon vor der Weitergabe über solche staatlichen Anfragen informieren, sodass diese sich juristisch zur Wehr setzen können. Quelle: dpa
3. Die Aktivisten checkten auch, ob Firmen bekannt machen, wie lange sie Nutzerdaten speichern. Es wurde dabei nicht bewertet, wie lange die Unternehmen IP-Logins, Übersichten über individuellen Datentransfer und auch eigentlich bereits gelöschte Daten speichern und für Ermittlungen verfügbar halten – es geht nur um die Transparenz.4. Regierungen und staatliche Ermittlungsstellen fragen nicht nur Nutzerdaten an, teils verlangen sie von Internet- und Telekomkonzernen auch, unliebsame Nutzer zu blockieren oder Nutzeraccounts zu schließen. Für diese Praxis war zuletzt insbesondere Facebook kritisiert worden, das einige Insassen von Gefängnissen an der Eröffnung eines Accounts hinderte. Auch Informationen darüber honorierten die Aktivisten mit einer positiven Bewertung, wobei ihnen besonders Twitter in dieser Kategorie mit einem umfangreichen Report über Lösch-Gesuche positiv auffiel. 5. Unternehmen bekamen auch eine positive Bewertung, wenn sie sich im öffentlichen Diskurs gegen staatlich geduldete oder gar intendierte Hintertüren in Software und Netzwerken stellen. 21 von 24 untersuchten Firmen nehmen mittlerweile eine solche kritische Position gegenüber dem Überwachungsstaat ein. Quelle: dpa
Adobe hat laut den Aktivisten in den vergangenen Jahren alle Best Practice Standards übernommen, die in der Branche etabliert sind. Adobe verlangt von Ermittlungsbehörden eine explizite Erlaubnis, Daten von Nutzern anzufordern und bekennt sich zudem öffentlich dazu, keine Hintertüren in die eigene Software einzubauen. „Alle Regierungsanfragen für Nutzerdaten müssen bei uns durch den Vordereingang kommen“, schreibt Adobe in seinem Transparenzreport. Die EFF wertet eine solche starke Position gegen die früher gängige Praxis als bemerkenswert – unabhängig von der Wahrhaftigkeit. Quelle: AP
Triumph für Tim Cook. Apple erfüllt alle Kriterien der Aktivisten für möglichst große Transparenz im Bereich Datensicherheit. Der IT-Konzern lässt allerdings einige Hintertürchen offen, neben den Verpflichtungen zur Verschwiegenheit, die ihm etwa durch Gerichte in Einzelfällen auferlegt werden können. Apple behält sich vor, Nutzer nicht über eine Datenabfrage zu informieren, wenn dies nach Einschätzung des Unternehmens gefährlich für das Leben oder die Unversehrtheit von Personen werden könnte. Dies lässt Raum zur Deutung. Quelle: REUTERS

Zum einen, weil der für die Herausgabe einzelner Datensätze erforderliche Nachweis eines begründeten Verdachts gegenüber dem Richter oft erst Wochen nach deren Erfassung möglich sei. Zum anderen, weil in vielen Ermittlungsfällen Hinweise, die die Relevanz einzelner Datensätze belegten, überhaupt erst nach Ablauf der Speicherfrist gefunden werden.

Allzu oft, bemängeln deshalb Fahnder, werde daher erst nach Löschung der Daten klar oder nachweisbar, dass bestimmte Verbindungs- oder Positionsinformationen überhaupt für die Aufklärung von Straftaten nützlich sein könnten – oder dass es wichtig sein könnte, mit wem ein zwischenzeitlich verhafteter Verdächtiger wann kommuniziert habe. Eine längere Datenhaltung verhindere daher nur, so die Fahnder, dass potenzielle Beweismittel vernichtet werden, und bedeute nicht den Einstieg in den umfassenden Überwachungsstaat.

Das klingt schlüssig, umso mehr als die deutsche Vorratsdatenspeicherung neben dem E-Mail-Verkehr auch eine Vielzahl weiterer Kommunikationswege gar nicht erfasst.

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