Theranos Was taugt der Bluttest für Zuhause?

Das milliardenschwere US-Start-up Theranos will mit billigen Bluttests die Medizin demokratisieren. Nun gibt es Zweifel, ob sie funktionieren. Das US-Magazin Forbes hat Gründerin Elizabeth Holmes bereits abgeschrieben.

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Gründerin von Theranos Quelle: REUTERS

Bis vor Kurzem galt Elizabeth Holmes als Wunderkind des Silicon Valley. Mit gerade einmal 19 Jahren hat sie 2003 das Blutanalyse-Unternehmen Theranos gegründet und dafür ihr Studium zum Chemie-Ingenieur an der Eliteuni Stanford an den Nagel gehängt. Bis gestern führte das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ sie jüngste Selfmade-Milliardärin der USA. Geschätztes Vermögen: rund 4,5 Milliarden Dollar (4,0 Milliarden Euro). Nun hat das Magazin die Gründerin des einst hoch gehandelten Bluttest-Startups Theranos vorerst komplett abgeschrieben. Das Vermögen der 32-jährigen Unternehmerin sei auf Null nach unten korrigiert worden, erklärte die Redaktion. Die Bewertung basiere einzig auf Holmes' 50-prozentiger Beteiligung an Theranos.

Dieser Anteil stelle im Zuge von Ermittlungen der US-Behörden wegen des Verdachts inakkurater Tests und Zweifeln am angeblichen Umsatz der Firma derzeit keinen Wert mehr dar, so die Begründung.

In all den Jahren – angeblich um ihr intellektuelles Eigentum zu schützen – hat Holmes keinerlei wissenschaftliche Daten zu ihren Bluttests veröffentlicht oder unabhängige Studien zugelassen, was schon immer Bedenken schürte. Nach Recherchen der US-Wirtschaftszeitung „Wall Street Journal“, das sich auf ehemalige Mitarbeiter beruft, setzt Theranos nur bei 15 der offerierten 240 Tests ihre geheimnisvolle, Edison genannte Technik ein. Ansonsten verwendet das Start-up herkömmliche Verfahren.

Das Geschäft mit dem kleinen Pieks

Dabei hatte Holmes bei ihren Investoren – darunter Oracle-Gründer Larry Ellison, der reichste Mann des Silicon Valley – immer mit ihrer hochinnovativen Methode geworben, die angeblich viel schneller und kostengünstiger arbeitet als alle Verfahren der Konkurrenz und mit wenigen Tropfen Blut auskommt. Ein Pieks in die Fingerkuppe genügt: Das schmerzhafte Abnehmen mit der Spritze aus einer Armvene entfällt.

Gut 240 unterschiedliche Tests bietet Theranos inzwischen an – vom Cholesterin-, Blutzucker- und Hormonspiegel bis zum Nachweis von Hepatitis- oder Aids-Erregern. Sogar in Filialen der US-Drogeriekette Walgreen können Passanten quasi im Vorbeigehen ihre Gesundheit checken lassen. Für nur 5,35 Dollar gibt es etwa eine komplette Analyse aller Zellen im Blut, Blutbild genannt.

Ähnlich wie die Anbieter von Onlinegentests sieht Holmes in solchen Analysen für jedermann den direkten Weg zu einer personalisierten Medizin, die Krankheiten früh genug erkennt, um sie heilen zu können. Die aber auch die Rolle der Mediziner als vermeintlich allwissende Heiler in Weiß infrage stellt.

Gründerin Holmes wittert Intrigen

Auf Druck der US-Arzneimittelbehörde FDA hat Theranos nun Edison mehr oder weniger eingemottet. Die Apparate nutzt das Start-up nur noch zum Test auf Herpes, wofür die FDA eine Zulassung erteilt hat. Gründerin Holmes behauptet, sie habe dies getan, damit die Aufsichtsbehörde nach und nach jede Analyse untersuchen und offiziell zulassen kann. Sie verteidigt weiterhin Edison und wittert Intrigen: „Immer, wenn man etwas Innovatives tut, gibt es Leute, die einen demontieren wollen.“ Das bezieht sich nicht nur auf ihr Verfahren. Denn Holmes, die wie Apple-Gründer Steve Jobs stets einen schwarzen Rollkragen-Pullover trägt, will den Analysemarkt erweitern und Kunden gewinnen, die regelmäßig ihr Blut testen, ohne vorher zum Arzt gehen zu müssen. Das bedroht den Umsatz traditioneller Laborpraxen.

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Doch Investoren wie Ellison dürfte diese Erklärung nicht genügen. Denn er und andere traditionelle Wagnisfinanzierer haben knapp eine halbe Milliarde Dollar in ein Start-up investiert, das nun dieselben Verfahren wie die Konkurrenz einsetzt. Und dessen Ruf auf absehbare Zeit beschädigt sein dürfte.

"Es wäre zu schön, um wahr zu sein"

Zwar hat Theranos nun der FDA 130 weitere Tests zur Begutachtung vorgelegt. Wie schnell und mit welchem Ausgang die Behörde darüber urteilt, ist aber unklar. Auch die Experten können nur rätseln. So sagte David Koch, Präsident der Amerikanischen Vereinigung für Klinische Chemie: „Es könnte wunderbar sein oder floppen, aber ich kann wirklich nicht präziser werden.“ Denn es gebe bisher nichts, was er anschauen oder lesen, geschweige denn, worauf er reagieren könnte. Chefs konkurrierender Diagnostikfirmen wollen zwar nicht namentlich zur wundersamen Theranos-Technik Stellung beziehen, äußern aber unisono: „Es wäre zu schön, um wahr zu sein.“

Der Markt, um den die Kontrahenten buhlen, ist gigantisch. Allein in den USA schätzen die Marktforscher von Frost & Sullivan die Umsätze für Blutanalysen auf 75 Milliarden US-Dollar jährlich. Der Börsenwert des Hauptkonkurrenten Quest Diagnostics beträgt 9,3 Milliarden Dollar. Der Konzern wird dieses Jahr rund 7,5 Milliarden Dollar umsetzen.

Theranos hingegen erlöst nur einen Bruchteil – geschätzt 100 Millionen Dollar –, soll aber trotzdem mehr wert sein als Quest. Bisher. Denn wenn sich die Vorwürfe der Trickserei bewahrheiten, sei Theranos nach Ansicht des prominenten Wagniskapitalgebers Michael Moritz – einem der ersten Investoren von Yahoo und Google – „tödlich verwundet“. Neben Holmes müssen auch Aufsichtsratsmitglieder wie die ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz sowie Richard Kovacevich, CEO der US-Großbank Wells Fargo, um ihren Ruf bangen.

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