Videoformat Kampf um die Standards des Webs

Wieder einmal können sich die Giganten des Webs nicht auf einen gemeinsamen Standard einigen: Um die Nachfolge des Multimedia-Formats Flash tobt ein Kampf der Formate – und diesmal sind Apple und Microsoft Verbündete.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Bald ohne H.264-Unterstützung: Googles Browser Chrome. Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Adobes Flash-Format ist noch unverzichtbar. Laut Adobe haben es 99 Prozent der Internetuser in den entwickelten Ländern installiert. Doch mittelfristig wird es im Web wohl nur noch eine Nebenrolle spielen. Das einst unverzichtbare Plugin für Multimedia-Inhalte im Web wird in den kommenden Jahren vom offenen Standard HTML 5 verdrängt, der anders als Adobes Flash-Format nicht der Kontrolle eines einzelnen Herstellers unterliegt, sondern in einem offenen Gremien-Prozess beim World Wide Web Consortium (W3C) entwickelt wird. Alle relevanten Browserhersteller - die Mozilla-Stiftung, Microsoft, Google, Opera und Apple - unterstützen den neuen Standard.

Der Siegeszug mobiler Geräte wie Smartphones und Tablet-PCs beschleunigt die Ablösung von Flash. Das Format, das ursprünglich nie für Web-Videos ausgelegt war, erhöht den Stromverbrauch, gilt auf allen Plattformen außer Windows als instabil und bringt Sicherheitsprobleme mit sich. Apple unterstützt Flash auf seinen mobilen Geräten iPad und iPhone daher gar nicht mehr. Doch auch HTML 5 ist nicht ohne Tücken - schon längst ist der nächste Formate-Streit entbrannt: Wie frei soll der Videostandard sein, den HTML 5 nutzt?

Der aktuelle MPEG-Standard H.264 galt daher bis vor kurzem als unumstrittener Favorit, um Flash bei Videos im Web zu beerben. Der Standard ist offen, sehr effizient und liberal lizenziert: Wer Videos im Web anbietet, die für den Nutzer kostenlos sind, muss keine Lizenzgebühren zahlen. Youtube wird beispielsweise nicht zur Kasse gebeten. Zahlen müssen aber diejenigen, die eine Software anbieten, um die Videos darzustellen - also auch die Anbieter kostenloser Webbrowser.

Mit einer Unterstützung des Industriestandards würden sich Mozilla und Opera noch ganz andere Probleme aufhalsen, so Volker Zota von der Computerzeitschrift "c't": "Wenn Mozilla beispielsweise seine Engine lizenziert, müssten sie die H.264-Unterstützung ausbauen", so der Videoexperte.

Denn H.264 wird durch ein Konsortium der Patentinhaber namens MPEG LA kontrolliert - zu denen unter anderem Apple gehört. Letztlich würde sich das Web wieder die Abhängigkeit eines Herstellerkonsortiums begeben, das die Patente besitzt. Das wollen die Mozilla-Stiftung und der Browserhersteller Opera nicht akzeptieren - und setzen auf das von Google freigekaufte Format WebM. Das MPEG-Format unterstützen sie nicht.

Google will Patent-Format verhindern

Google selbst unterstützte bisher beide Standards - doch damit ist bald Schluss. Google hatte zuletzt mit seinem Browser Chrome deutliche Marktanteile gewonnen und wirft nun sein gesamtes Gewicht in die Wagschale, um patenbehaftete H.264 als kommenden Standard zu verhindern.

Vergangene Woche kündigte Google überraschend an, H.264 in kommenden Versionen von Chrome nicht mehr zu unterstützen - und stattdessen komplett auf die freie Alternative WebM zu setzen, die Google im vergangenen Jahr gekauft und unter einer Lizenz ähnlich der von freier Software wie Linux freigegeben hatte.

Doch auch WebM hat seine Tücken: Qualitativ wird es nie an H.264 heranreichen, da es um viele Patente herumprogrammiert wurde, so Zota. Darüber hinaus fehlt WebM bisher die Hardware-Unterstützung, die vor allem für mobile Geräte wichtig ist, um den Akku zu schonen. "H.264 ist daher eigentlich die schönere und praktischere Lösung, auch weil der Standard überall sonst eingesetzt wird - vom Digitalfernsehen bis zu Blu-Ray".

Microsoft: WebM ist Esperanto

Darauf verweist auch Microsoft. Der Software-Riese ist neben Apple der einzige große Browseranbieter, der WebM nicht unterstützt. Dem Nutzer bleibt nur die Möglichkeit, mittels Plugin die Unterstützung nachzuinstallieren. In einem offenen Brief an den "Präsidenten der Vereinigten Staaten von Google " macht sich Microsoft-Sprecher Tim Sneath über Googles Vorgehen lustig und vergleicht WebM mit der künstlichen Weltsprache Esperanto, die sich nie durchsetzen konnte: eine nette idealistische Idee, die leider nicht umsetzbar sei. H.264 sei dagegen mit Englisch zu vergleichen, was sich einfach als die praktischere Lösung erwiesen habe, weil es überall eingesetzt werde.

Google: HTML 5 ist in einer Sackgasse

Das sieht Google naturgemäß anders. Produktmanager Mike Jazayeri schreibt in seinem Blog: "Unterm Strich befinden wir uns in einer Sackgasse der Entwicklung von HTML-Video. Es ist alles andere als ideal, dass es keinen Basis-Codec in der HTML-Spezifikation gibt. Deshalb schließen wir uns anderen in der Community an, um in WebM zu investieren und ermuntern alle anderen Browseranbieter dazu, es für die sich entwickelnde HTML-Video-Plattform anzuwenden".

Es bleibt also abzuwarten, ob Googles jüngster strategischer Zug die Patentinhaber von H.264 erneut zum Einlenken bewegen. Sie könnten auch den Browserherstellern die die kostenlose Nutzung des Codecs erlauben. Schon das jüngste Zugeständnis der MPEG LA, die sich ursprünglich die Option offen ließ, ab 2016 auch kostenlose Angebote im Web zur Kasse zu bitten, geht laut dem "c?t"-Experten Zota vor allem auf Googles Freigabe von WebM zurück. Google macht also vor allem Druck.

Wirklich zufrieden wäre die Web-Community aber wohl nur, wenn die Patentinhaber sich zu einer echten Open-Source-Lizenzierung entscheiden würden. Das wiederum ist aber unwahrscheinlich, denn dann könnten die Patentinhaber auch die kostenlose Nutzung des Standards außerhalb des Webs nicht mehr verhindern, so der Experte.

Wer Videos im Web anbietet, steckt damit in einem Dilemma. Will ein Webmaster - zum Beispiel für mobile Geräte - auf Flash verzichten, muss er bis auf weiteres beide Formate anbieten: H.264 für die Nutzer von Microsofts Internet Explorer und Apples Safari, WebM für alle anderen. Eine schnelle Ablösung von Flash steht aber wohl ohnehin nicht an: "Noch ist HTML 5 von vielem ganz weit weg, was Flash heute kann - beispielsweise bei Animationen", sagte Zota.

Zudem kocht wieder jeder Browserhersteller bei dem neuen Standard sein eigenes Süppchen: "HTML-5-Demos von Apple laufen nur auf Apples Safari vernünftig, die von Google nur auf Chrome", beklagt Zota. Das liegt auch daran, das bisher kein Browserhersteller den neuen Standard komplett unterstützt und für viele Webanwendungen - wie Googles 3D-Körper-Anwendung Body Browser - Erweiterungen wie WebGL benötigen." Erleben wir also einen Rückfall in Zeiten, als Websites noch explizit für einen Browser optimiert waren und auf anderen gar nicht funktionierten? "So schlimm wird es wohl nicht mehr werden". Dafür sei die Web-Community heute einfach zu stark für dieses Thema sensibilisiert, glaubt Zota.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%