Von Nullen und Einsen

Die Nachrichtenjunkies der Generation Reload

Kleine Kicks wie frische E-Mails, neue Twitter-Botschaften oder aktualisierte Facebook-Feeds gefallen unserem Gehirn: Es reagiert fast wie unter Drogeneinfluss, sagen Wissenschaftler. Unschön nur, wenn man bei dieser Dauerberieselung dann nicht mehr zum Arbeiten kommt oder ohne Netz eine Art Entzug erleben muss.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Trotz malerischer Kulisse: Laptop bleibt stets in Griffweite Quelle: Onur Hazar Altindag/Fotolia

Als ich neulich im Urlaub war, konnte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, doch mein MacBook Pro samt Drahtlosvernetzung mitzunehmen. "Wie kannst Du das machen", fragte mich ein Kollege, "kannst Du denn gar nicht ohne Internet leben?". Ich faselte irgendwas von wegen "Ein bisschen was muss ich ja doch noch tun" und "Der ein oder andere Kunde muss mich sicher erreichen können".

Dabei war die Reise eigentlich so ausgefuchst vorbereitet, dass ich mich voll auf Erholung hätte konzentrieren können. Die Praxis sah dann natürlich doch ganz anders aus: Mir gelang es nicht, meinen Rechner trotz wunderschöner Umgebung links liegen zu lassen und das übliche Ritual des regelmäßigen Nachrichtenweglesen einzustellen. So gingen täglich mindestens zwei bis drei Stunden drauf. Für meine Frau war das geradezu positiv: Und in der Tat, zuhause ist es viel mehr.

Trotzdem kam mir schnell der Gedanke: Warum, Gott verdammt, machst Du Dich derart abhängig von Deinen Neuigkeitenströmen? Oder besser: Bist Du schon süchtig, auch wenn dieses Junkietum zu Deinem Job gehört?

Den Klick gibts zur Belohnung

Bei der Recherche zum Thema stieß ich auf einen schönen Artikel im US-Online-Magazin "Slate", der die Jagd des Menschen nach den Essenzen des Lebens - Nahrung, Vermehrung und Schlaf - um einen vierten Bereich erweitert sieht: Das Bedürfnis, ständig nach den Nuggets im elektronischen Informationsstrom zu fischen. Dinge wie der "Reload"-Knopf werden zu einer beruhigen Einrichtungen, wenn dann etwas kommt und man es "verarbeiten" kann.

In der Tat haben Wissenschaftler inzwischen herausgefunden, dass der kleine Kick im Kopf, den wir erhalten, wenn eine neue E-Mail eintrifft, die Skype-Freunde sich melden oder irgendwer seinen Facebook-Feed mit einem interessanten Link aktualisiert hat, ein grundlegender Belohnreiz ist. Neben dem Kick dürfte auch die Angst, irgendetwas Wichtiges zu verpassen, zum ständigen Reload führen - das ist die andere Seite der Medaille.

Die Industrie kann von den Reload-Freaks profitieren - indem sie den Nutzern einen ständigen Infofeed vorsetzt, der nicht immer, aber oft genug, interessante bis tolle Nuggets enthält. Auch die zwanghafte Sammelwut steigt durch das Netz: Alle Folgen einer TV-Show, inklusive der Specials, müssen auf der doppelt gesicherten Festplatte lagern, das Extra-PDF, das es nur für Alben-Käufer gibt, wird gerne mitgenommen.

Ich stelle mir dabei nicht selten schon die Frage, wie es manche Leute schaffen, trotz all der Reize noch ihre tatsächliche Arbeit zu erledigen. Schließlich ist das ständige Schauen nach Neuigkeiten nur in den seltensten Berufsgruppen Hauptbeschäftigung (als Journalist bin ich selbst sehr anfällig).

Trick: Dinge gezielt ignorieren

Das Schlimme ist, dass immer mehr unnötige Kicks hinzukommen, die man eigentlich nicht mitbekommen müsste. Das reicht von Twitter-Feeds mit unnötigen Links über die Veränderung des MeinVZ-Status entfernter Verwandter bis hin zur Katzenbilderschau, die man unbedingt anklicken soll. (Microsoft hat neulich ein schönes Werbevideo zum Thema veröffentlicht, ein anderes der gleichen Serie war allerdings eher und wortwörtlich zum Reihern.)

Mein empfohlener Trick ist zwischenzeitlich, Dinge gezielt zu ignorieren. Ich habe da mehrere Kriterien. Besonders gerne klicke ich beispielsweise Analysteneinschätzungen weg, die mein Schwiegeropa mit Alzheimer auch nicht besser hinbekommen würde. In diesem Zusammenhang kann es sogar ungeheuer befriedigend sein, Dinge zu ignorieren, zu löschen oder wegzuklicken. Aber ist das etwas, das die junge Generation, die stetig an neuen Input gewöhnt wurde, überhaupt noch kann?

Ich mache mir dann weniger Sorgen, Dinge zu verpassen, wenn ich mir eine Infrastruktur aufgebaut habe, bei der Wichtiges im Zweifelsfall etwas später hochblubbert. Konzepte wie der RSS-Reader Fever, den man mit zahllosen Nachrichtenkanälen füttert, um daraus dann wirklich nur das wichtigste zu destillieren, sind schon ein erster Schritt.

Trotzdem: Es besteht die reale Gefahr, halb wahnsinnig zu werden, wenn man nicht gelernt hat, abzuschalten. Als vergangenen Dienstag Googles Mail-Dienst ausfiel, konnte man die Nervosität unter den Twitter-Nutzern förmlich riechen. Der Ausfall dauerte ganze 100 Minuten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%