Der Autor Max Goldt schrieb in einem seiner zahlreichen klugen Texte, dass Männer sich dadurch von Frauen unterscheiden, dass sie nichts auf Lautsprechern abstellen. Boxen, zumal voluminöse Standgeräte, sind in vielen Beziehungen Gegenstand von Auseinandersetzungen. Schließlich muss, um gut zu klingen, eine Vielzahl von hochwertigen Lautsprechern ein gutes Stück von der Wand entfernt stehen, wo sie wiederum optisch sehr auffällig sind. Tun sie das nicht, ist auf dem geliebten Hörplatz kein perfekter Klang möglich.
Frieden in häuslichen Gemeinschaften verspricht einmal mehr die Digitalisierung - in diesem Falle die von Lautsprechern. Dank neuer Software nämlich simulieren immer mehr Musikgeräte sowohl eine akustische Fülle als auch perfekte Stereowiedergabe.
Aktuellstes Beispiel für diesen Trend ist die kalifornische HiFi-Lautsprecher-Schmiede Sonos. Am Mittwoch beginnen die Amerikaner in Deutschland mit der Auslieferung der zweiten Generation des Play 5 an die ersten Vorbesteller. Es ist das neue Topmodell des Herstellers.
Tuning für Töne
Die Entwickler haben die Neuauflage der Netzwerk-Lausprecher, die Webradios, Streams aus dem Netz oder die digitale Plattensammlung von der Festplatte abspielen, nicht bloß komplett neu konstruiert. Unter anderem stecken in der neuen Generation der Play-5-Boxen (statt bisher fünf Lautsprechern) jetzt drei Hoch- und drei Mitteltöner. Vor allem hat Sonos seiner Spitzen-Box eine Art digitalen Nachbrenner spendiert. Der soll den Makel bekämpfen, dass selbst die besten Lautsprecher nur selten in akustisch optimal eingerichteten Räumen aufspielen.
Sofas, Regale, Vorhänge, Stühle, Tische - irgendwas steht immer im Weg und verhindert, dass die Schallwellen aus Hoch- und Mitteltönern auf ungestörtem Weg das Trommelfell der Zuhörer erreichen. Statt den Play-5-Käufer zum Umräumen der Möbel zu nötigen, geben ihm die Sonos-Entwickler einen digitalen Assistenten namens Trueplay im wahrsten Wortsinn in die Hand.
Denn wer will, kann den Frequenzgang seiner Boxen mithilfe einer iPhone-App automatisch optimieren.
Das heißt, nicht völlig automatisch, denn der Boxen-Besitzer muss für den digitalen Feinschliff auch selbst noch tätig werden. Während die Play-5-Boxen nach dem Start des Trueplay-Tunings beginnen, ein oszilierendes Wummern und Rauschen wiederzugeben, muss der Audio-Freund - sein Smartphone auf und ab bewegend - den zu vermessenden Raum durchschreiten, als bereite er sich auf eine Prüfung zum katholisch-geprüften Weihrauchschwenker vor.
Genau eine Minute dauert die Prozedur, dann hat die Elektronik genug Sound-Schnipsel erfasst, um den Ist-Klang im Raum mit dem Soll-Sound abzugleichen - und da den Frequenzgang anzupassen, wo die Schwächen der Innenarchitektur allzu herb in die perfekte Schallausbreitung pfuschen.
Wenn der Sound im Sofa versickert
Das gelingt umso besser, je ungünstiger die Boxen platziert sind. Im ersten Test nämlich, bei dem zwei Lautsprecher weit gehend frei stehend aus den Raumecken das Arbeitszimmer des Redakteurs beschallten, verlief der Vorher-Nachher-Vergleich unspektakulär: Der ohnehin opulente Klang der Boxen klang nach dem digitalen Tuning keinen Deut besser als vorher schon. Und auch die Sonos-App kommentierte emotionslos, am Klang sei wenig zu verbessern gewesen.
Ganz anders das Ergebnis nach der Umplatzierung an bewusst ungünstige Standorte: Die eine Box mit den Treibern zur stoffbespannten Rückseite des Sofas gedreht, die andere zwischen zwei Regalen Richtung Wand positioniert, blieb von den zuvor noch gestochen klaren Höhen nichts mehr übrig, und auch die Mitten versickerten konturlos im Raum. Bis zum erneuten Ministranten-tauglichen Sound-Check. Denn danach klang das Boxenpaar - bei unverändert schlechterer Platzierung - plötzlich wieder annähernd so ausgewogen und akzentuiert, als stünde es an bester Stelle.
Update auch für alte Technik
579 Euro berechnet Sonos für eine der neuen Boxen. Das ist alles andere als ein Sonderangebot - und 120 Euro mehr als für die erste Generation der Play-5-Serie. Andererseits sind auch andere, volldigitale Lautsprecher häufig nicht viel günstiger. Zudem beschallt schon eine einzelne Box einen Wohnraum sehr ausgewogen - auch wenn echter Stereosound natürlich erst beim Einsatz von zwei der digital koppelbaren Soundsysteme erklingt.
Immerhin, es müssen nicht unbedingt zwei der neuen Play-5-Boxen sein. Der digitale Tuner Trueplay soll künftig auch die Klänge der ersten Play-5-Generation und auch die kleineren Sonos-Boxen Play 3 und Play 1 schärfen. Das erforderliche Update können die Besitzer älterer Sound-Systeme kostenlos installieren.
Was die Deutschen für Smart Entertainment Systeme ausgeben
Im Jahr 2014 wurden deutschlandweit 58,7 Millionen Euro mit Produkten für die vernetzte, intelligente Heimunterhaltung wie etwa Mehr-Raum-Soundsysteme umgesetzt.
Quelle: Digital Market Outlook/Statista
242016 sollen in Deutschlan124,7 Millionen Euro mit Produkten für die vernetzte, intelligente Heimunterhaltung umgesetzt werden. Ein Zuwachs von 112 Prozent gegenüber 2014.
Laut Hochrechnung sollen 2018 rund 288,72 Millionen Euro mit Produkten für die vernetzte, intelligente Heimunterhaltung umgesetzt werden, gut 130 Prozent mehr als 2016.
Die Prognose für 2020 sagt einen Umsatz von gut 442 Millionen Euro für Produkte zur vernetzten, intelligenten Heimunterhaltung in Deutschland voraus. Ein Zuwachs um 53 Prozent verglichen mit 2018.
Die digitale Bearbeitung der Signale beschränkt sich nicht auf die Boxen aus der kalifornischen Klang-Schmiede. Sie umfasst inzwischen die ganze Bandbreite an Lautsprechern. Das am weitesten verbreitete Segment sind dabei Kleinst-Boxen wie die Pill von Beats oder Boses Sound-Link. Mit Gehäusen, die kaum größer als eine Salatgurke oder ein Schuhkarton sind, produzieren sie einen Klang, der in den Ohren das nahezu gesamte Frequenzspektrum abzubilden scheint.
Kein Druck im Raum
Dabei ist Schall bewegte Luft, und tiefe Töne sind große Mengen bewegte Luft. In klassischen Lautsprechern wird tiefer Bass deshalb durch große Membranen oder sogenannte Transmissionslinien, erreicht, die den Bass durch eine Art Irrgarten im Gehäuse leiten, damit der an Volumen zunimmt. Und schon die Membranen sind oft größer als die ganzen Mini-Boxen. Wo doch ein Blick in ein Streichorchester genügt, um zu wissen: Je tiefer die Töne, desto größer der Resonanzkörper.
So wirkt es wie ein Wunder, dass es den Ingenieuren gelungen ist, den Nutzern ein Hörerlebnis zu suggerieren, das eigentlich nicht existiert. Spätestens bei lauter Rockmusik allerdings fällt jedem auf: Der typische Druck von Bassdrum, der körperlich spürbar ist, der Bass, der in den Magen fährt, der fehlt dann doch.
An einer anderen Stelle, läuft die Täuschung so perfekt, dass sie nicht aufzuspüren ist. Die Musikwiedergabe in Autos der neuesten Generation ist unter anderem deswegen der in vielen Wohnungen überlegen, weil die Ingenieure genau wissen, wie der Hörraum beschaffen ist. Konventionelle Lautsprecher hingegen müssen in unterschiedlichsten Umgebungen ihre Arbeit leisten.
Von der Größe des Raumes, über die Anzahl von Gardinen und Teppichen, Höhe der Decke, Beschaffenheit des Bodenbelags bis zur Zahl der Gardinen und Möbel - alles beeinflusst den Klang. Und für die richtige Positionierung vor dem Hörplatz, gibt es nur wenig Alternativen. Frühe Programme für die Verbesserung der Raumakustik arbeiteten damit, nach der Möblierung im Raum mit sogenannten Absorbern den Schall physisch zu beeinflussen.
Edel-Boxen für 12.000 Euro
Die digitale Bearbeitung ist jedoch keine vermeintlich preiswerte Softwarelösung, um einfache Lautsprecher aufzumotzen. Der schottische High-End-Hersteller Linn geht einen ähnlichen Weg wie Sonos. Seit einigen Wochen ist die Series 5 genannte Serie erhältlich - ab 12.200 Euro für das digitale Abspielgerät Akurate Exakt und die Aktiv-Lautsprecher 520, die gemeinsam musizieren und keine weiteren Verstärker erfordern.
Sie arbeitet mit der hauseigenen Software "Space Optimisation", die in allen Streamern des Herstellers serienmäßig enthalten ist und auch mit Lautsprechern anderer Hersteller funktionieren soll. Entweder der Händler oder der geduldige Kunde selbst orten dabei zunächst selber den akustisch perfekten Ort für die Lautsprecher. Danach werden in das Programm die Daten von Raumhöhe bis Parkett oder Auslegeware eingegeben.
Eine Messung per App, wie bei Sonos, ist nicht vorgesehen. Laut Linn würde der Einsatz eines Mikrofons wiederum eigene Probleme mit sich bringen. Auf Basis der eingegebenen Daten korrigiert das System das Signal so, dass der Lautsprecher in diesem Raum optimal klingt.
Fast noch wichtiger für den häuslichen Frieden könnte sein, dass es damit möglich ist, die Lautsprecher dort zu platzieren, wo es für das Wohngefühl am besten ist und nicht mehr der Stereoeffekt erforderlich macht.
Kleider machen Lautsprecher
Die Software ermöglicht es auch, kaschierende Gewebe vor die Membranen zu spannen, die normalerweise den Klang beeinflussen würden. Von neutralen einfarbigen Hüllen über dicken Harris-Tweed bis zu festen Stoffen mit quirligen Mustern, reicht derzeit die Auswahl, in Zukunft sind auch persönlich gestaltete Hüllen geplant. Die Lautsprecher werden über den dazugehörigen Streamer entsprechend umprogrammiert und der Besitzer kann die waschbaren Bezüge tauschen.
Neben der Optik soll die Software in der Produktreihe mit dem Zusatz "Exakt" aber auch handfeste akustische Vorteile bieten. Da die Verstärker unmittelbar im Lautsprecher verbaut sind, kommt der Nutzer mit einem digitalen Wandler als Abspielgerät aus.
Die Musikdaten ruhen auf einem Server, der irgendwo in der Wohnung versteckt sein darf. Wird die Musiksammlung größer, reicht es, lediglich das Speichermedium auszutauschen, statt sich gleich einen neuen Musik-Server zulegen zu müssen.
Mit diesem Konzept verbindet sich auch echte Zukunftsmusik. Wenn die Bandbreite des Internets es eines Tages erlauben sollte, könnte das Signal theoretisch direkt vom Tonstudio ohne jeglichen Datenverlust an die Lautsprecher gesendet werden. Die Steuerung würde, wie jetzt schon, per Smartphone oder Tablet erfolgen.
Und das würde bedeuten: Eine Kiste weniger im Wohnzimmer, auf die nichts abgestellt werden darf - und mehr Platz für Blumen.