Wachablösung Die Dotcom-Generation wird alt

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Snapchat als Zeichen des Wandels

Alte Internetstars und junge Wilde an der Börse
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Während die Generation-Dotcom reift, Familien gründet, ergraut, das Tempo verringert und sich gelegentlich nach den guten alten Zeiten sehnt, avancieren die in den 90er Jahren Geborenen zu neuen Trendsettern, die zunehmend die Agenda im Web diktieren. Das bisher deutlichste Indiz dafür: Snapchat, die US-App, mit der Nutzer mittels sich selbst zerstörender Fotos und Videos untereinander kommunizieren. Techblogger und -journalisten, Branchenexperten und Beobachter staunten nicht schlecht, als sie Ende 2012 erfuhren, dass Snapchat-Nutzer täglich beachtliche 50 Millionen "Snaps" verschicken. Die treibende Kraft für den Erfolg dieser lange Zeit von der Branche wenig beachteten App: Teenager.

Unbemerkt von den etablierten Kennern und Analysten des Netzgeschehens hat sich Snapchat unter Heranwachsenden vorrangig in den USA zu einer populären Methode entwickelt, um Smartphone-Schnapschüsse und -Kurzvideos auszutauschen, die anders als bei Facebook, Instagram und WhatsApp keinen dauerhaften Bestand haben. Anekdoten wie diese beschreiben, wie Snapchat mittlerweile bei US-Teens ähnlich intensiv genutzt wird wie Instagram. Kein Wunder, dass sich Instagram-Besitzern Facebook dazu gezwungen sah, in der Rekordzeit von zwölf Tagen mit Poke einen eigenen Snapchat-Konkurrenten zu programmieren und zu veröffentlichen. Mit mäßigem Erfolg.

Ob Snapchat als eigenständiges Produkt dauerhaft überleben können wird, bleibt abzuwarten. Doch dies ändert nichts an der Tatsache, dass Teenager abseits der von der Branche eingetretenen Pfade eine App rund um ein neues Kommunikationskonzept zu einem Hit gemacht haben, welche theoretisch irgendwann von allen Altersgruppen ins Herz geschlossen werden könnte. Die üblichen Early Adopter, Blogkoryphäen und Vordenker, die aus Experimentierfreude und Neugier sonst immer als erste auf einen neuen Hype aufspringen, werden in die für sie ungewohnte Rolle der "Early Majority" verwiesen. Sofern sie überhaupt etwas mit Snapchat anfangen können.

Auch im Falle der extrem populären Messenger-App WhatsApp gibt es Grund zur Annahme, dass es die 14- bis 19-Jährigen waren, welche die Anwendung zuerst für sich entdeckten. Offizielle Angaben gibt es dazu von dem US-Unternehmen zwar nicht, aber auch WhatsApp gelangte erst 2012 ins mediale Rampenlicht – was ein Indikator für die verspätete Wahrnehmung innerhalb der Netzwirtschaft darstellt. Den Durchbruch erlangte der in vielerlei Weise eigenwillige Service nämlich schon deutlich früher. Eltern von Teenagern schilderten mir, dass ihre Zöglinge WhatsApp zum Teil bereits seit zweieinhalb Jahren verwenden. Smartphones besitzen heutzutage die meisten Jugendlichen, genutzt werden sie mit Prepaid-Karten. Bei üblichen neun Cent pro SMS lässt sich da durch den Einsatz von WhatsApp viel Geld sparen.

Die wichtigsten IT-Trends

Netzpioniere werden nostalgisch

Nicht nur die Tatsache, dass Jugendliche den nicht mehr ganz so jungen Vertretern der Dotcom-Generation zunehmend die Rolle der Trendsetter streitig machen, ist ein Zeichen für die bevorstehende Wachablösung, sondern auch die Nostalgie, mit der erfahrene Netzmenschen auf die digitale Vergangenheit blicken. "The Web We Lost" von Entepreneur Anil Dash (Jahrgang 1975) sowie "2013: Das Web zurückerobern" von Spreeblick-Blogger und re:publica-Mitveranstalter Johnny Haeusler (Jahrgang 1964) sind zwei in den letzten Wochen vieldiskutierte und von Online-Apologeten fleißig verbreitete Texte, in denen die Autoren den Tagen eines offeneren, weniger von geschlossenen Ökosystemen dominierten Internets nachtrauern. Während inhaltlich viel Wahres in den Werken zu finden und das Eintreten für ein demokratisches, freies, nicht kaputt kommerzialisiertes Web löblich ist, so untermauern die Artikel dennoch das Bild einer ergrauenden Dotcom-Generation, deren Vorstellungen und Ziele rund um das Web sich deutlich von dem unterscheiden, was die Touch-Generation – wie ich heutige und künftige Teens bezeichnen würde – vom Netz will.

Die Auswirkungen des Nachrückens der jungen Digital Natives bei gleichzeitig zunehmender Nostalgie der Dotcom-Generation wird auf verschiedene Weise die nächsten Jahre im Netz beeinflussen: Das "Netz-Establishment" wird sich anstrengen und anpassen müssen, um seinen Einfluss nicht zu schnell schwinden zu sehen. Alternde Blogger, Journalisten und Netztheoretiker, deren Gedankenmodelle und Idealvorstellungen sich zu stark von denen der Jüngeren unterscheiden und zu wenig Anpassungsfähigkeit aufweisen, müssen unweigerlich zu einer Legitmitätskrise führen. Sukzessive werden die heute 14- bis 19-Jährigen einen Teil der Meinungsführerschaft übernehmen. Egal ob sie dorthin mit ihrem eigenen Blog, innerhalb eines größeren Redaktionteams, mit Tweets, Facebook-Status-Updates, Instagram-Fotos oder Snaps gelangen. Oder auf ganz anderen Wegen.

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