WhatsApp Wie es mit dem Messenger-Giganten weitergeht

WhatsApp ist der Riese unter den Messengern - obwohl andere Dienste besser und sicherer sind. Doch Facebook und eigene Zukunftspläne können die Marktposition bedrohen.

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Messenger-König WhatsApp scheint unerreichbar Quelle: Presse

An der Kasse im Supermarkt: "Was haben Sie denn heute noch vor?", fragt die Verkäuferin. "Warum wollen Sie das wissen?", stellt der Kunde empört die Gegenfrage. "Um den Service zu verbessern", lautet die Antwort. Der Bäcker um die Ecke will wissen, was der Kunde gefrühstückt hat. Und der Friseur erkundigt sich nach Beziehungsstatus und Zukunftsplänen.

Klingt skurril? Im realen Leben würden die meisten Menschen sich weigern, diese privaten Informationen preiszugeben – doch in der digitalen Welt scheint es kaum eine Rolle zu spielen, was mit den persönlichen Daten passiert. Bestes Beispiel dafür ist der Messenger WhatsApp. Obwohl dessen Umgang mit Daten zweifelhaft ist, nutzen mittlerweile eine Milliarde Menschen den Dienst. Pro Tag verschicken sie 42 Milliarden Nachrichten über die App.

Mitbewerber wie Threema und Hoccer sind dem Messenger-Giganten in Sachen Datenschutz und Funktionen überlegen – trotzdem haben sie nicht einmal einen Bruchteil der Nutzer. Mit dem schweizerischen Messenger Threema verschicken weltweit vier Millionen Menschen Nachrichten, mit der deutschen Variante Hoccer eine halbe Million. Experten sind sich einig, das WhatsApp seinen Wachstumskurs fortsetzen wird – trotz aller Schwächen.

Im Gegensatz zu manch anderen Messengern müssen User bei WhatsApp ihre Telefonnummer preisgeben – inklusive aller Telefonbuch-Kontakte. Um den Dienst zu nutzen, müssen die User dem Kurznachrichtendienst erlauben, auf Nachrichten, Bilder, Videos und Standorte zuzugreifen. Diese Daten landen auf einem Server in den USA. Was dort mit den Informationen passiert, bleibt ungewiss. WhatsApp schweigt sich darüber aus, wie der Dienst Nachrichten verschlüsselt.

"Für die NSA wäre es ein leichtes Spiel, rückwirkend Informationen über eine Person über den Server zu erhalten", meint Wafa Moussavi-Amin, deutscher Geschäftsführer beim US-Marktforschungsunternehmen IDC. Anhand der Daten aus dem Chatverlauf könne ein komplettes Profil einer Person erstellt werden.

Daten können mit Facebook ausgetauscht werden

Die Angst davor, dass WhatsApp Daten zu kommerziellen Zwecken nutzt, ist vor allem seit der Übernahme durch Facebook unter den Nutzern gewachsen. 2014 kaufte das größte soziale Netzwerk WhatsApp für 22 Milliarden US-Dollar. Zwar beteuert Mitbegründer Jan Koum, dass der Messenger unabhängig bleibe und die Dienste der beiden Plattformen nicht vermischt würden. In den Datenschutzrichtlinien heißt es aber schon länger, dass Informationen mit Facebook ausgetauscht werden können.

Und seitdem die jährliche Abo-Gebühr von 89 Cent entfällt, ist sich Moussavi-Amin sicher, dass auch WhatsApp langfristig die Daten seiner User nutzen muss, um seine Marktposition zu stärken. Die Aussage, dass der Messenger zukünftig stärker in der Kommunikation zwischen Verbraucher und Unternehmen mitmischen wolle, stehe für ihn im Widerspruch zum Statement, dass WhatsApp weiterhin auf Werbung verzichten wolle. "Am Ende des Tages muss WhatsApp Profit machen", sagt Moussavi-Amin. Als Weltmarktführer müsse der Messenger langfristig seine Ideale aus der Gründerzeit aufgeben.

Was an Whatsapp Kopfschmerzen bereitet

Die Werbung wird nach Einschätzung von Moussavi-Amin nicht auf den ersten Blick zu erkennen sein. "WhatsApp wird seine Werbung sicherlich subtiler gestalten", meint der Experte. Koum selbst sagte während eines Vortrages in Deutschland, dass es zukünftig einfacher werden soll, einen Tisch im Restaurant per Nachricht zu bestellen. "WhatsApp könnte den Usern dann vor allem die Lokale vorschlagen, die bereit sind, dafür Geld zu bezahlen, um auf der Plattform präsent zu sein", sagt Moussavi-Amin.

Wo Hoccer WhatsApp überlegen ist

Einen unschlagbaren Vorteil hat WhatsApp, der für die Mehrheit der Nutzer die Nachteile aufzuwiegen scheint: Alle Freunde und Bekannten sind ebenfalls bei WhatsApp. Das beweist der jüngste Test der Stiftung Warentest. Sie hat neun Messenger genauestens unter die Lupe genommen und kommt zu dem Ergebnis: WhatsApp hat einen zu laxen Datenschutz, profitiert aber dennoch von Reichweite und einfacher Handhabung.

Der Name des deutschen Testsiegers scheint selbst hierzulande nur Brancheninsidern bekannt zu sein: Er heißt Hoccer. Drei Millionen Downloads, eine halbe Million aktive Nutzer, 5,5 Millionen verschickte Nachrichten pro Monat. "Vorbildlicher Umgang mit persönlichen Daten", urteilt die Stiftung Warentest.

Um die App zu nutzen, müssen Verbraucher weder Name noch Telefonnummer angeben. Der User erhält eine ID. Der Server steht in Deutschland, die Nachrichten werden nach dem Bundesdatenschutzgesetz behandelt, wonach unter anderem keine Daten an Dritte weitergegeben werden dürfen. Wie bei WhatsApp können User Bilder, Text-, Audio- und Videonachrichten verschicken.

Die beliebtesten Apps in Deutschland
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Zwar hat sich seit der Bewertung durch Stiftung Warentest die Download-Rate von Hoccer verzehnfacht. Trotzdem schlägt WhatsApp seine Mitbewerber noch weit hinter sich ab. "WhatsApp ist konkurrenzlos", sagt Jérôme Glozbach de Cabarrus, Geschäftsführer von Hoccer. "Es ist aber nicht unser Anspruch, Marktführer im Messenger-Bereich zu werden."

"Hoccer muss ein sexy Feature sein"

Er ist fest überzeugt, dass WhatsApp der führende Messenger bleiben wird und sich andere Dienste wie Hoccer ihre Berechtigung auf dem Markt durch Zusatzfunktionen erarbeiten müssen. " Es sind zu wenige Nutzer bereit, den Messenger zu wechseln. Deshalb müssen andere Dienste wie Hoccer zusätzlich zu WhatsApp ein sexy Feature sein", meint der Gründer.

Hoccer will beispielsweise seine Kunden damit locken, dass sie mit fremden Personen unverbindlich in Kontakt bleiben können. Zum Beispiel nach Partys. "Wenn ich nach drei Wochen merke, dass mir die Person doch nicht gefällt, kann ich sie löschen, ohne dass sie persönliche Daten wie die Telefonnummer von mir hat", erklärt Glozbach de Cabarrus.

Bisher haben die Gründer von Hoccer kein Geld mit ihrer Anwendung verdient. Das soll sich im Frühjahr ändern. Dann will das Start-up mit zehn deutschen Unternehmen kooperieren, die jeweils zwischen 300 und 2500 Mitarbeiter beschäftigen. "Die Angestellten dieser Firmen nutzen aufgrund des hohen Datenschutzes unsere Anwendung zur Kommunikation und zahlen dafür pro User einen monatlichen Betrag", erklärt Glozbach de Cabarrus das neue Geschäftsmodell.

Und noch etwas soll sich ab Frühjahr ändern: Private Nutzer sollen – wie beim Mitbewerber Threema – einmalig 1,99 Euro für die Nutzung der App bezahlen. Mit dem Erlös will das fünfköpfige Start-up weitere Märkte erschließen, um zu bestehen: in China oder in der Türkei. "Die First-Messenger-App wird meiner Ansicht nach WhatsApp bleiben. Wir wollen die Second-Messenger-App auf den Smartphones der User werden", sagt Glozbach de Cabarrus.

WhatsApp als zentrale Kommunikationsstelle

Mit WhatsApp haben die Gründer Jan Koum und Brian Acton die klassische SMS überflüssig gemacht. 2012 verschickten die Menschen weltweit mehr als 160 Millionen SMS pro Tag – drei Jahre später nur noch ein Viertel. Im Februar 2009 gründeten die beiden ehemaligen Yahoo-Mitarbeiter WhatsApp Inc. Einen vergleichbaren Nachrichtendienst gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Ausschließlich Instant-Messenger wie ICQ auf den Computern.

Das Motto der Gründer: keine Werbung, keine Spiele, kein Schnickschnack. "Wir betrachten WhatsApp als etwas Praktisches, was einfach zu nutzen bleiben soll. Was wir machen, ist nicht sexy", sagte Koum einst.

Zu diesem Zeitpunkt waren Smartphones weniger verbreitetet, weltweit wurden laut Statista im Jahr 2009 173 Millionen Smartphones verkauft. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es fast zehnmal so viele. Zum damaligen Zeitpunkt war das Risiko für die Gründer hoch, aufgrund der verhältnismäßig geringen Smartphone-Verbreitung mit ihrer Idee zu scheitern.

Doch ihre Risikobereitschaft zahlte sich aus: Vier Jahre später hatte der Dienst weltweit 200 Millionen aktive Nutzer. Im April 2015 knackte WhatsApp die 800-Millionen-Marke – und wurde somit zum am rasantesten wachsenden Internetdienst der Welt. "WhatsApp ist es gelungen, eine kritische Masse an Nutzern zu erreichen, um sich das Monopol zu sichern", sagt Moussavi-Amin.

Facebook ist laut dem Experten die einzige Plattform, die eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie WhatsApp geschrieben hat. Mit ihrem Start im Jahr 2004 machte sie fast alle anderen Netzwerke überflüssig: MySpace, Friendster, Studi- und SchülerVZ. Mit WhatsApp hat Facebook zumindest im Messenger-Bereich diesmal einen ernsthaften Konkurrenten.

Kein Wunder also, dass Mark Zuckerberg das Start-up von Koum und Acton 2014 kaufte. "Die Übernahme stellt für WhatsApp langfristig eine Bedrohung dar", sagt Moussavi-Amin. "Die Frage ist doch, wie lange zwei Messenger nebeneinander existieren können." 800.000 Nutzer hat der Facebook-Messenger. Im Mai soll auch er die eine-Milliarde-Grenze knacken. Ob die beiden irgendwann fusionieren oder einer verschwindet – darüber mag der Experte keine Prognose abgeben. Das Online-Magazin "Heise" berichtet, dass Nutzer der WhatsApp-Beta-Version bereits eine Funktion entdeckt hätten, mit der sie Daten von Facebook und dem Messenger zusammenführen können.

Neben der Bedrohung durch Facebook muss es WhatsApp gelingen, seine Nutzer auch mit seinem neuen Geschäftsmodell bei Laune zu halten. Viel hat Koum noch nicht über die geplante Umstrukturierung des Messengers verraten, es zeichnet sich aber ein Trend unter den Nachrichtendiensten ab. "Plausibel erscheint, dass Messenger-Dienste künftig ihren Funktionsumfang erweitern, etwa indem sie noch mehr Möglichkeiten zur nahtlosen Einbindung von Fotos und Videos bieten, sowie Angebote für Telefonie und Videoübertragungen in Real-Time", sagt Johannes Weicksel, Leiter des Bereichs Telekommunikation beim Branchenverband Bitkom.

Moussavi-Amin hält es sogar für möglich, dass sich WhatsApp zu einer zentralen Kommunikationsstelle auf dem Smartphone entwickeln wird. "So schön es auch ist, viele Apps zu haben – irgendwann verlieren Nutzer den Überblick." Er vermutet, dass WhatsApp einen Button in seine Anwendung integrieren wird, worüber die Nutzer auf verschiedene Tools zugreifen werden.

Oberstes Gebot: Der User muss die Funktionen schnell und einfach nutzen können. "Auch wenn WhatsApp wegen seiner hohen Nutzerzahl in Zukunft nicht so enorme Wachstumsschübe vorlegen wird wie in der Vergangenheit, wird der Messenger weiter wachsen und seine Monopolstellung verteidigen", ist sich Moussavi-Amin sicher.

Auch dann, wenn der Dienst offensichtlich weiß, welche Pläne der Nutzer für den Tag hat, was er frühstückt und wie seine Zukunftspläne aussehen.

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