Sie ist berühmt und berüchtigt – und ein absoluter Freeride-Klassiker im Alpenraum. Die bis zu 40 Grad steile Nordabfahrt von der Valluga, jenem markanten Gipfel im österreichischen Arlberg-Massiv, ist eine Sehnsuchtsroute.
Die Tiefschneepiste führt über rund 900 Höhenmeter runter nach Zürs. Zunächst geht es, genau auf der Grenze zwischen Vorarlberg und Tirol, aus gut 2800 Metern Höhe hinab durch den extremen Nordhang, später hinaus durch die Weite des Pazieltals.
Die anspruchsvolle Nordroute war – seit Erschließung des Arlbergs als Wintersportregion Anfang vergangenen Jahrhunderts – für Skifahrer die einzige Möglichkeit, mit Skiern zwischen den Tiroler Abfahrten und dem Großteil der Vorarlberger Pisten zu wechseln. Wollten Sie nicht mit Bus oder Auto über die enge Flexenpass-Straße Richtung Zürs und Lech fahren.
Obwohl seit Jahren in einem gemeinsamen Liftpass verbunden, blieben Lech, Zürs und Zug im Westen durch die steilen Felshänge oberhalb des Flexenpasses von Sankt Anton, Sankt Christoph und Stuben im Osten getrennt.
Und die Idee einer alpinen Verbindung zwischen den renommierten Skiorten blieb über Jahrzehnte nur ein unerfüllter Traum der örtlichen Sport- und Tourismusverantwortlichen.
45 Millionen Euro für den prestigeträchtigen Titel
Mit dem Start in die aktuelle Wintersaison ist er wahr geworden. Rund 45 Millionen Euro hat sich der Verbund der regionalen Seilbahnbetreiber eines der größten Seilbahnprojekte kosten lassen, das in den vergangenen Jahren überhaupt im Alpenraum realisiert wurde.
Den ganzen Sommer über haben sie nicht nur im Westen die angejahrte, rote Pendelgondel zum Zürser Trittkopf durch eine nun über zwei Etappen verlaufende Umlaufbahn ersetzt. Sie haben auch an der Ostseite die neue Flexenbahn von der Alpe Rauz über die Steilwände hinauf zur Mittelstation der neuen Trittkopfbahn gebaut.
Insgesamt addiert sich damit die Zahl der Anlagen und Pistenkilometer nun auf 87 Lifte und 305 Kilometer Abfahrten. „Der Kreis ist endlich geschlossen“, sagte Philipp Zangerl, kurz vor der Eröffnung des in der Skiregion lange erwogenen und über die Jahre doch immer wieder verworfenen Projekts. Zangerl ist Vorstandschef der Ski Zürs AG und damit einer der drei Träger des Millionenprojekts, mit dem sich die Region das prestigeträchtige Etikett „des größten Skigebiets in Österreich“ sichert.
Für den Bergbahnmanager ist das gut investiertes Geld, das den Skiverbund zukunftssicher macht. „Damit“, sagt er, „werden wir sicher neue Gäste für den Arlberg gewinnen.“
Genau darum nämlich geht es. Die Top-Destinationen rüsten auf im Kampf um die Gunst einer schrumpfenden Zahl von Skiurlaubern, die zudem heute deutlich kürzer in den Bergen Ferien macht, als etwa noch vor einem Jahrzehnt. Sie investieren Jahr für Jahr hunderte von Millionen Euro in neue Technik – von Schneemaschinen bis zu neuen Seilbahnen. Sie wollen die Kundschaft mit Superlativen locken. Und speziell in Österreichs am dichtesten besetzter Skiregion, in Tirol, treiben sich die Tourismusverantwortlichen dabei zu immer neuen Mega-Projekten.
Und die neue Flexenbahn ist nur ein Beispiel aus der laufenden Saison für diese Entwicklung.
Am stärksten leidet die Schweiz
„Umfragen belegen, dass die Größe des Skigebietes das wichtigste Entscheidungskriterium bei der Wahl des Urlaubsortes ist“, sagt der Schweizer Unternehmensberater Laurent Vanat, einer der führenden Experten für Wintersporttourismus. Und Wachstum, das dokumentiert Vanat in seinem jährlichen Report, gibt es nur noch zulasten der Konkurrenz.
Gemessen an der wichtigsten Vergleichsgröße der Branche, den sogenannten „Skifahrertagen“ – das ist die Summe aller Pistentage aller Gäste in der jeweiligen Skiregion –, stagniert der Tourismus in fast allen relevanten Destinationen seit rund fünf Jahren.
Günstigstenfalls!
Im traditionellsten aller alpinen Wintersportziele, der Schweiz, fällt die Zahl der Besuche nämlich bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Verglichen mit der Saison 2004/2005 liegt die Auslastung inzwischen fast 20 Prozent niedriger.
Auch weil der Schweizer Franken für ausländische Gäste immer teurer geworden ist. Bekamen Urlauber aus Euro-Staaten 2008/2009 noch 1,62 Schweizer Franken pro Euro, waren es in der vergangenen Saison nur noch 1,08 Franken.
Die beliebtesten Winterreiseziele
26 Prozent der Befragten sind im Winter schon mal nach Italien oder Malta verreist.
Quelle: Statista-Umfrage Winterurlaub 2016/17
Basis: Befragung von 1000 Personen ab 18 Jahren
Ebenfalls 26 Prozent haben den Winterurlaub schon mal in Frankreich verbracht.
Mallorca, Menorca, Ibiza: Wohl die Sehnsucht nach Meer und Sonne führte 27 Prozent der Befragten im Winter schon mal an ein eigentlich klassisches Sommerreiseziel: die Balearen.
Auch die Kanaren locken mit milden Temperaturen - immerhin 28 Prozent der Befragten waren im Winter schon mal auf der Inselgruppe.
41 Prozent der Umfrageteilnehmer haben den Winterurlaub schon mal in der Schweiz verbracht. Ski fahren, Fondue und Raclette essen sind schließlich klassische Freizeitbeschäftigungen an frostigen Tagen.
Ein weiteres klassisches Winterreiseziel ist Österreich. Über die Hälfte der Befragten, nämlich 58 Prozent, hat ihren Winterurlaub schon mal dort verbracht.
Deutschland ist das beliebteste Winterreiseziel: 66 Prozent der Befragten haben ihren Winterurlaub schon mal in Deutschland verbracht.
Mit der Folge, dass der Gästeanteil aus dem Ausland auf nur noch rund 46 Prozent gesunken ist. Früher lag er deutlich über der Hälfte aller Skiurlauber. Mehr noch, die „Schweizer, die sich heute lieber in Österreich die Bretter anschnallen, bilden den größten grenzübergreifenden Verkehrsfluss innerhalb der Alpenländer“, resümiert Marktforscher Vanat.
Doch auch bei den Profiteuren des teuren Frankens macht sich inzwischen Ernüchterung breit. Lange hatten Frankreich und – mehr noch – Österreich steigende Besucherzahlen verzeichnet. Seit 2011/2012 aber ist es auch damit vorbei. Seither sinkt auch in diesen beiden Ländern die Zahl der Skifahrertage.
„Und es ist augenfällig, dass das nicht bloß eine Frage schneereicherer oder -ärmerer Winter ist“, sagt der Schweizer Experte. „Der Trend trifft alle wichtigen Märkte, dass weniger Gäste kommen und diese auch noch kürzer bleiben.“
Zwölf Euro Kosten pro Kubikmeter Kunstschnee
Die Entwicklung verschärft sich noch dadurch, dass – über alle Skigebiet betrachtet – die Zahl der skifahrtauglichen Tage in den Alpen sinkt. Gerade in tiefergelegenen Gebieten reicht der Naturschnee mitunter gar nicht mehr für einen profitablen Liftbetrieb aus.
Eine Entwicklung, gegen die sich die Ski-Destinationen mit höchst unterschiedlichem Aufwand stemmen. Während etwa in Deutschlands Hoch- und Mittelgebirgen der größte Teil der Skigebiete in Höhen liegt, bei denen sich die Kunstschneeproduktion nicht lohnt, sieht das in Österreich völlig anders aus. Durchschnittlich 130 Millionen Euro haben die Betreiber dort seit 2008 in Beschneiungstechnik investiert. Pro Jahr, wohlgemerkt.
Die Folge: Knapp zwei Drittel der Pistenkilometer können dort bei Niederschlagsmangel mit Belag aus der Schneekanone hergerichtet werden. Rund 50.000 Euro kostet eine der an überproportionale Trommeln erinnernden Schneekanonen. Friert es, können sie unzählige zu winzigsten Kugeln gefrierende Wassertröpfchen auf die Piste werfen. Aus einem Kubikmeter Wasser werden so rund 2,5 Kubikmeter Kunstschnee – jeder einzelne, je nach technischem Aufwand bei der Produktion, zwischen 2,5 und 15 Euro teuer.
Alles in allem summieren sich die Investitionen der Seilbahn- und Liftbetreiber im Alpenstaat seit 2000 auf mehr als sieben Milliarden Euro – durchschnittlich also rund 470 Millionen Euro im Jahr. Zum Vergleich: Das ist mehr als die Hälfte der Summe, mit der beispielsweise der Deutsche Bundestag jährlich im Bundeshaushalt auftaucht.
So groß die Beträge auch sind, es sind vor allem zwei Spezialunternehmen, die vom Investitionswettlauf der Alpin-Resorts profitieren.
Nur zwei Konzerne teilen sich den Markt
Die Millionensummen fließen in erster Linie in Ersatzbauten, denn steigende Umweltschutzauflagen sorgen dafür, dass im Alpenraum kaum noch neue Pisten erschlossen werden. Da wird dann eben im Bestand geklotzt.
Zur Freude der wichtigsten verbliebenen Seilbahnbauer im Alpenraum, Doppelmayr Garaventa aus Vorarlberg und Leitner Ropeways aus Südtirol. Die Unternehmen konkurrieren im engen Markt um die Großprojekte mit Seil- und Sesselbahnen, und zwar nicht bloß im Alpenraum, sondern global.
Größter alpiner Auftraggeber dürften in diesem Jahr die Stubaier Bergbahnen gewesen sein, mit einem Projekt gegen das sich sogar die Arlbergüberquerung am Flexen als preiswert ausnimmt. Das ebenfalls in Tirol gelegene Skigebiet hat über den Sommer seine wichtigste Seilbahn ersetzt. Immerhin 64 Millionen Euro flossen in den Bau der von Leitner gelieferten neuen Eisgratbahn.
Für weitere 38 Millionen Euro hat Sölden, ein weiterer der Tiroler Top-Skiorte, im vergangenen Sommer tonnenweise Stahl und Beton bewegt und unter anderem die Gaisachkoglbahnen komplett erneuert. Daneben befördert die ebenfalls erneuerte Giggijoch-Bahn nun stündlich bis zu 4500 Skiläufer ins Skigebiet. Der Vorgänger schaffte nicht mal die Hälfte.
Ein Mega-Projekt soll zwei Gletscher verbinden
Komplette Neubauten, wie die Flexenbahn (ein Doppelmayr-Projekt), sind inzwischen die Ausnahme. Die konnten ihre Betreiber nur realisieren, weil sie auf die Anlage zusätzlicher Pistenkilometer verzichtet haben. Von der einen auf die andere Seite gelangt man am Arlberg inzwischen zwar ohne Bus oder Auto, aber eben nur in der Gondel und nicht mit Brettern unter den Füßen.
Keine 90 Kilometer südöstlich vom Arlberg gelegen, wollen zwei Seilbahnbetreiber nun aber doch noch einmal ein ganz großes Projekt anstoßen. Rund 120 Millionen Euro kalkulieren die Pitztaler Gletscherbahnen und ihr Pendant aus Sölden im Ötztal für die Verbindung ihrer beiden Gletscherskigebiete. Drei neue Seilbahnen wollen sie dafür am Fernerkogl erreichten.
Aktuelle Investitionen in deutsche Skigebiete
10,4 Mio. Euro
13 Mio. Euro
25 Mio. Euro
50 Mio. Euro
50 Mio. Euro
Der größte Teil der Flächen ist seit gut zehn Jahren für die Erweiterung der Skigebiete freigegeben. Im vergangenen Sommer nun haben die Betreiber die entsprechenden Unterlagen zur Prüfung eingereicht. Ob und wann sie eine Baugenehmigung bekommen, ist allerdings noch offen.
Der nächste Traum der Arlberger
Es dürfte eine Entscheidung sein, die auch die Bergbahner am Arlberg mit Aufmerksamkeit verfolgen. Nachdem sich der Traum der Flexen-Verbindung erfüllt hat, blicken speziell die Verantwortlichen in Sankt Anton nun ganz ans östliche Ende des Arlberger Skigebietes: aufs Rendl-Plateau.
Wo die meisten Ski-Fahrer leben
Im Land der Mitte wird nicht erst im Zuge der Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 massiv am Ausbau von Skigebieten gearbeitet. Mit dem wachsenden Wohlstand erlebt der Wintersport derzeit einen Boom. China mag also nicht unbedingt als traditionelle Skination bekannt sein, schafft es mit 6,75 Millionen aktiven Ski- und Snowboardfahrern aber immerhin unter die Top 5.
Mit 270 Quadratkilometer Pistenfläche liegen in Frankreich einige der größten Skigebiete der Alpen. Gemessen an den Liftfahrten pro Tag ist Frankreich sogar die zweitgrößte Skination der Welt. Mit 8,57 Millionen aktiven Wintersportlern in der vergangenen Wintersaison reicht es für Platz 4.
Nicht umsonst war Japan bereits zwei mal Gastgeber der Olympischen Winterspiele: Von November bis Mai sind vor allem die Berge Nord- und Zentraljapans ein Paradies für Skifahrer und Snowboarder. Mit 11,45 Millionen landet Japan auf dem dritten Platz.
Am bekanntesten sind die schneesicheren Skigebiete in den deutschen Alpen, doch auch in den Mittelgebirgen kommen Wintersportfans auf ihre Kosten: Als klassische Skination mit 14,61 Millionen aktiven Wintersportlern in der Saison 2015/2016, schafft es Deutschland auf Rang 2.
Aspen, Deer Valley, Big Sky, Heavenly: Der so genannte "Champagne Powder" gilt unter Wintersportlern als der großartigste Schnee der Welt. Mit 25,02 Millionen Skifahrern und Snowboardern in der der Skisaison 2015/2016 sind die Vereinigten Staaten unangefochtene Nummer Eins.
Nicht weit entfernt von der Bergstation der Riffelbahn II unterhalb der Vorderen Rendlspitze liegt dort, jenseits des Malfon-Tals, der Gipfelgrat unterhalb des Kreuzjochs, der den Arlberg von den Pisten rund um Kappl im Patznauntal trennt.
Bisher sind dort oben, ähnlich wie an der Valluga-Nordabfahrt, nur Freerider unterwegs. Die fahren durchs Malfon Richtung Pettneu ab. Im Grunde aber ließe sich – ein paar Millionen Euro im Investitionstopf und den Segen der Naturschutzbehörden vorausgesetzt – ganz hinten am Rendl mit zwei neuen Seilbahnen auch eine Verbindung der Skigebiete bis Kappl schaffen.
Davon träumen sie schon lange in Sankt Anton. Aber träumen, das sind sie da ja gewohnt.