Zukunft der Medien Unkreative Zerstörung in der Medienbranche

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Mangel an kreativem strategischen Denken

Würden wir uns beim morgendlichen Frühstück minutenlang ohne Unterlass anbrüllen oder beim Lesen hin und her schubsen lassen? Sicher nicht. Warum sollen wir das im Internet mit uns machen lassen? Was sagt das über uns, die wir alle an dem 24/7-Byte-Geballer mitwirken? Es sagt, dass wir uns gegenseitig so behandeln, als seien wir die Resterampen der digitalen Zerstreuung. Der derzeitige Slogan der Werbewirtschaft – „Klick mich!“ – hat ungefähr den erotischen Reiz der früheren Call-in-Werbeformate im Privatfernsehen.

Die Digitalisierung wirkt für das Geschäftsmodell kostenfreie Inhalte gegen Werbeaufmerksamkeit bislang nicht schöpferisch, also kreativ zerstörend, indem den Nutzern neue, interessante, ästhetisch und inhaltlich überzeugende Werbebotschaften angeboten würden. Sie hat unkreativ zerstörend gewirkt und viele Websites in nervtötende Reizschleudern verwandelt. Das ist ein Zeichen für einen Mangel an kreativem strategischem Denken und auch für die Faulheit, lieber das existierende Geschäftsmodell bis zum Letzten auszureizen, als neue Ideen zu entwickeln.

Es ist Zeit, daran etwas zu ändern. In den vergangenen zehn Jahren hat sich unsere Aufmerksamkeitsspanne von zwölf auf acht Sekunden reduziert. Sie liegt damit nun unter der eines Goldfischs. Das liegt auch daran, dass das Werbemodell in der digitalen Medienwelt auf Reizüberflutung statt Qualitätsbotschaften, auf dumpfe Reaktion statt Engagement setzt.

Wir haben es in der Hand oder besser: in unserem Gehirn, endlich mehr kreative Energie auf gute Werbung, auf ästhetische Reize, auf faszinierende Botschaften, gut erzählt, zu richten. Das sind Botschaften, die nicht als Artillerie der Reize daherkommen, sondern schlank, chic, klar und attraktiv.

Das Web-Analytics-Start-up Chartbeat in New York liefert den Beweis, dass viele Menschen eine Produkt­enttäuschung erleben, wenn sie durch reißerische Headlines zum Klicken animiert werden, und dann hält das Angebot nicht, was der Teaser versprochen hat. Chartbeat-CEO Tony Haile wirbt deshalb unermüdlich für den Schritt weg vom Klick- zum Engagement-Modell. Unter dem Stichwort „Engagement“ werden Verweildauer und Interaktion mit einer Website gemessen, und siehe da: Wo die Ansprache stimmt, ist die Absprungrate gering.

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