Zukunftsforschung Wo uns 2015 technisch hinführt

Zukunftsforscherin Michaela Evers-Wölk blickt ins neue Jahr und darüber hinaus: Ein Gespräch über Megatrends, das Internet der Dinge und auf welche Technik wir wohl noch Jahre warten müssen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Michaela Evers-Wölk Quelle: PR

WirtschaftsWoche: Frau Evers-Wölk, vorneweg die grundsätzliche Frage: Wie erforschen Sie Zukunft?

Michaela Evers-Wölk: Wir erforschen Zukunft zunächst mithilfe wissenschaftlicher Mittel. Wir entwickeln Zukunftsbilder und versuchen, mögliche, wahrscheinliche und wünschbare zukünftige Entwicklungen zu definieren. Dies beinhaltet immer zwei Komponenten: eine analytische und in vielen Projekten zudem eine normative.
Wir richten den Blick auf die Gestaltung der Zukunft, indem wir mit Forschungs- und Beratungsprojekten herausfinden möchten, welche Werte und Ziele wir uns für die Zukunft wünschen. Dazu zählen Fragen wie: Was können wir tun, um diese Werte und Ziele zu erreichen? Oder in wirtschaftlichen Projekten: Was möchte ein wirtschaftlicher Verbund, welche Vorteile bieten sich in der kooperativen Zusammenarbeit? Hierbei vor allem im Bereich der Nachhaltigkeit, der Suche nach Lösungen, die ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig sind. Hier fragen wir zum Beispiel: Was wird angestrebt und wie können wir das mit Hilfe der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse umsetzen?

Was sind denn wahrscheinliche Zukunftsentwicklungen?

Wir arbeiten in der Zukunftsforschung des IZTs beispielsweise am Konzept der Megatrends. Der Begriff ist oft ein Ausgangspunkt für wissenschaftliche Analysen. Der Bereich der Digitalisierung ist ein solcher wichtiger Megatrend. Das bedeutet, dass er langfristig ausgerichtet und auch sehr wahrscheinlich ist.
Bricht man das herunter, landet man beispielsweise beim Internet der Dinge und Dienste. An den Megatrends ausgerichtet beschäftigen wir uns mit strukturellen Dingen und überlegen, was sie für soziale Praktiken oder auch für konkrete Branchen bedeuten. Anhand der verschiedenen Megatrends, etwa Digitalisierung und Technologisierung, dann Globalisierung und Internationalisierung, oder der Demografische Wandel, können wir von bestimmten Entwicklungen ausgehen. Anhand dieser wird überlegt, was das konkret für die Zukunft bedeutet.

Fünf Technik-Trends für 2015

Zum Beispiel im Bereich des Internets des Dinge: Dass Steuerungssysteme immer häufiger in Objekte übertragen werden und nicht nur das Internet of People umgesetzt wird, ist ein eindeutiger, langfristiger Entwicklungstrend. Wir können eigentlich immer nur Nuancen in den nächsten Jahren vorausschauen, aber jetzt ist das eine kontinuierliche Entwicklung. Das heißt, es ist ein klarer Zukunftstrend, dass die Steuerung zunehmend in Objekte geht. Man sieht es zum Teil schon im alltäglichen Bereich – wie etwa bei der elektrischen Zahnbürste, die mit dem Smartphone verknüpft werden kann.
Das sind nur sehr schmale Verknüpfungen, aber das lässt zumindest kurzfristig auf einem Markt schon einen Blick zu, was das Internet der Dinge bedeutet. Gleiches gilt für das mobile Wissen, das beispielsweise auf Veranstaltungen und großen Messen bereits nutzbar wird. Dort wird der Austausch von Wissen zwischen Menschen und zwischen Mensch und Maschine immer häufiger organisiert und damit sichtbar.

Umsetzung bisher theoretischer Zukunftsideen

Das Internet der Dinge beschäftigt die Experten schon seit Jahren. Könnte man sagen, dass es 2015 eine besondere Rolle spielen wird?

Von der Umsetzung sicher! In den vergangenen Jahren hat man sich mit der theoretischen, wissenschaftlichen Seite sehr beschäftigt. Aber jetzt wird es zunehmend umgesetzt, sodass sich tatsächlich mehr Unternehmen auf dem Markt befinden, die das Konzept des Internets der Dinge in Produkten realisieren. Wissenschaftlich ist es als Konzept schon länger bekannt. Es gibt aber auch die bekannten Probleme – etwa bei der Standardisierung und Abstimmung zwischen den Unternehmen. Außerdem muss man auch den Datenaustausch entsprechend gestalten. Das muss sich entsprechend der Dienstleistung entwickeln. Ich denke, das wird innerhalb der nächsten zwei Jahre andere Anwendungen ermöglichen, weil sich mehr getan haben wird.

Deutschland hat keine Ahnung vom Internet
Laut einer Studie der Internationale Fernmeldeunion (ITU) haben 4,3 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zum Internet oder zu Handys, ein Großteil von ihnen lebt in Entwicklungsländern. Besonders in Afrika mangelt es an der Verbreitung der modernen Technik, wie der Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex der ITU zeigt. Internationales Schlusslicht ist die Zentralafrikanische Republik auf Platz 166. Allerdings steigt in den Entwicklungsländern die Verbreitung rasant: 2013 stieg die Verbreitung um 8,7 Prozent - in den Industrienationen waren es dagegen nur 3,3 Prozent mehr. Und einige der Industriestaaten könnten durchaus noch Nachhilfe gebrauchen. Quelle: AP
So schafft es Deutschland nur auf Platz 17, was die Zugänglichkeit und die Nutzung von Internet und Handys sowie die Kompetenz der Bevölkerung im Umgang mit der Technik angeht. In der Bundesrepublik hapert es jedoch nicht nur an der flächendeckenden Versorgung mit schnellen Internetanbindungen. Bereits im Jahr 2012 hat eine Studie von Eurostat den Deutschen in Sachen Computerkenntnisse kein gutes Zeugnis ausgestellt. Und daran hat sich bis dato nicht viel geändert. Nur 58 Prozent der Deutschen haben mittlere bis gute PC-Kenntnisse. Und selbst die Digital Natives, die mit Computern, Internet und Handy groß geworden sind, gehen nicht automatisch kompetent mit den neuen Medien um. Zu diesem zentralen Ergebnis kommt eine weltweite Studie zu den Computer- und Internetkenntnissen von Achtklässlern. Quelle: dpa
Doch selbst die USA - Heimatland von Google, Facebook, Microsoft, Twitter & Co. - wurden von der ITU nur auf Platz 14 eingestuft. Im kommenden Jahr könnten sich die USA jedoch hocharbeiten. Dann nämlich sollen zumindest in New York alte Telefonzellen durch kostenlose Wifi-Stationen ersetzt werden. Fehlen nur noch die ländlichen Regionen versorgt. Quelle: dpa
Österreich und die Schweiz landen im weltweiten Internet-Ranking auf den Plätzen zwölf und 13. Auch bei der „International Computer and Information Literacy Study “ (ICILS) schnitten Österreich und die Schweiz besser ab, als Deutschland. Die Schüler aus den Nachbarstaaten taten sich leichter, einfache Textdokumente am Computer zu erstelle oder eigenständig Informationen zu ermitteln (Kompetenzstufen III und IV). Von den deutschen Schüler erreichte dagegen nur jeder Dritte die untersten Kompetenzstufen I und II: Das bedeutet, dass viele deutsche Jugendlichen gerade einmal über rudimentäres Wissen und Fertigkeiten beim Umgang mit neuen Technologien verfügt. Sie konnten etwa einen Link oder eine E-Mail öffnen. Quelle: AP
Besser als die deutschsprachigen Länder schnitten dagegen Japan (Platz elf), Luxemburg (Platz zehn), Hongkong (Platz neun) und Finnland (Platz acht). Quelle: dapd
Selbst unsere Nachbarn im Westen sind in puncto Verbreitung und Kompetenz deutlich besser aufgestellt: Mit einem Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex von 8.38 kommen die Niederlande auf Platz sieben und sind damit zehn Plätze vor Deutschland mit einem Index von 7,90. Quelle: AP
Auf Platz drei liegt Schweden mit einem Index von 8.67 vor Island (8.64), Großbritannien (8.50) und Norwegen (8.39). Quelle: REUTERS

Könnte man also sagen, 2015 unterscheidet sich von 2014 darin, dass wir im neuen Jahr einige dieser Ideen endlich in die Tat umsetzen können?

Ich hoffe es! Davon gehe ich sicher aus. Es wird zunehmend in die Tat umgesetzt und es wird auch zunehmend komplexer in die Tat umgesetzt. 2014 gibt es die vernetzte Zahnbürste und wenn man in die Labore blickt, finden sich dort sehr spannende Anwendungen, die bald kommen werden.
Dies sind zumeist vernetzte Systeme, wie etwa die Vernetzung zwischen Helmen, Fahrrädern und Autos. Im Bereich der Mobilität sind es sehr intelligente Szenarien mit Blick auf die Sicherheit. Das hat im Moment Pilotstatus, aber es wird garantiert in den kommenden Jahren umgesetzt. Wie groß die Hürden sind, hängt vom unternehmerischen Kalkül ab. Das lässt sich immer schlecht prognostizieren. Aber man kann grundsätzlich sagen, 2015 wird mehr und intelligenter umgesetzt – also mehr Steuerung in Geräten. Der Trend besteht schon länger, aber die Komplexität steigt und damit auch der Anwendungskomfort der Produkte, die angeboten werden.

Der Verbraucher sieht es vor allem im Auto oder am Smart Home, die sich 2014 in den Vordergrund gespielt haben. Aber zumeist sind diese Systeme noch nicht im Alltag angekommen. Wird sich das 2015 ändern?

Es hängt immer an dem Erfolgsfaktor Standardisierung. Ich denke, es wird mehr ankommen, aber mit Sicherheit noch nicht im Ideal. Es sprechen ökonomische Gründe dagegen. Eine totale Vernetzung ist aus Sicht der Verbraucher zum Teil sinnvoll – wenn man Privatsphäre und Datenschutz berücksichtigt. Aber es ist nicht unbedingt für die Unternehmen von Interesse mit Blick auf ihre Geschäftsmodelle.

Smart Home - Das schlaue Zuhause

Deswegen bin ich nicht so optimistisch, dass 2015 wirklich der Riesensprung kommen wird und das, was an Vernetzung möglich wäre, auch umgesetzt wird. Wir werden so weit kommen, wie es die Entwicklungsbedingungen zulassen. Und wenn die ökonomischen Anreizmodelle so nicht aufgestellt sind, dann wird sich das auch nicht ideal entwickeln.

Fällt das dann also – wie Sie vorhin aufschlüsselten – unter die wünschbaren Entwicklungen? Oder was würden Sie als wünschbar einordnen?

Wünschbare Zukunftsentwicklungen werfen den Blick darauf, was sich in der Gesellschaft bewegt und welchen Herausforderungen sie sich stellen muss. Da rücken, wenn man mal einen anderen Megatrend wie den Demografischen Wandel in den Blick rückt, andere Aspekte in den Vordergrund: Die Alterung und der Pflegesektor werfen Probleme wie den Fachkräftemangel oder Ideen wie das lebenslange Lernen auf.
Mit beidem müssen wir uns heute auseinandersetzen. Bei dem Megatrend Demografischer Wandel sehen wir, dass mit neuen Technologien sinnvolle Anwendungen ermöglicht werden könnten und sollten. Zum Beispiel könnten diese vor Ort Menschen dabei unterstützen, mit mehr Kompetenz auch in schwierigen Situationen zu pflegen, die Arbeitsbedingungen deutlich verbessern und auch die Lebensbedingungen. Es ist ja zunehmend der Fall, dass Menschen in Einzelhaushalten pflege- oder zumindest hilfebedürftig sind und da auch durchaus mit Ansätzen der intelligenten Vernetzung und Technologien einen gewissen Bedarf abdecken können. Das wäre eine wünschbare Zukunftsentwicklung.

Sektorvernetzung braucht noch einige Jahre

Gibt es denn Technologien, die noch Zeit brauchen, die Sie nicht in den nächsten zwei, drei sondern vielleicht sogar erst in zehn Jahren sehen?

Es gibt eine ganze Reihe sehr umfassender Technologien, die eher bis 2020 oder 2030 brauchen werden. So sind etwa bestimmte Beleuchtungstechnologien eher mittelfristig zu erwarten. Sobald man verschiedene Sektoren miteinander vernetzt, ist das immer eher mittel- bis langfristig aus meiner Sicht, da der Abstimmungsbedarf sehr hoch ist.
Denken wir zum Beispiel an das fahrerlose Auto: Das ist eine langfristige Entwicklung, weil sie – beispielsweise im haftungsrechtlichen Bereich – voraussetzungsstark ist und viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Außerdem müssen zwischen den einzelnen wirtschaftlichen Sektoren Absprachen getroffen werden. Deshalb sehe ich diese Technologie eher langfristig.

 

Inwiefern ist die Zukunftsforschung denn tatsächlich der gern visualisierte „Blick in die trübe Glaskugel“?

Die Glaskugel wird immer wieder gerne als Bild benutzt, aber die Zukunftsforschung arbeitet gar nicht mit der Glaskugel. Sie ist sinnbildlich dafür, dass man errät, was passieren wird, aber wir arbeiten vor allem mit den Mitteln der qualitativen Sozialforschung. Das bedeutet, es handelt sich immer um eine Ableitung von wissenschaftlichen Faktoren in eine wahrscheinliche und normativ wünschbare Entwicklung.
Ob eine erdachte Entwicklung dann auch so eintritt, ist überhaupt kein Kriterium aus Sicht der Zukunftsforschung. Man kann natürlich sagen: das ist etwas, das wir uns wünschen. Die Zukunftsforschung dient im Grunde der Kommunikation oder der Auseinandersetzung für das Handeln heute. Mit deren Hilfe möchten wir uns zukünftige Entwicklungen plausibler, plastischer, bildhafter machen, um darüber zu diskutieren und um auf die Zukunftsentwicklung Einfluss zu nehmen.

Gibt es etwas, was Sie für den aktuellen Zeitraum um 2015 erwartet haben, was auch so gekommen ist?

Ein klassischer Horizont sind immer 15 bis 20 Jahre. In diesen Zeitrahmen passen frühere Projekte im Bereich virtueller Unternehmen, die wir im Auftrag des Forschungsministeriums gemacht haben. Das sind tatsächlich Entwicklungen, die man heute auch sieht. Die Vernetzungsstrukturen und die strukturellen Veränderungen auf den Arbeitsmärkten haben sich vollzogen, sodass sich vieles entkoppelt von klassischen, traditionellen Formen der Erwerbsarbeit entwickelt hat. Individuelle, atypische Beschäftigungsverhältnisse sind in der Überzahl und das mobile Arbeiten ist heute deutlich ausgeprägt. Das haben wir vor zwanzig Jahren in den absehbaren strukturellen Entwicklungen so benannt.

Was erwarten und was wünschen Sie sich als Zukunftsforscherin für das neue Jahr?

Ich wünsche mir und erwarte für 2015, dass sich in der Forschung, Praxis und Gesellschaft die Menschen mehr sensibilisieren, sodass die Fragen der Zukunftsgestaltung mehr in den Blick rücken und dass man sich nicht so von den Technologien überrollen lässt. Die Technologisierung von Gesellschaft vollzieht sich, wird aber wenig wissenschaftlich begleitet.
Es gibt zwar Forschungsprojekte zu den möglichen Folgen dieser Entwicklung, aber aus meiner Sicht könnte insbesondere die Diskussion auf der Werteebene verstärkt werden, da die Technologisierung so massive Auswirkungen auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene hat. Ich wünsche mir, dass es eine stärkere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema gibt, sodass mehr der gesellschaftliche Bedarf in den Vordergrund gerückt wird, als das rein technisch Mögliche.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%