Enthüllungen Menschliche Abgründe bei Microsoft

Schuften wie im Arbeitslager, kaltes Geschäftsgebaren – und geniale Ideen: Mitbegründer Paul Allen hat den Aufstieg von Microsoft von der ersten Stunde an miterlebt. In seiner Biografie beschreibt er die Schattenseiten der Zusammenarbeit mit Bill Gates.

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Bill Gates Paul Allen Quelle: ap

Als ich mich eines Nachmittags im Dezember 1974 auf den Weg zum Harvard Square machte, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, dass sich mein Leben schon bald drastisch ändern sollte. Es war ein kalter Wintertag, es schneite, ich war gerade einmal 21 Jahre alt. Damals gab es in meinem Leben nur eine einzige Konstante: einen Harvard-Studenten namens Bill Gates.

Seit dem Tag, an dem wir uns (sechs Jahre zuvor) in der Lakeside School über den Weg gelaufen waren, waren wir unzertrennlich; obwohl er erst in die achte Klasse ging und ich in die zehnte. Dort hatten Bill und ich gelernt, wie man Quellcodes analysiert. Wir suchten fieberhaft nach einem Projekt, mit dem sich damit Geld verdienen ließ. Letztlich einigten wir uns auf das Schreiben von Programmen.

Bei belegten Baguettes oder einer Salamipizza im Harvard House of Pizza malten wir uns in schillerndsten Farben unsere Zukunft als Unternehmer aus. Eines Tages sagte ich zu Bill: „Stell dir vor, alles klappt, wie wir uns das vorstellen. Wie groß soll unsere Firma einmal werden?“

Ehrgeizige Vorhaben

„Ich gehe mal davon aus, dass wir eines Tages bis zu 35 Programmierer beschäftigen“, gab er zur Antwort. Ein in meinen Augen ziemlich ehrgeiziges Vorhaben.

Im Oktober 1976 war Microsoft so groß geworden, dass wir es nicht mehr von unserem Wohnzimmer aus betreiben konnten. Wir bestellten Bürostühle und Tische bei einem Billiganbieter und bezogen unseren ersten richtigen Firmensitz, ein gemietetes Büro mit vier Räumen.

1977 vollzog sich ein unumkehrbarer Wandel im Markt für Personal Computer. Innerhalb von sechs Monaten kamen drei Geräte der zweiten Generation auf den Markt, die als Dreifaltigkeit von 1977 bezeichnet wurden: Apple II, Commodore PET und Tandy TRS-80. Bei allen handelte es sich um fertig montierte Computer von der Stange mit eingebauter Tastatur.

1977 vollzog sich ein unumkehrbarer Wandel im Markt für Personal Computer. Innerhalb von sechs Monaten kamen drei Geräte der zweiten Generation auf den Markt, die als Dreifaltigkeit von 1977 bezeichnet wurden: Apple II, Commodore PET und Tandy TRS-80. Bei allen handelte es sich um fertig montierte Computer von der Stange mit eingebauter Tastatur.

Die Modelle von Commodore und Tandy besaßen obendrein noch einen integrierten Schwarz-Weiß-Monitor und einen Kassettenrekorder zu einem Schnäppchenpreis von nur 600 Dollar. Der Einstiegspreis für den hochwertigeren Apple II lag bei 1298 Dollar – dafür ließ er sich ganz einfach erweitern und konnte schon mit einer Farbgrafik aufwarten.

Obwohl mir klar war, dass es sich bei den meisten dieser Computermodelle um Eintagsfliegen handelte, konnte ich nicht aufhören, mir die Fortschritte dieser aufstrebenden Branche auszumalen – und davon zu träumen, wie PCs eines Tages genutzt würden. So schrieb ich in meiner Kolumne, die 1977 im Magazin „Personal Computing“ erschien: „Ich gehe davon aus, dass der Computer eines Tages zum ständigen Begleiter wird, der Notizen erstellt, die Buchhaltung erledigt, an Geburtstage und sonstige Termine erinnert und Tausende persönlicher Aufgaben übernimmt.“

Mit einem Schwert zum Mittelalterfest

Wir waren schon ein seltsamer Haufen bei Microsoft. Bob Wallace, ein Programmierer, war ein mit überaus trockenem Humor gesegneter Spaßvogel, der später maßgeblich zur Entwicklung von Shareware beitrug und viel Geld für die Erforschung bewusstseinserweiternder Drogen ausgab. Jim Lane, unser Projektmanager, wiederum war stolzer Besitzer eines Breitschwerts und verpasste kein einziges Mittelalterfest.

Doch niemand war so eigenbrötlerisch wie Gordon Letwin, ein Programmierer und Computerfreak sondergleichen, der sich immer wieder in sein Büro einsperrte und makellose Software-Codes abspulte. Gordon traute niemandem. Für jedes Zeitschriftenabonnement verwendete er einen anderen Namen – A. Gordon Letwin, B. Gordon Letwin und so weiter –, damit er nachvollziehen konnte, wem er die Flut an Werbung zu verdanken hatte. Er heiratete eine gewisse Rose, und gemeinsam zogen sie ein Schwein groß, das sie wie ein Familienmitglied behandelten.

Mit blutunterlaufenen Augen zur Arbeit

Als das Schwein etwa 30 Kilogramm schwer war, stürmte es durch seine Schweineklappe ins Haus wie ein Fullback beim Football, der einen Angriff abwehrt. Jahre später erfuhr ich, dass Gordon sein Schwein mit an Bord seines Learjet nahm.

Bill wollte zum harten Kern der Programmierer gehören. Er trank literweise Cola und arbeitete bis spät in die Nacht. Am nächsten Tag erschien er dann regelmäßig schlecht gelaunt und mit blutunterlaufenen Augen zur Arbeit. Immer wenn er drohte, zusammenzuklappen, machte er ein Nickerchen.

Bill Gates (vorne links) Paul Allen (vorne rechts)

Kurz nachdem Miriam Lubow als Sekretärin bei uns angefangen hatte, fand sie ihren Chef eines montagmorgens am Boden liegend vor und kam kreischend aus dessen Büro gerannt. Völlig aufgelöst rief sie Büroleiter Steve Wood zu: „Schnell, ich brauche Hilfe! Bill liegt am Boden, und ich glaube, er ist bewusstlos!“ Steve sog ganz ruhig an seiner Pfeife und sagte: „Schon gut, er hat vermutlich wieder das ganze Wochenende durchgearbeitet. Machen Sie sich keine Sorgen, gehen Sie einfach wieder an Ihre Arbeit.“

Gates mutierte zum Sklaventreiber

Bill verlangte von seinen Mitarbeitern ebenso viel wie von sich selbst. Er mutierte zu einem Sklaventreiber, der sich an den Wochenenden sogar auf dem Firmenparkplatz herumtrieb, um zu sehen, wer da war.

Bob Greenberg, einer unserer Programmierer, riss einmal von Montag bis Donnerstag 81 Stunden ab, weil er ein Programm für Texas Instruments zumindest teilweise fertig schreiben wollte. Als Bill sich gegen Ende dieses Marathons bei Bob meldete, fragte er: „Und woran arbeitest du morgen?“

„Ich wollte eigentlich freinehmen“, antwortete Bob. Bill sah ihn mit großen Augen an: „Wieso das denn?“ Er konnte diesen Wunsch einfach nicht nachvollziehen.

Streit auf der Tagesordnung

Immer wenn jemand mit seiner Arbeit hinterher war, war seine Standardantwort: „Das hätte ich an einem Wochenende programmiert!“ Und wenn man sich seine Argumente für eine Auseinandersetzung mit ihm nicht sorgfältig genug zurechtgelegt hatte oder Bill schlechte Laune hatte, griff er auf seinen Klassiker zurück: „Das ist der allerdämlichste verfluchte Scheißdreck, der mir jemals untergekommen ist!“ Vorfälle wie diese standen auf der Tagesordnung. Auch Bill und ich gerieten uns in die Haare, meistens spät in der Nacht, wenn außer uns niemand mehr da war. In unserer Firma hielt sich das Gerücht, dass wir nur deshalb massive Türen in alle Büros hatten einbauen lassen, damit niemand unsere Auseinandersetzungen mithören könnte.

Doch selbst wenn das unser Plan gewesen wäre, so hat er nicht funktioniert. Es kam immer wieder vor, dass man unser Geschrei im ganzen Stockwerk hören konnte. Unsere langjährige Beziehung hatte eine ganz besondere Eigendynamik entwickelt.

Die Tatsache, dass wir 1980 unsere Programmiersprache Basic bereits über eine halbe Million Mal verkauft hatten, war auch dem damals weltweit größten Computerhersteller nicht entgangen. Jahrelang hatte IBM die Personal Computer geflissentlich ignoriert und war erst jetzt aufgewacht, als sie dabei waren, sich ihren Platz in der Geschäftswelt zu erobern.

Big Blue, wie IBM innerhalb der Branche auch genannt wurde, wusste nur allzu gut, dass der vierjährige Entwicklungszyklus für Großrechner keinesfalls in die schnelllebige Welt der Mikrocomputer passte. Zum ersten Mal in seiner Geschichte suchte das Unternehmen externe Partner, die helfen sollten, ein neues Produkt schneller auf den Markt zu bringen.

Big Blue wacht auf

Damit stand Microsoft kurz vor dem großen Durchbruch. Im August desselben Jahres suchten uns drei Schlipsträger von IBM auf. Sie wollten mit uns über das Projekt Chess reden – es war der Codename für den späteren PC von IBM.

Nachdem wir ihnen eine 8-Bit-Maschine ausgeredet hatten und sie für den Intel 8086 (vielmehr den günstigeren, aber praktisch identischen 8088) begeistern konnten, wollten sie alle 16-Bit-Programme von uns haben, an denen wir in den vergangenen Jahren gearbeitet hatten. Von Basic abgesehen war keines davon so weit, dass es auf einem 8086 hätte laufen können.

Am nächsten Tag traf sich eine Delegation von Microsoft mit IBM und schlug vor, dass Microsoft den gesamten Softwareentwicklungsprozess für den PC koordinieren würde.

Fünf Wochen später unterzeichneten wir den Vertrag. IBM würde uns 430 000 Dollar zahlen: 75 000 Dollar für Anpassungen, Tests und Beratung, 45 000 Dollar für das Diskettenbetriebssystem DOS (Disk Operating System) und 310 000 Dollar für eine ganze Reihe an 16-Bit-Interpretern und Compilern.

MS-DOS als Herzstück des Erfolges

Niemand – uns eingeschlossen – hat vorhergesehen, dass der Vertrag mit IBM Microsoft letztendlich zum größten Technikunternehmen der damaligen Zeit und Bill und mich unermesslich reich machen würde.

IBM präsentierte seinen Personal Computer am 12. August 1981, und die ersten Exemplare wurden bereits im November ausgeliefert – früher als ursprünglich geplant. Die Erwartungen waren sicherlich hoch gewesen, aber niemand hatte damit gerechnet, dass der PC den gesamten Markt so bald nach seiner Einführung beherrschen würde.

Ich war natürlich stolz auf unser Team. MS-DOS war das Herzstück unseres Erfolgs, es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl, entscheidend an der Entwicklung mitgewirkt zu haben.

In jenem Herbst zogen wir in ein geräumigeres Gebäude in der Nähe des Lake Washington in Seattle und von Burgermaster – einer unserer Lieblings-Fast-Food-Läden. Bill und ich bezogen benachbarte Büros und teilten uns eine Sekretärin.

Paul Allen Quelle: Lakeside School Archives

Ich war überaus glücklich und zufrieden mit meinem Leben. Ich kaufte mir ein kleines Segelboot und lud Musiker in mein Haus am Sammamish-See nahe Seattle ein, wo wir stundenlang Blues improvisierten. Und Bill machte sich öfter einen Spaß daraus, hier die Balustrade vom ersten Stock bis zur Küche im Erdgeschoss auf dem Bauch hinunterzurutschen. Jedes Mal rannte er die Treppe hinauf, so schnell er konnte, und rutschte auf dem Geländer herunter, bis er unten auf dem Parkett landete.

Eines Tages lieh er sich von einem unserer Mitarbeiter einen Porsche 928, geriet ins Schleudern und setzte auf. Die Reparaturen an dem Wagen, der nur knapp einem Totalschaden entgangen war, dauerten fast ein ganzes Jahr.

In dieser Zeit kassierte Bill so viele Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens, dass er für seine Verteidigung den besten Anwalt in Sachen Verkehrsrecht engagieren musste, der im Staat Washington zu finden war.

Schließlich stieg er auf einen schwerfälligen Mercedes Turbodiesel um, damit ihm weiterer Ärger erspart blieb.

MS-DOS mit den IBM-Spezifikationen wurde Standard

Der PC von IBM war alles andere als perfekt. Er war teuer und sah seelenlos aus. Ungeachtet dessen war er aufgrund des damals leistungsstärksten Prozessors, seiner Tastatur der Spitzenklasse und der zuverlässigen Diskettenlaufwerke der beste Personal Computer, den es in dieser Zeit zu kaufen gab. IBM hatte eine Verkaufsprognose von rund 250 000 Stück innerhalb von fünf Jahren erstellt. Sie hatten sich ganz schön verrechnet: Am Ende waren es 2,5 Millionen.

Fast jeder, der mit einer elektrischen Schreibmaschine umgehen konnte, traute sich zu, auch mit einem Personal Computer zurechtzukommen. MS-DOS in Verbindung mit den IBM-Spezifikationen wurde zum Standard. Nur Apple überlebte in einer hochpreisigen Nische des amerikanischen Marktes und sicherte sich einen Marktanteil um die zehn Prozent.

Steve Jobs rastet aus

Vor DOS war Microsoft für die Computerwelt ein bedeutendes Softwareunternehmen. Nach DOS war Microsoft ein unverzichtbares Softwareunternehmen.

Lektion in Demütigung

Anfang 1982 lud Apple-Chef Steve Jobs Bill und mich zu einem Testlauf des Macintosh ein. Jobs hatte den Mac schon damals als Computer angepriesen, der so einfach zu bedienen sei, dass sogar seine Mutter spielend damit zurechtkäme. Dummerweise zeigte sich der Macintosh-Prototyp, der uns an jenem Tag vorgeführt wurde, nicht von seiner besten Seite. Nachdem er hochgefahren war, fror der Bildschirm etwa eine Minute ein. Jobs war erbost – Ärger und Frust waren ihm ins Gesicht geschrieben: „Verdammte Scheiße, was soll das?“, schnauzte er seinen Entwickler Andy Hertzfeld an, der vermutlich die ganze Nacht noch daran gesessen hatte. „Die beiden sind extra hergekommen, weil sie dieses Ding sehen wollen, und das ist das Beste, was wir zu bieten haben?“

Jobs schimpfte munter weiter, während Bill und ich Blicke austauschten und uns äußerst unwohl fühlten. Mir kam das vor wie eine Lektion in Demütigung. Wir konnten nicht glauben, dass Jobs einen Untergebenen im Beisein von zwei Außenstehenden niedermachen würde.

Mit der Zeit änderte sich Bill und mein Verhältnis. Er schaute nicht mehr regelmäßig bei mir im Büro vorbei, und ich verhielt mich ebenso. Ich hätte mich überwinden und ihm klipp und klar sagen sollen, dass mit ihm zu arbeiten manchmal die reinste Hölle war. So blieb ich mit meinem Groll auf ihn allein, und wir taten nichts, um unser Verhältnis zu klären.

Am 1. Juni 1982 beschloss ich, Bill in einem Brief mitzuteilen, was mir auf dem Herzen lag: „Vor etwa zwei Monaten kam ich zu der schmerzhaften Erkenntnis, dass es für mich an der Zeit ist, Microsoft den Rücken zu kehren. Ich kann deine Einschüchterungen und Schimpftiraden nicht länger ertragen, in die du jedes Mal ausbrichst, wenn ich versuche, eine strittige Frage mit dir zu besprechen. Diese Ausbrüche machen eine weitere Zusammenarbeit unmöglich.“

Am 12. September 1982 flogen Bill und ich zu einer Pressereise nach Europa. Als wir am 20. September in Paris ankamen, fühlte ich mich erschöpft. Es fühlte sich an, als hätte mich eine Grippe erwischt, außer dass ich kein Fieber bekam. Irgendwie überlebte ich eine Pressekonferenz, doch dann konnte ich nicht mehr. Ich flog nach Hause zu meinem Arzt, der meinen Hals abtastete und mir dann sagte: „Wir sehen uns morgen früh zur Biopsie.“

Vom Schicksal betrogen

Am 25. September wurde die Biopsie durchgeführt. Nachdem ich aus der Narkose aufgewacht war, kam der Chirurg in mein Krankenzimmer und sah mich mit finsterem Blick an. „Herr Allen“, sagte er, „ich habe so viel wie möglich herausgeschnitten, aber unsere Erstdiagnose lautet Lymphom.“

Ich wusste nur, dass es eine Form von Krebs war, aber viel mehr nicht. Damals lag die Sterberate bei dieser Diagnose bei 50 Prozent. Ich versuchte an der Möglichkeit, bald zu sterben, etwas Positives zu sehen. Immerhin hatte ich gute 29 Jahre erlebt, aber es half nichts. Ich fühlte mich vom Schicksal betrogen. Ich wollte noch so viel entdecken und erleben.

Am nächsten Morgen traten der Onkologe und der Chirurg gemeinsam an mein Bett und grinsten mich an. „Wir haben gute Nachrichten für Sie“, sagte der Chirurg. „Sie leiden an Morbus Hodgkin.“ Nach einer sorgfältigen weiteren Analyse waren sie jetzt zu einer anderen Diagnose gekommen. „Die Heilungschancen liegen bei etwa 95 Prozent, sofern die Krankheit rechtzeitig entdeckt wird“, fuhr er fort.

Nun begann meine Therapie. Sechs Wochen lang musste ich mich an fünf Tagen die Woche bestrahlen lassen.

Statt vernünftig zu sein und mir freizunehmen, ging ich mehrmals wöchentlich am Nachmittag ins Büro, weil ich nicht aus der Übung kommen wollte. Das war die Unternehmenskultur von Microsoft: Es gab keine Entschuldigung, von der Arbeit fernzubleiben, man war ihr verpflichtet. Punkt.

"Ihnen ging es nur ums Geld"

Ende Dezember 1982 bekam ich eines Abends von meinem Büro aus zufällig mit, dass Bill und Steve Ballmer, damals Manager von Microsoft, sich in Bills Büro über etwas ereiferten. Ich wollte wissen, worum es ging, trat vor seine Tür und lauschte ihrer Unterhaltung.

Nach wenigen Augenblicken wusste ich Bescheid. Sie beklagten sich, dass meine Produktivität nachgelassen hatte, und überlegten, ob sie meine Anteile an Microsoft schmälern könnten, indem sie Kaufoptionen für sich selbst und andere Anteilseigner herausgaben.

Mir war klar, dass ihnen dieser Gedanke nicht erst soeben eingefallen war. Ich konnte mir das nicht länger anhören, platzte mitten in ihr Gespräch und schrie sie an: „Ich fasse es nicht! Jetzt zeigt ihr euer wahres Gesicht! Und daran wird sich nie etwas ändern!“ Dabei blickte ich allerdings nur Bill an. Auf frischer Tat ertappt, fiel ihnen nichts zu ihrer Verteidigung ein. Ich sah mir das kurz mit an, drehte mich dann auf dem Absatz um und ging.

Auf der Heimfahrt rief ich mir ihr Gespräch wieder und wieder in Erinnerung, und es wurde von Mal zu Mal schlimmer. Ich war einer der Gründer von Microsoft, gehörte zur Firmenspitze, auch wenn ich krankheitsbedingt nicht auf dem Höhepunkt meiner Schaffenskraft war, und nun schmiedeten mein Partner und mein Kollege Pläne, wie sie mich über den Tisch ziehen konnten. Ihnen ging es nur ums Geld, und jetzt war die Gelegenheit günstig. Meine Entscheidung, das Unternehmen zu verlassen, fiel mir jetzt leichter.

Bill Gates Paul Allen Quelle: Lakeside School Archives

Bis zu meinem letzten Tag bei Microsoft hatten Bill und ich uns derart auseinanderentwickelt, dass verglichen damit unser gegenseitiges Anbrüllen Kinderkram war. Sein extremes Konkurrenzdenken hat ihn einerseits zu einem extrem erfolgreichen CEO gemacht, andererseits aber dazu geführt, dass unsere Freundschaft auf der Kippe stand.

Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sich Bill so stark mit Microsoft identifizierte, dass ihm gar nicht mehr klar war, wo Microsoft aufhörte und wo er selber anfing.

Im Januar traf ich mich ein letztes Mal in meiner Eigenschaft als Mitinhaber von Microsoft mit Bill. „Es ist nicht fair, wenn du deine Firmenanteile behältst“, sagte er zu mir. Er wollte mich doch glatt mit fünf Dollar pro Anteil abspeisen.

„Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich meine Anteile verkaufen will“, erwiderte ich. „Aber unter zehn Dollar das Stück brauchen wir gar nicht weiterzureden.“ „Niemals!“, sagte Bill, ganz wie ich vermutet hatte. Unser Gespräch war damit zu Ende.

Wie sich später herausstellte, wirkte sich Bills konservative Haltung zu meinen Gunsten aus. Wäre er damals auf mein Angebot eingegangen, hätte ich viel zu früh verkauft. Am 18. Februar 1983 wurde mein Rücktritt offiziell.

Milliardär mit 37 Jahren

Am 13. März 1986 ging Microsoft an die Börse. Ich verkaufte 200 000 Aktien und hielt den Rest – rund 28 Prozent des Unternehmens. So war ich über Nacht 175 Millionen Dollar reicher.

Eine Zeit lang ignorierte ich den Rat meines Anwalts, zu verkaufen. Angesichts des raschen Fortschritts der Computertechnik dachte ich, dass ein dominierender, gut geführter Technologiekonzern wie Microsoft besser abschneiden müsste als die anderen Unternehmen. Der schwindelerregende Anstieg der Marktkapitalisierung gab mir recht. 1990, mit 37 Jahren, war ich Milliardär. 1996 sollte sich mein Vermögen verzehnfacht haben.

Nach 20 Jahren war Gites der reichste Mann der welt

Mit der Zeit legte sich mein Groll. Nach fünf Jahren Unterbrechung trat ich wieder in den Verwaltungsrat von Microsoft ein. 1995 lud Bill mich zu seiner Hochzeit ein. Als er dann eine Familie gegründet hatte, entwickelten wir ein Muster, wie es zwischen alten Freunden nicht unüblich ist: Wir trafen uns ein paar Mal im Jahr, gingen ins Kino oder ins Restaurant.

Ende der Neunzigerjahre war Microsoft das größte und ertragsstärkste Softwareunternehmen in der Geschichte und wuchs ebenso schnell wie die PC-Branche.

Auch Bill stand entsprechend gut da. 20 Jahre nachdem wir das Unternehmen gegründet hatten, war er der reichste Mann der Welt.

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