Ernährung Die Besser Bäcker

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Hermann Bühlbecker, Inhaber Quelle: AP

Ein Beispiel für den deutschen Erfindergeist bei der Acrylamid-Reduktion ist eine neuartige Riesen-Fritteuse, entwickelt von der Braunschweigischen Maschinenbauanstalt. In der geschlossenen, fast luftleeren Metallröhre von gut einem Meter Durchmesser und zehn Metern Länge schwimmen beispielsweise Apfel- und Bananenscheiben in Sonnenblumen- oder Olivenöl. Durch den starken Unterdruck verdampft Wasser schon bei 70 Grad Celsius. So lassen sich Chips bereits bei vergleichsweise niedrigen 135 Grad bräunen. Traditionell heizen Chipshersteller ihr Fett auf 170 bis 185 Grad Celsius auf. Doch mit jedem Grad steigt die Acrylamid-Gefahr: denn je höher die Temperatur, desto mehr Schadstoff entsteht.

Im niederländischen Kapelle-Biezelingen kommt die deutsche Technik bereits zum Einsatz. Am Rand des Örtchens im Südwesten des Landes, im Industriegebiet Smokkelhoek, frittiert der Hersteller Van Marcke Chips nach der neuen Methode. „Mit Apfelchips fing alles an“, sagt Peter Traas von Van Marcke Chips. Bald interessierte sich auch ein Biochipshersteller für die Technik. Das Unternehmen hatte Probleme, acrylamidarme Ware auf der Basis biologisch angebauter Kartoffeln zu liefern. Die nämlich enthalten mehr Zucker als normale Knollen, weil sie zum Schutz vor Ungeziefer oft vor der Reife geerntet werden. Und je süßer die Kartoffel, desto mehr Acrylamid bildet sich im heißen Fett.

Gentechnik als Lösung?

Die effektivste Methode, um das Gift aus Pommes und Chips fernzuhalten, ist laut Forschern allerdings die Gentechnik. Lebensmitteltechnologe Franke rührte kürzlich Kartoffelmehl mit Wasser an, presste den Teig zu Stäbchen und buk sie in Fett. Der Clou: Wenn er den aus gentechnisch veränderten Mikroben hergestellten Eiweißstoff Asparaginase in die Masse knetet, zerstört es das Asparagin fast vollständig. Die Folge: Acrylamid entsteht kaum noch.

Unter dem Namen Acrylaway vertreibt das dänische Unternehmen Novozymes das Enzym, hergestellt vom gentechnisch veränderten Schimmelpilz Aspergillus oryzae. Kleine Mengen reichten aus, den Acrylamid-Gehalt in Pommes um 80 Prozent zu senken, verspricht die Biotechfirma. Ähnliches gelte für Salzstangen, Knäckebrot und Chips. Der niederländische Wettbewerber DSM zog mit dem Produkt Preventase nach und nutzt für die Asparaginaseproduktion den gentechnisch veränderten Schimmelpilz Aspergillus niger. In Deutschland wird Preventase seit 2007 von einem Spekulatiushersteller eingesetzt, der aber keinesfalls genannt werden will.

Schmecken kann das Gentech-Hilfsmittel niemand, darauf hinweisen müssen die Hersteller auch nicht. Das bereitet Verbraucherschützern Sorgen: Weder auf Acrylamid noch auf Gentech-Enzyme weise die Verpackung von Keksen, Pommes und Co. die Konsumenten hin. „Ein Missstand“, sagen die Experten von Foodwatch. Dass ausgerechnet Gentechnik als aggressivste Lösung gegen Acrylamid im Verborgenen angewendet werde, sei ein Fehler.

Lambertz setzt auf neue Rezepte

Selbst vor einem Bruch mit der Tradition schrecken Unternehmen im Kampf gegen Acrylamid nicht zurück. Das deutsche Traditionsbackhaus Lambertz etwa verabschiedete sich von teils jahrhundertealten Rezepten. Das Unternehmen stellt mit den Aachener Printen einen der acrylamid-ärmsten Lebkuchen der Welt her, mit weniger als 50 Mikrogramm je Kilogramm. Ein Zehntel der Wertes von 2002, sagt Lambertz-Geschäftsführer Hannes Wieczorek.

Mitten in der Acrylamid-Krise im Jahr 2002 gab es nur einen Lichtblick im Lambertz-Werk: die gefüllten Lebkuchenherzen. Sie waren erstaunlich wenig belastet, während die übrigen Lebkuchen dem Bäcker große Sorgen bereiteten. Daraus schloss ein Mitarbeiter, man müsse die übrigen Teige so weich machen wie die Herzen. Die Idee brachte das Unternehmen einen entscheidenden Schritt voran.

Bis dahin wurde Hirschhornsalz als Triebmittel in die Lambertz-Lebkuchenteige gerührt. Diese in der Fachsprache Ammoniumbicarbonat genannte Zutat gehört seit Jahrhunderten in jeden echten Lebkuchen. Doch die Ammoniumionen beschleunigen die Bildung von Acrylamid um ein Vielfaches, sodass Lebkuchen 2002 mit bis zu 3000 Mikrogramm des Nervengifts pro Kilogramm in die Schlagzeilen geriet.

Mit weicherem Teig, fanden die Lambertz-Bäcker heraus, genügt indes eine Mischung milderer Triebmittel, die die Entstehung von Acrylamid nicht forcieren. Zudem senkten die Ingenieure die Temperaturen um etliche Grad. Das verlängerte allerdings die Backzeiten um 10 bis 20 Prozent. „Die Leistung der Anlagen ist gesunken, die Kosten sind gestiegen“, sagt Wieczorek. Dennoch gilt die neue Rezeptur im Unternehmen als Durchbruch.

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