Ernährung Die Besser Bäcker

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Auch Bahlsen tauschte Hirschhornsalz gegen ein Triebmittel auf Basis von Natrium aus. „Ärgerlicherweise ging das mit Qualitätseinbußen einher. Kenner sagen: So gut wie damals seien die Kekse heute noch nicht“, sagt Qualitätsmanager Mücke. Das Unternehmen erwägt daher, teilweise zum traditionellen Triebmittel zurückzukehren. Heutzutage könne man dem Acrylamid auch auf anderen Wegen beikommen: etwa wenn die Teige feuchter gehalten werden und wenn von Beginn an etwas mehr Säure zugefügt wird. Je saurer der Teig, desto weniger Acrylamid entsteht. Außerdem ersetzte Bahlsen den beliebten Fruchtzucker vielfach durch Trauben- und Haushaltszucker. Daraus bildet sich weniger Acrylamid als aus Fruchtzucker.

Brot und Brötchen ohne Acrylamid

Bei Brot und Brötchen endeten Rezeptumstellungen lange in eine Sackgasse. Die entscheidende Eingebung bekam Heinz Kaiser, Lebensmittelchemiker vom Institut für Getreideverarbeitung aus Bergholz-Rehbrücke, in Asien. In den endlosen Weiten der Mongolei backen Hirten längst acrylamidfrei: Sie dämpfen den Teig und verzichten vollständig auf eine Kruste.

Kaiser ersann daraufhin ein Backverfahren in zwei Schritten: Die Teigrohlinge gehen zunächst im Dampfbad bei 100 bis 140 Grad Celsius auf die gewünschte Größe auf. Danach werden die Brötchen von der Konsistenz eines Hefeknödels bei rund 200 Grad Celsius schockgebacken. Die Kruste wird braun und fest. Das senkt die Acrylamid-Belastung von Brot und Brötchen um bis zu ein Drittel, registrierte Kaiser. Bei Kastenbroten fallen gar 90 Prozent des Gifts weg. Die Backanlagenbauer „sind an dem Thema dran“, sagt Kaiser.

Während deutsche Firmen seit Jahren an Backfinessen tüfteln, haben viele EU-Länder das Thema Acrylamid lange ignoriert. In Spanien, Italien und Portugal wurde das Problem sogar bestritten. Nur in Deutschland weitete sich Acrylamid 2002 zu einem Skandal aus.

Neues Programm verschärft Kontrollen in anderen EU-Ländern

Nun aber korrigiert die EU-Kommission die Schieflage. Seit einigen Monaten müssen Lebensmittelhersteller aller Mitgliedstaaten Acrylamid-Werte ihrer Produkte nach Brüssel melden. Das sieht das neue Acrylamid-Programm der EU vor. Erweisen sich die Messwerte als allzu problematisch, könnte eine europaweite Richtlinie für den Umgang mit dem Gift folgen. Der Verbund der europäischen Lebensmittel- und Getränkehersteller (CIAA) trägt zudem neue Techniken gegen Acrylamid zusammen. In der jüngsten Fassung des Berichts vom Februar führen viele Einträge nach Deutschland. „Wir haben einen Wettbewerbsvorteil, denn Deutschland steht europaweit an der Spitze im Kampf gegen Acrylamid“, sagt Bahlsen-Mitarbeiter Mücke.

Damit hat die weltberühmte „German Angst“ in puncto Acrylamid offenbar einen Exportschlager entstehen lassen. Inzwischen schlägt die gebackene Industrieware selbst das sonst oft so gesunde Selbermachen: Wer etwa Pommes frites eigenhändig aus frischen Kartoffeln schnitzt, Plätzchen backt oder regelmäßig Brot toastet, gefährdet seine Gesundheit weit mehr als mit Fabrikware. Alleine in handgemachten Pommes lauert im Schnitt fünfmal mehr Acrylamid als in dem Fertiggericht.

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