Ernährung Pommes frites aus dem Ultraschallbad

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Erste Hinweise, dass Kochen auch mit Technik zu tun hat, finden sich in den Schriften des römischen Feinschmeckers Apicius (25 v. Chr.–42 n. Chr.), der sich mit den Anforderungen für das Herstellen einer Brühe auseinandersetzte. Aufzeichnungen aus dem 18. Jahrhundert zeigen, dass Chemiker und Physiker begannen, sich für die Vorgänge im Topf zu interessieren: Sir Benjamin Thompson, der Count Rumford, widmete diesen Prozessen wissenschaftliche Studien, ersann einen Apparat zur besseren Zubereitung von Kaffee und räsonierte über die richtige Konstruktion der damals üblichen offenen Feuerstellen in der Küche. Vieles jedoch glich einem Stochern im Rauch, bevor Ende des 20. Jahrhunderts Wissenschaftler sich exklusiv in ihren Laboren mit den Geheimnissen zwischen Eis und Dampf befassten. Auch Myhrvold ist Seiteneinsteiger, entdeckte mit neun Jahren seine Liebe zum Kochen und setzte gleich beim ersten Dinner seines Lebens die Tischdecke in Brand. Nach seiner Zeit bei Microsoft holte er Fachkenntnisse bei einer Ausbildung in einer Kochschule nach und experimentierte dann eine Weile allein vor sich hin.

Überholte Tradition

Dann bildete er ein Team mit den Köchen Chris Young und Maxime Billet, die beide bei Sternekoch Heston Blumenthal aus England arbeiteten. Mit Rotationsverdampfern, Mixern, hochsensiblen Thermometern, Mikroskopen, Vakuumiergeräten, flüssigem Stickstoff, Membranpumpen, Zentrifugen, Ultraschall-Homogenisatoren beschäftigte Myhrvolds Truppe nur eine Frage: Warum funktionieren Rezepte?

Durch minutiös protokollierte Versuchsreihen kam Myhrvold zu Erkenntnissen, die belegten, dass seit Jahrhunderten tradierte Zubereitungen teilweise falsch sind. Möglichst klein geschnittene Zutaten wie Fleisch, Möhren, Sellerie und Lauch ergeben im Schnellkochtopf eine Brühe, die dem 1855 von dem deutschen Physiker Adolf Fick entdeckten Gesetz der Diffusion widersprechen, das den Mechanismus beschreibt, nach dem sich Moleküle, seien sie von Parfüm in der Luft oder eben Karottenwürfeln im Wasser, verbreiten: Die übliche Praxis, die Fonds aus Knochen, Fleisch und Gemüse für Stunden auf dem Herd offen köcheln zu lassen, sei weniger zielführend als die Zubereitung im Schnellkochtopf.

In die Zukunft schauen

Ähnliche Experimente durchlief ein klassisches Steak. Mittels Temperaturmessungen fand Myhrvolds Team den Beleg dafür, dass es sinnvoller sei, das Bratgut im Rhythmus von 15 Sekunden zu wenden, statt es mehrere Minuten von jeder Seite zu garen. Die Temperaturkurve im Inneren des häufig gewendeten Fleisches verlaufe ebenmäßiger und führe so zu einem zarteren Ergebnis.

Nicht alle seine Erkenntnisse lassen sich selbst von sehr ambitionierten Hobbyköchen umsetzen, die bereit sind, mehrere Tausend Euro in das nötige Equipment zu investieren (siehe Kasten). So fand Myhrvold heraus, dass die Perforation der äußeren Schicht von Kartoffelstangen in einem Ultraschallbad die optimale Vorbereitung ist, um anschließend im heißen Fett besonders knusprige Pommes zu frittieren. Für den auf den ersten Blick profanen Hamburger schlägt er gar ein Verfahren vor, das gleich mehrere Techniken der Molekularküche miteinander verknüpft: Erst wird das Fleisch im Vakuumbeutel bei niedrigen Temperaturen gegart, schließlich die äußere Schicht in flüssigem Stickstoff bei minus 190 Grad Celsius schlagartig eingefroren, bevor der Tiefkühlklops in der Fritteuse die Röstnoten erhält.

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