Flugzeugbau Russische Flugzeughersteller wollen aufholen

Mit einem neuen Regionaljet wollen Russlands Flugzeughersteller an alte Erfolge anknüpfen. Doch das wird schwer.

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Eine Tupolew 154, Quelle: dpa/dpaweb

Das Zelebrieren technischer Meisterleistungen gehört seit Sowjetzeiten zu den gern gepflegten Ritualen der russischen Gesellschaft: Wie etwa der erste bemannte Raumflug, der Bau der mächtigsten Atom-U-Boote oder des weltgrößten Transportflugzeugs. Leider nur sind die Erfolge lange her. Seit dem Ende der Sowjetunion konnten Russlands Ingenieure ihre Landsleute nicht mehr begeistern – ganz zu schweigen vom Rest der Welt. Und so feiert der Kreml notgedrungen technische Werke der Vergangenheit – etwa in dieser Woche, wenn sich Juri Gagarins Raumflug zum 50. Mal jährt.

Just zum Jahrestag liefert der russische Flugzeughersteller Suchoi die erste Maschine seines neu entwickelten Regionalfliegers vom Typ Superjet 100 (SSJ 100) aus. Die armenische Fluggesellschaft Armavia hat sich als Erstkunde gar bereiterklärt, den Mittelstreckenjet auf den Namen Gagarins zu taufen. So viel Symbolik ist kein Zufall. Russland will an die glorreichen Zeiten anknüpfen, als sowjetische Fabrikanten wie Tupolew ihre -Modelle zu Tausenden verkauften und die halbe Welt belieferten. Die neue -Maschine gilt daher als Hoffnungsträger der gesamten russischen Flugzeugindustrie. Suchoi will zeigen: Wir sind wieder im Geschäft.

Der Superjet ist das erste Passagierflugzeug seit dem Zerfall der Sowjetunion, das auch jenseits der Landesgrenzen Kunden finden soll. Zugleich wollen die Russen beweisen, dass sie spritsparende und geräuscharme Flieger bauen können, die zuverlässig und leicht zu warten sind.

Suchoi möchte mit Superjet neue Wege gehen

Dafür haben sie sich mächtig ins Zeug gelegt. Schon äußerlich unterscheidet sich der SSJ 100 von den konkurrierenden Modellen. Der Rumpf ist breiter als die E-190 des brasilianischen Herstellers Embraer oder die CRJ-900 von Bombardier aus Kanada. Statt vier Sitze pro Reihe, wie die Konkurrenten, haben die Russen Platz für fünf Sitze in jeder Reihe. Zugleich wird der Hoffnungsträger damit, bei ähnlichem Platzangebot, kürzer als vergleichbare Wettbewerbsmodelle und erinnert ein wenig an eine fliegende Zigarre.

Daneben verspricht Suchoi mehr Platz und besseren Komfort. Dank besserer Aerodynamik soll der Spritverbrauch schließlich rund 15 Prozent niedriger liegen als bei den Wettbewerbern, verspricht der Hersteller.

Zudem wirft Suchoi, eine Tochter der staatlich kontrollierten Vereinigten Flugzeugbaukorporation OAK, die Maschinen zum unschlagbar niedrigen Preis von 32 Millionen Dollar auf den Markt. Der Listenpreis eines vergleichbaren Konkurrenzmodells der brasilianischen Embraer E-190 liegt bei 42 Millionen Dollar, ein Airbus A-319 kostet gar doppelt so viel wie Russlands Superjet.

Auch die Entstehung des Fliegers setzt Maßstäbe. Bei der Entwicklung hat Suchoi internationale Kooperationen in einem Maße gewagt, das für einen russischen Staatskonzern unüblich ist: Mit dem französischen Triebwerke-Hersteller Snecma, der zum Rüstungskonzern Safran gehört, entwickelten die Russen ein geräuscharmes Zweiwellentriebwerk, das bei recht geringem Kerosinverbrauch hervorragende Schubergebnisse liefert. Italiens Alenia Aeronatica ist Minderheitsaktionär und mitverantwortlich für die Gesamtkonstruktion und Vermarktung. Ingenieure des US-Riesen Boeing wiederum bringen sich als Berater ein. 80 Prozent der Bauteile stammen von mehr als 30 internationalen Zulieferern, darunter der deutsche Mischkonzern Liebherr, der Klimaanlagen, Versorgungs- und Steuerungssysteme liefert.

Doch trotz aller Mühen der Konstrukteure bringen technische Probleme den Superjet seit Jahren immer wieder in die Schlagzeilen. Die Auslieferung verzögerte sich wegen verspäteter GUS-Zertifizierung um zweieinhalb Jahre. In den ersten Serien wiegt der Regionalflieger drei Tonnen mehr als erwartet, womit die versprochene Senkung der Betriebskosten wegfällt. Glaubt man Insidern der Branche, machen auch manche Triebwerke Zicken.

Es sind weniger Konstruktionsfehler als Produktionsprobleme, die die Verzögerung bei der Lizenzierung begründen: Staatsbetrieb NPO Saturn, der im nördlich von Moskau gelegenen Rybinsk die Triebwerke fertigt, hat bis vor Kurzem vor allem Kraftwerksturbinen hergestellt und Düsen des Tupolew-Verkaufsschlagers Tu-154M montiert. Und im fernöstlichen Komsomolsk am Amur, wo der Superjet im Suchoi-Werk „Gagarin“ endmontiert wird, wurden selbst zu Sowjetzeiten nie Zivilflugzeuge hergestellt, sondern Kampfjets.

Die fehlende Fertigungserfahrung führt zu mangelnder Konstanz: Von zehn Superjet-Triebwerken fällt beim Testbetrieb eins aus. Mittlerweile spotten russische Zeitungen, der Superjet sei nicht super, sondern einfach nur ein Jet.

Dabei hängt am Erfolg des Prestigeprojekts SSJ 100 das Schicksal der gesamten nationalen Luftfahrtbranche, glauben russische Experten wie Roman Gusarew vom Branchendienst Avia.ru: „Wenn der Superjet floppt, hat die Flugzeugindustrie auf Jahrzehnte hinaus Vertrauen verspielt.“

Tabelle: Superjet und seine Konkurrenz

Doch so weit werde es der Kreml nicht kommen lassen, sagt Gusarew: „Die Regierung wird den Superjet 100 auf den Markt drücken, ganz gleich wie viele Milliarden für das Projekt noch verbrannt werden.“ Geld spielt keine Rolle, wenn Russlands Image auf dem Spiel steht. Rund 3,5 Milliarden Dollar haben Regierung und Staatsbanken bis zum Frühjahr vorigen Jahres in den Flieger gesteckt. Wie viele Millionen seither zusätzlich geflossen sind und wie teuer die Entwicklung den Staat insgesamt kommt, wissen selbst bestens informierte Branchenexperten nicht.

Wegen der verspäteten Auslieferung, der technischen Probleme und erwartbarer Regressforderungen von Kunden dürften die Kosten derart aus dem Ruder gelaufen sein, dass Suchoi die Gewinnschwelle womöglich nie erreicht – nicht einmal, wenn Projektchef Michail Pogosyan sein ehrgeiziges Absatzziel schafft: Mehr als 1000 Superjets will Suchoi in den nächsten 20 Jahren ausliefern. Das wäre ein Weltmarktanteil von 15 Prozent.

Bisher aber liegen gerade mal 170 Bestellungen vor, darunter nur 120 Festverträge. Und selbst die wackeln: Zu den größten Kunden mit 30 Bestellungen zählt die indonesische Kartika Airlines, ein Billigflieger, der aktuell lediglich fünf alte Mittelstreckenjets besitzt. Überdies hat Suchoi Ausschreibungen im Wert von einer Milliarde Dollar verloren, darunter eine Alitalia-Bestellung über 30 Maschinen. Offiziell begründeten die Italiener dies mit den Verzögerungen bei der Auslieferung. Doch dass der SSJ 100 bis heute nicht für den EU-Luftraum zertifiziert ist, dürfte nicht minder irritierend gewesen sein.

Da half es auch nichts, dass die Politik nach Kräften nachhalf: Präsident Dmitri Medwedew und Premierminister Wladimir Putin führten dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi im Dezember ihr Prestigeflugzeug vor. Berlusconi, der sich mit schwarzer Bomberjacke ins Cockpit setzte, versprach dem Modell eine goldene Zukunft – und schoss mit dieser Aussage weit über das Ziel hinaus.

Selbst im GUS-Raum läuft nicht alles rund

Selbst im GUS-Raum, wo die Russen ein Heimspiel erwartet hatten, läuft es nicht rund: Embraer will der Fluglinie Air Astana noch diesen Monat die ersten Flugzeuge vom Modell E-190 nach Kasachstan liefern. Die Brasilianer haben Suchoi mit großzügigen Rabatten den Auftrag abgeluchst. Auch die Ukraine beliefert Embraer, im benachbarten Weißrussland hat Kanadas Bombardier Verträge laufen.

Denn die Modelle von Embraer und Bombadier sind zwar teurer als der russische Superjet, sie sind aber in der Praxis erprobt, die Hersteller genießen das Vertrauen der Kunden. Suchois potenzielle Neukunden schauen daher vor allem auf Aeroflot: Die größte russische Fluggesellschaft will mehrere Exemplare des Modells ab Mitte Mai im Linienverkehr einsetzen – und Airline-Chef Vitali Sawelew hat bereits Schadensersatzforderungen angedroht, sollten die Flieger zu viel Sprit fressen oder technischen Ärger machen.

Das sind keine günstigen Vorzeichen. Denn wie die Suchoi-Ingenieure beispielsweise das aktuelle Übergewicht von drei Tonnen rasch reduzieren wollen, ist noch nicht geklärt. „Ich habe große Bedenken, dass die Werke dieses Jahr wie angekündigt 18 Maschinen bauen können“, zweifelt Luftfahrtexperte Gusarew. Die Produktion sei derzeit noch alles andere als eingespielt.

Solange aber die Kinderkrankheiten des SSJ100 nicht behoben sind, werden westliche Airlines wohl weiterhin einen Bogen um den Flieger machen. Dabei hat der Superjet nur dann eine Chance auf den Durchbruch, wenn auch große internationale Airlines zu den Kunden zählen.

Schließlich soll der Superjet 100 doch der Auftakt eines weit umfassenderen Großangriffs auf die Platzhirschen der Branche werden: Denn die Suchoi-Muttergesellschaft OAK, der SSJ-100-Projektchef Pogosyan seit wenigen Wochen auch als Generaldirektor vorsteht, arbeitet bereits am Projekt MS-21. Der Mittelstreckenjet soll der A-320-Familie von Airbus und Boeings 737-Reihe Konkurrenz machen. Auch er soll – bei ähnlichen Leistungswerten – weit günstiger auf den Markt kommen.

Da wird der Regionalflieger schnell zum Lakmus-Test für die Zukunftsfähigkeit der russischen Flugzeugkonstrukteure: Scheiterte der SSJ 100 – trotz aller Mühen –, würde das ambitionierte MS-21-Projekt wohl erst recht eingestampft.

Insofern steht Luftfahrtmanager Pogosyan gehörig unter Druck. Er muss seinen Superjet schleunigst an den Kunden bringen, zur Not mit kräftigen Rabatten. Es geht längst nicht mehr um kommerzielle Erfolge, sondern um Russlands Prestige als Flugzeugbaunation. Pogosyan kann die Ehre Russlands retten – oder die gesamte Branche zum Absturz bringen.

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