75 Jahre Kernspaltung Eine unvorstellbare Entdeckung

Sie wollten künstliche Elemente schaffen und entdeckten dabei die Kernspaltung: Otto Hahn, Fritz Straßmann und Lise Meitner machten vor 75 Jahren eine Entdeckung, die der Menschheit viel Nutzen, aber auch Unheil brachte.

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Hahn-Meitner-Straßmann-Tisch im deutschen Museum München: Mit diesem Versuchsaufbau (Rekonstruktion) haben Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann 1938 die Kernspaltung entdeckt. Quelle: dpa

Berlin/München Fast wie ein Altar steht er im Deutschen Museum in München: ein hölzerner Arbeitstisch mit Paraffinblock, Geiger-Müller-Zähler, Batterien, Saugflasche und dem historischen Protokollheft „Chem-II“. Der Tisch steht für eine der spektakulärsten, aber auch verhängnisvollsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: Die vor 75 Jahren erstmals nachgewiesene Spaltung von Atomkernen. Sie ermöglicht heute die Nutzung der Atomenergie für die Stromversorgung, brachte aber auch die Atombombe.

Der Tisch sei heute eine Ikone der Wissenschaftsgeschichte, sagt die Museums-Kuratorin für Chemie, Susanne Rehn-Taube. Mehrere Jahrzehnte war er nach dem Chemiker Otto Hahn benannt gewesen, dem 1944 der Nobelpreis für die Entdeckung der Kernspaltung zugesprochen wurde. „Der Name des Exponats war im Grunde falsch“, erläutert Rehn-Taube. An dem Experiment vom 17. Dezember 1938 im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin hätten auch der Chemiker Fritz Straßmann und die Physikerin Lise Meitner Anteile gehabt.

„Lise Meitner hat die Versuche, die letztlich zur Kernspaltung führten, initiiert“, sagt ihre Biografin Charlotte Kerner. Die Physikerin sei fasziniert gewesen von den Experimenten des Italieners Enrico Fermi und überredete Hahn, sie ebenfalls zu machen. Fermi hatte Uran mit Neutronen beschossen. Sie sollten in den Atomkern eindringen. „Fermi wollte dadurch neue, künstliche und schwerere Elemente schaffen, die er Transurane nannte“, erklärt Kerner.

Persönlich miterleben konnte Meitner die Versuche Hahns und Straßmanns nicht. Der vor den Nationalsozialisten nach Schweden geflüchteten Jüdin blieb nur der Briefkontakt zu Hahn. Auf dem Postweg gab Meitner Hahn schließlich auch die Erklärung für die Versuchsergebnisse der beiden Chemiker. Sie hatten statt der Transurane Barium gefunden, das nur etwa halb so groß ist wie Uran. „Nach dem damaligen Stand der Wissenschaft galt es als unmöglich, dass ein Atomkern in der Mitte auseinanderfliegen kann“, sagt der Mainzer Chemiker und ehemalige Straßmann-Schüler Norbert Trautmann. Man sei damals davon ausgegangen, dass durch die Bestrahlung mit Neutronen nur Elemente entstehen können, die sich wenig vom Ausgangselement unterscheiden.

Daher habe Hahn kurz nach dem Experiment Meitner um Hilfe bei der Interpretation der Ergebnisse gebeten, erläutert Trautmann. „Zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch konnte Meitner erklären, wie der Spaltungsprozess stattfindet.“ Außerdem hätten die beiden Physiker auch gleich erkannt, dass dabei sehr viel Energie frei werde. „Kurz danach wurde von anderen Forschern gezeigt, dass bei der Spaltung neue Neutronen entstehen, die in einer Kettenreaktion wiederum Atomkerne spalten können“, erklärt der Chemiker.


Militärische Nutzung der Kernspaltung ist „Schweinerei“

Diese Entdeckung machte sich die Atomindustrie nur wenige Jahre später zunutze. „Schon 1942 entstand in den USA der erste Atomreaktor“, sagt Trautmann. Inzwischen versorgen Atomkraftwerke weltweit Millionen von Menschen mit Strom. Die Entdeckung brachte aber auch die Atombomben, die US-Amerikaner 1945 auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abwarfen, mit verheerenden und bis dahin unvorstellbar schrecklichen Folgen.

„Hahn bezeichnete die Nutzung der Kernspaltung für militärische Zwecke später als "Schweinerei", mit der er nichts zu tun habe“, sagt Kuratorin Susanne Rehn-Taube. Auch Straßmann sei sehr erschüttert gewesen, dass die Entdeckung diese Folgen hatte, ergänzt Trautmann. Hahn und Straßmann gehörten daher auch zu den Unterzeichnern des Göttinger Manifests von 1957 gegen strategische Atomwaffen. „Auch Lise Meitner war immer gegen die Atombombe und für die friedliche Nutzung der Atomenergie“, sagt ihre Biografin Kerner. Damals habe man die Atomenergie als die Lösung des Energieproblems der Menschheit betrachtet und dabei die Folgen nicht bedacht.

Dass Hahn allein den Nobelpreis für Chemie bekam, habe Meitner akzeptiert, sagt Kerner. „Es hat sie aber furchtbar geärgert, dass sie noch lange nur als Mitarbeiterin Hahns bezeichnet wurde“, ergänzt die Biografin. „Frauen galten per se als Zuarbeiterinnen“. Aus heutiger Sicht sei die Entdeckung der Kernspaltung eine Gemeinschaftsarbeit. Dem wird heute auch der Name des musealen Tischs gerecht. „Er heißt jetzt Hahn-Meitner-Straßmann-Tisch“, sagt Rehn-Taube.

Genaugenommen handelt es sich dabei nur um eine Installation und nicht um den tatsächlichen Versuchsaufbau. „Die Versuche fanden in drei Räumen statt. Aus Sicherheitsgründen hat man die Bestrahlung und Messung separat durchgeführt“, erläutert Trautmann. Die Forscher hätten damals äußerst sauber und penibel gearbeitet: „Man hat nach den Experimenten keine radioaktiven Kontaminationen gefunden“.

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