Architektur Besser bauen mit schlauen Algorithmen

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Auch das Nationalstadion Peking kommt aus dem Computer

Für die innere Verkleidung im großen Saal der Elbphilharmonie entwickelte Koren eine Million Zellen. Das sind die Vertiefungen in den Gipspaneelen, die wirken, als hätte sie jemand mit einer Muschel ausgeschabt. Doch es war Korens Algorithmus, der sie geformt hat. Jede Zelle hat eine einzigartige Form. Aber jede entspricht klaren ästhetischen wie akustischen Vorgaben. Am Ende habe es keine zwei Stunden gedauert, bis seine Rechner die Zellen gestaltet und auf den Bruchteil von Millimetern genau im Raum platziert haben, sagt Koren. Der Computer lieferte auch den Arbeitsauftrag für die Fräsen, die die 10.000 Paneele gefertigt haben. Nur 20 waren fehlerhaft.

Nicht weil der Algorithmus versagt hätte, wie Koren betont, sondern weil eine der Fräsen stumpf geworden war.

Als Ikone für ein Gebäude aus dem Computer gilt das Nationalstadion von Peking, auch Vogelnest genannt. Denn so wie sich Vögel aus vielen verschiedenen Stöckchen ein stabiles Netz bauen, fügen sich auch die maßgefertigten Teile der stählernen Trägerkonstruktion des Stadions zusammen. Die Statik eines solch komplexen Systems zu berechnen ist für den Menschen nahezu unmöglich. Das schafft nur die Maschine. Auch das Büro der 2016 verstorbenen Architektin Zaha Hadid setzt auf Algorithmen – und hat beispielsweise die Oper in Guangzhou oder das phaeno in Wolfsburg entworfen.

Schon in analogen Zeiten haben Architekten zum parametrischen Design gegriffen: etwa Frei Otto, der für die Olympischen Spiele in München 1972 ein Stadion mit einem geschwungenen durchsichtigen Dach schuf. Er experimentierte dafür mit Seifenlauge, tauchte die Träger seines Modells in die Flüssigkeit und zog diese auseinander, sodass sich die schillernde Lauge spannte und ihre Statik berechnen ließ: Die Lauge stand gleichsam dem Zeltdach Modell. Heute würden Architekten die Konstruktion von einem Computer simulieren lassen.

Auf digitalen Baustellen kommen die Algorithmen voll zur Geltung

Das habe den Vorteil, scherzt der Architekturinformatiker Petzold, dass anschließend niemand matschige Böden putzen müsse. Vor allem aber, ergänzt Christoph Langenhan, der ebenfalls am Münchner Lehrstuhl forscht, spiele der Rechner die Vielfalt der Varianten schneller und unermüdlicher durch, als es jedes Experiment mit Seifenblasen schaffe. „Algorithmen helfen vor allem bei Projekten, die per Hand bislang nicht möglich waren – oder nur unter großem Aufwand“, sagt Langenhan.

Ihre volle Wirkung entfalten die Algorithmen erst, wenn auch Baustellen digitaler werden. Es gibt bereits Ingenieurbüros, die mit Algorithmen auszuloten versuchen, wie sich beim Bau neuer Gebäude möglichst viel Bauschutt aus abgerissenen Gebäuden wieder verwenden lässt. Es gibt Maschinen, die Arbeitsaufträge als Datei entgegennehmen, und 3-D-Drucker, die binnen kürzester Zeit Bauteile schaffen, für die Handwerker Wochen benötigen. In Deutschland ist all dies aber noch kein Alltag. Hier gibt es statt eines Computercodes auf dem Weg vom Entwurf des Architekten bis zur Fertigstellung der Fassade viele Übergaben und Missverständnisse, Pannen und Verzögerungen.

Die Entwürfe ihrer Möbel konnten die Münchner Studenten mit wenigen Klicks an ein computergesteuertes Messer schicken. Das hat die Bauteile nach Maß zugeschnitten. „Der Maschine ist es egal, ob sie 5000 verschiedene Teile oder 5000 gleiche Teile fertigt. Für einen Schreiner aber macht das einen enormen Unterschied“, betont Langenhan. Auf diese Weise ganze Gebäude zu erschaffen ist noch ein Traum. Ein Konzerthaus oder ein Stadion ist ein komplexeres System als ein Hocker. Dennoch forschen Petzold und Langenhan daran, dem Traum näher zu kommen. „Der Algorithmus entmündigt den Architekten nicht, er ist ein weiteres Werkzeug“, sagt Petzold.

Zu Beginn eines solchen Prozesses die Parameter zu bestimmen und am Ende aus der Vielzahl der von der Maschine vorgeschlagenen Entwürfe den entscheidenden auszuwählen – darin liege die Kreativität.

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