Biotech Fünf Gründe, warum die Zulassung der Gentherapie wichtig ist

Nach 25 Jahren Forschung bekommt die erste Gentherapie in der westlichen Welt eine Marktzulassung. Ein Meilenstein der Forschung, mit dem kaum noch jemand gerechnet hat.

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Die Geschichte der Genetik
Bereits Wissenschaftler der Antike interessierten sich für Fragen der Vererbung. Etwa 500 vor Christus erklärte der griechische Philosoph Anaxagoras, dass der Embryo im männlichen Spermium bereits vorgeformt sei. Dass nur der Mann Erbanlagen besitze, behauptete auch Aristoteles etwa 100 Jahre später. Ähnliche Vorstellungen hielten sich noch bis in die Neuzeit hinein, da es an Instrumenten und Technik fehlte, um tiefer in die Forschung eintauchen zu können. Quelle: Gemeinfrei
Den Grundstein zur sogenannten modernen Vererbungslehre legte Gregor Johann Mendel. Der Augustinermönch schrieb 1865 die sogenannten Mendelschen Regeln nieder. Sie erfassen bis heute die Prinzipien für die Vererbung körperlicher Merkmale. In seiner Forschung experimentierte Mendel mit Erbsen, und zwar mit sieben unterschiedlichen Merkmalen reinrassiger Erbsenlinien, und fasste die Ergebnisse seiner Kreuzungsversuche zu drei Grundregeln zusammen. Quelle: Gemeinfrei
1869 wurden in Fischspermien erstmals Nukleinsäuren, die Bausteine der DNA (Desoxyribonukleinsäure), entdeckt. Den Zusammenhang zur Struktur der Erbsubstanz konnten Wissenschaftler bis dahin jedoch nicht herstellen. Erst 19 Jahre später entdeckte Wilhelm von Waldeyer (im Bild) die Chromosomen in menschlichen Zellen. Quelle: Gemeinfrei
1890 wies dann der deutsche Biologe Theodor Boveri nach, dass die Chromosomen Träger der Erbinformation sind.  Quelle: Gemeinfrei
William Bateson war es, der 1906 den Begriff "Genetik" für die Vererbungsgesetze einführte. Quelle: Gemeinfrei
Bereits 1903 vermutete der amerikanische Biologe Walter S. Sutton, dass paarweise auftretende Chromosomen Träger des Erbmaterials sind. Dieser Ansatz wurde ab 1907 von Thomas Morgan an der Drosophila melanogaster (eine Taufliegenart) verfolgt und ausgebaut. Morgan gelang es, Gene als Träger der geschlechtsgebundenen Erbanlagen an bestimmten Stellen der Taufliegen-Chromosomen zu lokalisieren. Für diese Leistung erhielt er 1933 den Nobelpreis für Medizin. Quelle: dpa
James Watson (im Bild) entdeckte gemeinsam mit seinem Kollegen Francis Crick 1953 die Doppelhelixstruktur der DNA. Sie stellten fest, dass das DNA-Molekül ein dreidimensionaler, spiralförmiger Doppelstrang ist, in dessen Innenraum sich die vier Basen immer paarweise zusammenschließen. Das Besondere an dieser Struktur sei, so die beiden Forscher, dass sie sich selbst kopieren könne. Damit hatten Watson und Crick auch den Mechanismus der Vererbung erklärt. Dafür erhielten auch sie den Nobelpreis. Quelle: dpa

Ginge es nur nach der Zahl der Menschen, denen die neue Therapie des niederländischen Biotech-Unternehmens UniQure hilft, würden darüber ausschließlich medizinische Fachblätter berichten: Lediglich ein bis zwei Fälle der Krankheit mit dem unaussprechlichen Namen Lipoproteinlipase-Defizienz (LPLD) werden bei einer Million Menschen beobachtet. Gegen diese sehr seltene, erblich bedingte Fettstoffwechselkrankheit hat UniQure nun eine Therapie namens Glybera entwickelt. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA lässt sie gerade zu. Was die Therapie so einzigartig macht: UniQure heilt mithilfe von Genen, die Transport-Viren in den Körper der Kranken einschleusen. Nach über 25 Jahren Forschung mit zahllosen Rückschlägen und sogar Todesfällen ist dies die erste Gentherapie, die ein westliches Land gestattet. Fünf Gründe, weshalb sich jeder für diese neue Therapie interessieren sollte:

1. Die Glybera-Zulassung wird die Biotech-Landschaft verändern. Dass das Heilen mit Genen eines Tages doch noch funktioniert, daran hatten die meisten Forscher und Biotech-Investoren nicht mehr geglaubt. Viele Unternehmen gingen zugrunde, die sich der Gentherapie verschrieben hatten. Auch UniQure brauchte vier Anläufe, bis die Therapie endlich genehmigt wurde. Dass in Europa nun eine Gentherapie zugelassen ist, wird das Forschungsfeld wiederbeleben und eine Welle neuer Aktivitäten lostreten. Davon ist nicht nur Jörn Aldag überzeugt, der heute UniQure leitet und zuvor viele Jahre lang das Hamburger Biotech-Unternehmen Evotec führte.

2. Die Gentherapie könnte Krebs, Herzinfarkt oder Parkinson heilen. Ursprünglich stammt die Idee, Erbdefekte mithilfe eines neuen Sets funktionierender Gene zu reparieren, aus der Forschung mit schwersten Erbkrankheiten wie etwa der Mukoviszidose. Inzwischen haben sich die Forscher aber vor allem mit solchen Genen beschäftigt, die neue Muskelstränge in infarktgeschädigten Herzen wachsen lassen oder Tumore mithilfe von Selbstmordgenen attackieren. Die überwiegende Zahl der inzwischen gut 1700 Gentherapie-Studien, die weltweit durchgeführt wurden und werden, beschäftigt sich mit diesen modernen Volksseuchen.

Grafik Wie mithilfe der Gentherapie eine schwere erbliche Stoffwechselkrankheit kuriert werden kann

„Das sind die Gentherapien der Zukunft“, glaubt Aldag. So erprobt sein Unternehmen eine weitere Gentherapie gegen Blutarmut. Sie dürfte als nächste auf den Markt kommen. Und eine Studie mit Patienten der weitaus häufigeren Parkinsonerkrankung wird noch dieses Jahr starten: Hier soll das implantierte Gen dafür sorgen, dass im Gehirn wieder ein bestimmter Nervenbotenstoff produziert wird, sodass Schüttelkrämpfe und Lähmungen der Patienten aufhören.

3. Die Therapie ist sicher. Bisher hatten alle Gentherapien ein gravierendes Problem: Die Forscher hatten keine Kontrolle darüber, wo sich die implantierten Gene im Erbgutstrang einnisteten. Falsch eingebaute Gene können ein funktionierendes Gen allerdings in ein Krebsgen verwandeln, was bei einer Studie mit Kindern in einem Pariser Hospital vor Jahren tatsächlich passierte und zum Abbruch fast aller damals laufender Gentherapie-Studien in Europa führte. Die UniQure-Forscher fanden eine elegante Lösung: Ihre Gene gelangen zwar in den Zellkern, doch sie bilden dort eine eigene Einheit, ein Inselgenom. Das kann das Erbgut der Zellen nicht weiter stören.

4. Bioethiker warnen vor dem genoptimierten Menschen. Tatsächlich verändert die Therapie die gottgegebene genetische Ausstattung eines Individuums. Die Veränderungen betreffen aber nur den Patienten selbst und gelangen nicht über Ei- oder Samenzellen in die nächste Generation – ein Ziel, das Forscher anfangs verfolgten. Das individuelle Heilen mit Genen ist für die meisten Bioethiker viel akzeptabler.

5. Die Behandlung von Krankheiten wird billiger. Bisher ist Glybera nur für Patienten zugelassen, die wegen ihres Gendefekts an einer behandlungsintensiven Leberstörung leiden. Falls sich der Erfolg aber in der Anwendung beweist, dürfte Glybera auch vorbeugend für jene infrage kommen, die sich trotz Erbschaden noch mit einer rigorosen Fettfrei-Diät behelfen können. Damit könnte das Erbgut repariert werden, bevor die Leber leidet. Über den Preis der Gentherapie will UniQure-Chef Aldag zwar noch nicht sprechen. Doch weil sie mit einer einzigen Injektion auskommt und der heilsame Effekt über Jahre anhält, dürfte das neue Konzept im Vergleich zu zigtausend Euro teuren Krebstherapien oder Herzoperationen geradezu preiswert sein.

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