Chan Zuckerberg Initiative Neue Heiler aus dem Silicon Valley

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Pharmaindustrie sieht zu

Das alles geht Chan an diesem Septembermorgen durch den Kopf, als die praktizierende Kinderärztin in schlichtem schwarzen Kleid mit vorsichtigen Schritten auf die Bühne des ihr so vertrauten Hörsaals tritt, vor sich nicht wie früher ihre Kommilitonen, sondern Presse, Wissenschaftler und Politiker. Gerade hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sie hinter der Bühne noch umarmt, seiner Ehefrau Mut zugesprochen. Überraschungsgast Bill Gates hat ihr die Hand gedrückt. „Hallo, alle zusammen“, beginnt die 31jährige die historische Ankündigung, dass ihr Ehemann und sie über die nächsten zehn Jahre drei Milliarden Dollar ins Ausrotten oder zumindest Lindern von Krankheiten investieren werden. Es ist die bislang mit Abstand größte Einzelspende für medizinische Forschung, ein lang angelegtes Vorhaben, das die beiden Eheleute bis weit in das Jahrhundert vorantreiben wollen.

3,8 Mal ist das Video der Großspende angeklickt worden, natürlich über Facebook verbreitet. Nicht nur wegen der Höhe der Summe oder der Popularität ihres Ehemanns. Sondern auch wegen des tief bewegenden Auftritts von Chan, die allergrößte Mühe hat, nicht völlig die Fassung zu verlieren. Als sie schildert wie sie als Kinderärztin Eltern mitteilen musste, dass ihr Kind nicht wiederbelebt werden konnte, muss sie kurz die Bühne verlassen, um die Tränen zu trocken. So etwas lässt sich nicht einstudieren. Zumindest nicht von Chan. Emotionen zu zeigen, ja sich selbst zu präsentieren, ist ihr peinlich. „Ich war schon immer etwas steif“, sagt sie. Freunde wissen wie sehr sie es hasst, in der Öffentlichkeit zu stehen. Sie wirkt lieber im Hintergrund, so wie Laurene Jobs, die Witwe von Apple-Gründer Steve Jobs. Oder Cari Tuna, die Gattin von Facebook-Mitgründer Dustin Moskovitz.

Drei Milliarden Dollar gegen Krankheiten

Während Zuckerberg, den sie noch vor der Gründung von Facebook auf einer Party in Harvard kennenlernt, als aufstrebendes Unternehmer-Wunderkind international gefeiert wird, zieht sie diszipliniert ihr Medizinstudium in San Francisco durch, schrubbt dann als Assistenzärztin lange Schichten im Marc Benioff Kinderhospital.  Das ist sie schon mit Zuckerberg verheiratet. Die Eheleute sind dank der Facebook-Milliarden das zweitreichste Paar der Welt, hinter Bill und Melinda Gates. Irgendwann, so berichten Freunde, erkennt sie, dass sie sich den Rummel um ihren Ehemann sowieso nicht entziehen kann. Dass es merkwürdig ist, wenn dieser Transparenz predigt, aber von der Liebe seines Lebens keine Bilder im öffentlichen Teil seines sozialen Netzwerks existieren. Und dass sie mit der Aufgabe eines Teils ihrer Privatsphäre auch eine wichtige Rolle spielen kann, so wie Melinda Gates.

Chan genehmigt Fotos aus Studientagen, von der Hochzeit, auch von der Geburt der Tochter Max. Und toleriert es, als Zuckerberg auf Facebook über den emotionalen Schmerz der drei vorangegangenen Fehlgeburten schreibt. Vor allem um „anderen zu helfen, die durch ähnliche Täler gegangen sind“.

Ihr Auftritt in San Francisco ist auch ihr Debüt in der Öffentlichkeit. Das es Zynikern erschwert, die Motive hinter solchen Großspenden in Frage zu stellen. Steuern sparen kann man auch mit weniger emotionalen Schmerzen.

Pharmabranche sieht nur zu

Die Verbindung aus Tech-Nerd und Ärztin lässt sich in jedem Detail des Vorhabens wiedererkennen: Die Initiative will die Medizin und die Welt der Daten einander näherbringen und viel effektiver miteinander verzahnen als bisher. Sie konzentriert sich deshalb zunächst nicht auf bestimmte Krankheiten, sondern will in jahrelanger Aufbauarbeit vielseitig einsetzbare Datenbanken schaffen. Die sollen es Forschern anschließend leichter machen, konkrete Krankheitsbilder zu verstehen und zu heilen. Dazu gehört eine Art Atlas, der alle menschlichen Zelltypen mit ihren Eigenschaften und Lokalisationen im Körper genau beschreiben soll.

Wie schnell sich mit der Datenanalyse Ergebnisse in der Medizin erzielen lassen, macht die Techbranche derzeit ohnehin vor (lesen Sie hier eine Einschätzung von Michael Dahlweid, Vorstand des Medizintechnikhersteller GE). Sie treibt die Vermählung von Big Data und künstlicher Intelligenz mächtig voran, während die Pharmaindustrie eher vom Rande her zusieht. So hat IBM seinen Supercomputer Watson mittlerweile so trainiert, dass er seltene Krankheiten diagnostizieren kann. Das Computergehirn umfasst 300 Millionen Daten von Patienten und mehr als 1,2 Millionen wissenschaftliche Abhandlungen. Es kann Röntgenbilder lesen, warnt vor Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und gibt Therapieempfehlungen für Krebspatienten. Apple will gar einen ganz neuen Datenschatz heben – den seiner Kunden, mithilfe der Anwendung HealthKit auf dem iPhone, völlig unabhängig von Forschung oder Kliniken. An eine allumfassenden Landkarte, wie sie die Chan Zuckerberg Initiative anstrebt, hat sich bisher aber noch niemand herangewagt. „Ein solcher Datenschatz könnte einen großen Beitrag zum medizinischen Fortschritt bedeuten“, sagt Stefan Biesdorf von der Beratung McKinsey.

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