Der gläserne Patient Du musst dein Leben ändern!

Wer gesund lebt, wird belohnt. Dank Selbstkontrolle per Smartwatch und Fitness-App können Versicherungen ihre Kunden mit Bonusleistungen locken. Doch viele Menschen tun sich schwer damit, ihren Lebensstil zu ändern.

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Sport ist ein Faktor für ein gesünderes Leben. Doch viele Menschen tun sich schwer damit, ihr Verhalten entsprechend zu ändern. Quelle: dpa

Berlin Herz-Kreislauf Erkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck sowie einige Krebserkrankungen sind verantwortlich für mehr als die Hälfte aller Todesfälle. Die Ursachen lassen sich an einer Hand abzählen: Mangel an körperlicher Bewegung, fehlerhafte Ernährung, übermäßiger Alkoholkonsum und Rauchen erhöhen wesentlich das Risiko für die genannten Erkrankungen.

Alle diese Faktoren sind vermeidbar. Viele Menschen tun sich dennoch schwer, ihren Lebensstil entsprechend zu gestalten. Die Generali-Versicherung will ihnen künftig mit einem neuen Krankenversicherungspaket auf innovative Weise helfen: Versicherte, die mittels ihres Mobiltelefons oder einer Smartwatch Daten etwa über den persönlichen Kalorienverbrauch, Bewegungsmuster und Pulsfrequenzen aufzeichnen und diese Aufzeichnungen über einen der gängigen Anbieter wie Jawbone, My Coach oder Nike Plus automatisch an die Versicherung übertragen lassen, erhalten Bonusleistungen, wenn sie sich besonders gesundheitsbewusst verhalten.

Das zunächst für Deutschland, Österreich und Frankreich geplante Angebot ist Teil der Ende vergangener Woche bekannt gegebenen Kooperation zwischen Generali und dem südafrikanischen Versicherungskonzern Discovery, der mit seinem Programm „Vitality“ einer der internationalen Marktführer für mit Bonusleistungen verknüpfte Wellness-Programme ist.

Aus Sicht der Versicherung rechnet sich das Angebot: Versicherte, die für gesunde Lebensführung mit Belohnungen in Form von Einkaufsgutscheinen oder Rabatten bei Fitnessstudios belohnt werden, verursachen durchschnittlich 18 Prozent weniger Kosten als andere Privatversicherte. Patienten, die ins Krankenhaus eingewiesen werden, verursachen laut Discovery sieben Prozent weniger Kosten, wenn sie zuvor regelmäßig Sport betrieben haben.

Die Datenbasis, mit der Discovery international operiert, ist beachtlich. Mehr als fünfeinhalb Millionen Versicherte betreut der Konzern weltweit; das Programm „Vitali“ kann auf Gesundheitsdaten aus mehr als siebzehn Jahren zurückgreifen. Durch die Analyse diese Datenschatzes gewinnt das Unternehmen Einsichten darüber, ob und wie Kunden mit Bonusangeboten dazu bewegt werden können, ihren Lebensstil zu verändern.  

Interessant sind solche Erkenntnisse gerade vor dem Hintergrund des rasch wachsenden Marktes für Fitness-Apps und -Gadgets. Smartwatches und andere Wearables sind populär – in den USA etwa besitzt heute bereits jeder zehnte Konsument ein entsprechendes Gerät –, aber viele Konsumenten verlieren schon nach kurzer Zeit das Interesse an ihrem Gerät. Bonusprogramme, wie sie von Generali und Discovery angeboten werden, sollen dazu führen, dass die Technologie des Telemonitorings größere Akzeptanz findet.


Big Data ersetzt klinische Studien

Analysen von Big Data im Gesundheitsbereich sind aber nicht nur für Krankenversicherungen interessant. Auch die Wissenschaft profitiert vom Eifer der Datensammler, etwa als Alternative zu teuren klinischen Studien. „In der Vergangenheit musste man unglaublich teure und zeitaufwändige klinische Studien aufsetzen, um eine Hypothese zu testen“, berichtete etwa Nicholas Tatonetti, Assistant Professor für Biomedizinische Informatik an der Columbia Universität in New York, vor einiger Zeit in einem Artikel der New York Times. „Heute können wir auf Daten zurückgreifen, die bereits in den elektronischen Patientendossiers gesammelt sind und daraus unsere Informationen beziehen.“

Eine der Studien, an denen Tatonetti beteiligt war, konnte allein mit Hilfe eines Algorithmus, der mit Daten der amerikanischen Food and Drug Administration gefüttert wurde, zeigen, dass das Anti-Depressivum Paxil und der Cholesterinsenker Pravastin bei kombinierter Einnahme zu einem erhöhtem Blutzuckerspiegel führen.

Deutlich weniger Begeisterung lösen Schlagwörter wie „elektronisches Patientendossier“  oder „Quantified Self“ (so die Bezeichnung einer Hobby-Bewegung, die sich die medizinische Selbst-Überwachung mit technischen Mitteln auf die Fahne geschrieben hat) bei Datenschützern aus. Ihre Sorge: Versicherungen, die unbefugt Zugriff auf die Daten erhalten, könnten dies ausnutzen, um einzelne Patientengruppen durch die Einordnung in höhere Tarifklassen zu diskriminieren.

Zumindest bei dem Angebot von Generali und Discovery entfällt diese Sorge. Hier müssen die Beteiligten ausdrücklich zustimmen, dass ihre Daten an die Kasse weitergegeben und zur Ausdifferenzierung von Versicherungsverträgen verwendet werden.

Dass die Patientendaten bei Discovery nicht, wie sonst im Gesundheitsbereich üblich, vor der Weiterverarbeitung anonymisiert werden müssen, hat für das Data Mining entscheidende Vorteile. „Das Problem bei der kommerziellen Nutzung von Gesundheitsdaten besteht darin, dass es viele geographische und ethnische Unterschiede gibt, welche zu versteckten, nicht gesundheitsrelevanten Variationen in den Daten führen“, erläutert Søren Brunack von der Technischen Universität Dänemark in Lyngby, der sich schon länger mit dem Thema „Data Mining von elektronischen Patientendossiers“ befasst.

Wenn die Möglichkeit bestehe, bei der Verarbeitung der Daten auf Anonymisierung zu verzichten, so Brunak, „dann können diese Daten über den Namen leichter mit anderen Informationen verknüpft werden.“ Auf diese Weise lassen sich auch sehr heterogene Datenquellen noch gut handhaben – was zu besseren Ergebnissen führe als die Analyse von Daten, die alle einen ähnlichen Typus repräsentieren.


Mein Fitness-Armband macht mich fett

Probleme sehen Experten allerdings bei der Verfügbarkeit der Daten für wissenschaftliche Untersuchungen. Bei Discovery befinden die Gesundheitsdaten exklusiv in der Hand eines kommerziellen Anbieters. „Für die medizinische Forschung wäre es besser, wenn diese Daten offen verfügbar wären“, meint Jan Schalllaböck, Datenschutzexperte der Anwaltskanzlei iRights.law.

Nicht hinreichend geklärt seien außerdem die Folgen von Big Data Mining für Drittbetroffene. „Die Analyse der Daten macht es möglich, Personen, die eine Kombination von bestimmten Merkmalen vorweisen, ein Kostenrisiko für die Versicherung zuzuschreiben. Dabei muss der Betroffene nicht einmal an dem Programm teilnehmen, die erhöhte Versicherungskosten muss er dennoch tragen“, so Schalllaböck.

Ein anderes Problem: Was als Belohnung beginnt, könnte schon bald als explizite Benachteiligung von Versicherten wahrgenommen werden, die sich der Live-Überwachung ihrer Körperfunktionen durch die Krankenkasse verweigern. Gewiss: Bei dem Versicherungsmodell, welches Discovery und Generali gemeinsam anbieten wollen, sind zwar keine günstigeren Tarife vorgesehen, sondern lediglich Wertgutscheine. Dass es dabei nicht bleiben muss, zeigt jedoch das Modell von United Health Care in den USA: Hier erhalten Versicherte, die an Vorsorgeprogrammen teilnehmen, bereits heute günstigere Tarife.

Zudem stiftet der Reduktionismus, der mit datenbasierten Empfehlungen zum Lebensstil meist einhergeht, auch nicht immer den gewünschten Nutzen. Gesundheitsempfehlungen von Fitness-Apps wie Jawbone, My Coach oder Nike Plus, auf welche Discovery bei der Erhebung der Versichertendaten zurückgreift, bringen in manchen Fällen sogar das Gegenteil des gewünschten Effektes hervor.

So beklagten sich einige Teilnehmer an den Programmen bereits darüber, dass ihr Fitness-Armband sie fett gemacht hätte: Eine vermeintliche Diät führte bei ihnen zu einer Gewichtszunahme, weil der Algorithmus, der die Menge der erlaubten Kalorien unter Berücksichtigung der gemessenen sportlichen Aktivitäten berechnen sollte, schlicht falsche Zahlen lieferte.

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