Ich finde es sehr nachvollziehbar, dass Menschen, die in Form von süßen Limos, übersüßten Pausensnacks oder Betthupferln mehr Kalorien aufnehmen, als sie verbrauchen, zunehmen und dick werden.
Brendel: Sie haben es gerade selbst gesagt. Nur wer mehr Kalorien aufnimmt, als er verbraucht, wird dick. Nicht die Zuckerzufuhr ist entscheidend, sondern das Maß an Bewegung und Sport. Hier haben gerade bei Kindern und Jugendlichen die Eltern eine große Verantwortung. Das ist eine Frage des Lebensstils, um den wir uns heute dringend kümmern müssen.
Es geht also nicht um eine isolierte Betrachtung des Zuckers, der immer wieder als Hebelpunkt benutzt wird von all jenen, die gegen die Ernährungswirtschaft zu Felde ziehen und die die Bevölkerung reglementieren wollen.
Warum erinnern mich ihre Worte so sehr an das Mantra der Nahrungsmittelkonzerne und ihrer Lobbyisten? Die antworten reflexartig auf den Vorwurf, sie mischten zu viele und immer mehr wohlschmeckende Kalorien in Form von Fett oder Zucker in ihre Waren, mit genau diesem Argument.
Brendel: Ich schätze mal, weil es stimmt. Tatsächlich hat der Zuckerverbrauch in Deutschland seit dreißig Jahren ja gar nicht zugenommen. Das ist belegt. Was dagegen drastisch zugenommen hat, sind Computerspiele und ähnliches, was Menschen von Bewegung und Sport fern hält. Das sollte als Dickmacher gebrandmarkt werden. Und ich finde, man kann der Lebensmittelwirtschaft auch keinen Vorwurf daraus machen, dass sie ihren Kunden wohlschmeckende Produkte anbietet. Wir Menschen essen nun einmal gerne Süßes.
Schneller schlau: Adipositas
Fettleibigkeit bei Kindern und Erwachsenen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Fachbezeichnung für die extreme Form des Übergewichts lautet Adipositas.
Laut Weltgesundheitsorganisation gelten Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 bis 30 als übergewichtig und mit einem BMI von mehr als 30 als adipös, also fettleibig.
Den BMI erhält man, indem man sein Gewicht durch die Körpergröße zum Quadrat teilt.
Bei Kindern und Jugendlichen ist eine BMI-Kategorisierung schwieriger, da es große individuelle Entwicklungsunterschiede gibt.
Betroffene leiden oft unter Bluthochdruck, hohen Cholesterinwerten, einem erhöhten Diabetesrisiko, Herzschwäche, einer Fettleber und Gelenkproblemen. Auch die Wahrscheinlichkeit, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, steigt. Wenn Betroffene zudem gesellschaftlich ausgegrenzt werden, leidet die Psyche.
Es gibt spezielle Adipositas-Kliniken, wo sich Ärzte, Therapeuten und Psychologen um die Patienten kümmern. Die erste Maßnahme zur Gewichtsreduktion sind ein maßvolles Essverhalten und ausreichend Bewegung.
Eine Operation gilt erst als ratsam, wenn Ernährungsberatungen und andere Methoden keinen Erfolg bringen.
Müller: Das ist evolutionär bedingt. Schon ein Baby lächelt, wenn es etwas Süßes auf der Zunge spürt.
Zu Zeiten, als jede Kalorie noch erjagt oder gesammelt werden musste, war das ja sicher auch sehr sinnvoll. Heute im Angesicht von prall gefüllten Supermärkten ist das aber wohl eher kontraproduktiv.
Müller: Nur um das klar zu stellen: Ich bin nicht dafür, dass Lebensmittel übermäßig gesüßt werden oder Zucker im Übermaß konsumiert wird. Aber ich wehre mich dagegen, dass Zucker verteufelt wird und Menschen Angst haben, überhaupt noch Zucker zu sich zu nehmen.
Zurück zum Zuckerverbrauch. Wenn der angeblich nicht zugenommen hat, wieso sind Limos oder Joghurtdrinks dann – vor allem in Nordamerika aber oft auch bei uns - inzwischen oftmals so pappsüß, dass viele Menschen sie widerlich finden? Und warum süßt die Industrie Softdrinks und Lebensmittel mit Fruktose aus Maissirup?
Brendel: Wir beschreiben vor allem die deutsche und europäische Situation.
Müller: Und wir schreiben nur über den Haushaltszucker, die Saccharose. Das führen wir im Buch auch ganz klar aus.
Der Gleichklang Ihrer Worte mit den Botschaften der Lebensmittel-Industrie ist so auffällig – und manche Ihrer früheren Auftraggeber wie Coca Cola oder Nestle sind so klar positioniert, dass ich Sie fragen möchte: Ist das Buch ein Auftragswerk? Bezahlen Lebensmittelkonzern oder deren Verbände Sie dafür?
Brendel: Nein…
Müller: … natürlich nicht. Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich - um das Buch zu schreiben - keinerlei Geld oder Inzentivierung von einem Unternehmen oder einen Verein bekommen habe oder noch bekommen werde. Wir können Ihnen auch gerne die Verträge offen legen, obwohl ich das sehr ungewöhnlich fände. Wir wollen nichts weiter, als den Menschen die völlig unbegründete Angst vor dem unbegründet verteufelten Zucker nehmen.