Professor Stephan Günther, 50, studierte Medizin an der Charité in Berlin und promovierte dort am Institut für Virologie. Seit 1998 arbeitet er am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, wo er seit 2006 Chef der Abteilung Virologie ist und an tropischen und „emerging viruses“ wie dem Lassa-Fieber forscht. Er leitet unter anderem einen europäischen Forschungsverbund zur Entwicklung moderner Diagnostikverfahren für hochpathogene Erreger wie Lassa-, Ebola- und Marburg-Viren. 2005 erhielt er zusammen mit Professor Christian Drosten den Bundesverdienstorden, weil sie den SARS-Erreger identifizieren konnten und sehr schnell einen entsprechenden diagnostischen Test entwickelten.
Professor Günther, noch nie zuvor haben sich so viele Menschen mit dem tödlichen Ebola-Virus angesteckt wie derzeit in Westafrika – aktuell sind es fast 5000, über die Hälfte von ihnen starb. Bei der großen Zahl der Infizierten und der hohen Mutationsrate des Ebola-Virus befürchten einige US-Forscher nun, dass der Erreger sich genetisch verändert – also mutiert – und damit sehr viel ansteckender werden könnte. Ist das Panikmache oder eine ernst zu nehmende Gefahr?
Um das vorherzusagen, bräuchte man hellseherische Fähigkeiten. Grundsätzlich ist es aber so, dass jedes Virus ständig mutiert. Das ist ein ganz normaler Prozess, auf dem die Evolution beruht. Auch die inzwischen genetisch entschlüsselten Ebola-Viren aus Westafrika zeigen solche genetischen Veränderungen. Was sie bedeuten, können wir aber noch nicht einschätzen.
Mutiert das Virus denn schneller als andere Viren?
Nein, die beobachtete Mutationsrate ist mit zehn hoch minus drei bis zehn hoch minus vier Veränderungen pro Position pro Jahr ganz normal für RNA-Viren – und zu diesen gehört das Ebola-Virus. Das heißt, im Durchschnitt verändert sich in einem Jahr jeder tausendste bis zehntausendste Buchstabe im Virengenom.
Das ist das Ebola-Virus
Das Ebola-Virus gehört zu den gefährlichsten Krankheitserregern der Welt. Es löst ein sogenanntes hämorrhagisches, das heißt mit starken Blutungen einhergehendes, Fieber aus.
Je nach Erregerstamm sterben laut Angaben der WHO 25 bis 90 Prozent der Patienten an einer Ebola-Erkrankung. Trotz intensiver Forschung ist noch kein Heilmittel auf dem Markt, Impfstoffe sind in der Testphase.
Seinen Ursprung hat das Virus im Tierreich. Menschen können sich über den Kontakt zu erkrankten Tieren infizieren, unter anderem Affen oder Flughunde. Von Mensch zu Mensch überträgt sich die Krankheit durch Blut und andere Körperflüssigkeiten.
Die Inkubationszeit beträgt nach WHO-Angaben zwei Tage bis drei Wochen. Dann setzen Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen, Schwächegefühl und Halsschmerzen ein. Später gehen Nieren- und Leberfunktion zurück, auch andere Organe werden geschädigt. Es können schwere innere Blutungen auftreten. Erst wenn die Symptome auftreten, sind Infizierte ansteckend.
Ebola kommt vor allem nahe des afrikanischen Regenwaldes vor. Zum ersten Mal wurde das Virus 1976 im damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, nahe dem Ebola-Fluss nachgewiesen. Daher hat die Krankheit ihren Namen.
Laut aktuellen Zahlen der WHO (Stand: 14. November 2014) sind seit dem aktuellen Ausbruch mehr als 14.400 Ebola-Fälle bekanntgeworden, die meisten in Liberia und Sierra Leone. Fast 5200 Menschen haben das Virus nicht überlebt.
Erhöht die hohe Zahl der Erkrankten das Risiko, dass bei den Veränderungen auch solche dabei sind, die das Virus ansteckender machen? Zum Beispiel so, dass es nicht wie bisher nur durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten übertragen werden kann, sondern eventuell auch durch winzige Tröpfchen in der Luft?
Natürlich bedeutet jeder neue Patient, dass das Ebola-Virus in seinem Körper millionenfach kopiert wird. Und bei jedem Kopiervorgang können solche Veränderungen auftreten. Ob dem Virus dabei aber im übertragenen Sinne Flügel wachsen und es so ansteckend wird wie viele Grippeviren, das lässt sich kaum vorhersagen.
Wie wahrscheinlich ist es denn?
Vereinfacht gesagt: Es ist in etwa so, als wollten Sie einen Panzer in ein Flugzeug umbauen. Denn bisher befallen die Ebola-Viren eine bestimmte Gruppe von Abwehr-, also Immunzellen im Körper, die sogenannten dendritischen Zellen. Deshalb ist der Erreger auch so gefährlich: Erst wird das Immunsystem lahmgelegt, dann führt eine überschießende Immunreaktion zum Tod. Wenn eine Mutation nun also dazu führen sollte, dass die Viren nicht mehr Immunzellen, sondern Zellen in der Lungenschleimhaut befallen, damit sie beim Husten oder Niesen in die Luft gelangen, kann das verschiedene Folgen haben. Der Erreger wäre dann eventuell ansteckender, andererseits aber nicht mehr so tödlich. Aber das ist wissenschaftliche Kaffeesatzleserei. Ob eine genetische Veränderung überhaupt in den Bauplan eines Erregers passt, könnte theoretisch vorab im Labor getestet werden. Aber im Moment gibt es ja nicht einmal genug Informationen, um solche Experimente zu planen. Außerdem halten wir diese Art von Experimenten für zu gefährlich.
Warum zu gefährlich?
Die Übertragbarkeit von Viren experimentell zu ändern, ist hochriskant, weil immer die Gefahr bestehen würde, dass solche Viren oder ihr Bauplan missbraucht werden oder in falsche Hände geraten könnten. Als niederländische Forscher vor Kurzem solche Experimente mit Grippeviren durchgeführt haben, löste das eine Welle der Empörung aus. Auch hier ging es darum vorherzusagen, welche Auswirkungen natürliche Mutationen bei Grippeviren haben können. Das ist ein Dilemma, in dem die Wissenschaft steckt. Wir halten es für sinnvoll, zu beobachten, was in Westafrika unter natürlichen Bedingungen passiert und ob sich am Übertragungsmuster des Virus etwas ändert.