Erbgut entziffert Ötzi hatte Verwandte auf Sardinien

Forscher haben das Erbgut des Gletschermanns Ötzi erstmals komplett entziffert und Erstaunliches festgestellt: Ötzi litt möglicherweise an Laktose-Intoleranz sowie Kreislaufproblemen und hatte Verwandte auf Sardinien.

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Nahaufnahme des Kopfes der 5300 Jahre alten Gletscherleiche

Tübingen/Bozen Wissenschaftler haben erstmals das gesamte Erbgut der Eiszeit-Mumie Ötzi gelesen und zum Teil auch entschlüsselt. Dabei stießen sie auf Belege für Krankheiten, auch heute noch viele Menschen plagen: Unter anderem litt Ötzi an Laktose-Intoleranz und an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, die vor allem Zivilisationskrankheit gelten. Um generelle Rückschlüsse auf die genetischen Ursachen solcher Krankheiten zu ziehen, reiche die Untersuchung von Ötzi allerdings noch nicht aus, betonte das Team um den Bozener Forscher Albert Zink am Dienstag. Die Resultate sind im Journal „Nature Communications“ veröffentlicht.

Schon im vergangenen Herbst hatten die Wissenschaftler erste Ergebnisse ihrer DNA-Analyse öffentlich gemacht. Bereits dabei zeigte sich, dass Ötzi braune Augen und braune Haare hatte. Bei den weiteren Analysen überrascht nun vor allem der Blick in die „Krankenakte“.

Unter anderem sei jetzt die Ursache für eine bereits bekannte Arterienverkalkung geklärt, unter der Ötzi gelitten hatte, schreiben die Forscher in „Nature Communications“. Diese Krankheit wird heute vor allem auf fetthaltiges Essen, Rauchen und Bewegungsmangel zurückgeführt - Auslöser, die bei dem Mann aus der Jungsteinzeit ausgeschlossen werden können. Bei Ötzi seien allerdings genetische Ursachen für die Erkrankung gefunden worden. „Es zeigt, dass Herz-Kreislauferkrankungen keineswegs moderne Zivilisationskrankheiten sind“, betonte Zink.


DNA-Entschlüsselung ein Glücksfall

Außerdem litt der Gletscher-Mann an einer Milchzucker-Unverträglichkeit. „Auf dem Weg zur Sesshaftwerdung mit Ackerbau und Viehzucht wird es für ihn schon schwierig gewesen sein, dass er keine Milch vertragen konnte“, sagte Carsten Pusch, der die genetischen Untersuchungen an der Universität Tübingen geleitet hat, der Nachrichtenagentur dpa. „Aber welche Konsequenzen das für seine Lebensführung hatte, müssen wir dahingestellt lassen.“

Generelle Rückschlüsse auf die genetischen Ursprünge von Krankheiten ließen sich durch die Untersuchung der Ötzi-DNA aber noch nicht ziehen, sagte Pusch. Dafür reiche es nicht, nur einen einzigen 5300 Jahre alten Menschen zu untersuchen.

Auch bei der Suche nach Ötzis genetischen Verwandten wurde das insgesamt mehr als 40-köpfige Forscherteam fündig - und zwar ausgerechnet auf Sardinien und Korsika, obwohl Ötzi die Alpenregion früheren Untersuchungen zufolge nie verlassen hat. „Vermutlich haben diese Inselbewohner und Ötzi die gleichen Vorfahren“, sagte Pusch. Doch welche Wanderungsbewegungen hinter diesem Verwandtschaftsverhältnis stehen, sei noch unklar. „Man hat ein paar Fragen beantwortet - und schon hat man 100 neue aufgeworfen.“

Die Entschlüsselung von Ötzis DNA sei ein Glücksfall gewesen, erzählte Pusch. An einem kleinen Stück aus Ötzis linkem Beckenknochen wollten die Tübinger Forscher ein neues Verfahren ausprobieren. „Wir wollten abschätzen, wie viel Knochenmaterial wir bräuchten, um Ötzis Erbgut komplett zu entschlüsseln.“ Nach mehreren Monaten Arbeit wurde dann klar, dass das ein Zentimeter lange und einen Millimeter dicke Knochenstück schon ausgereicht hatte, um zum ersten Mal Ötzis komplettes Erbgut zu entziffern. „Das hätte ich selbst vorher nicht geglaubt“, sagte der Humangenetiker.

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