Ernährung Die Zuckertricks der Lebensmittelindustrie

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Ernährungsstudien-Finanzierung durch Regierungen

Nehmen Sie nun Nestlé und Coca-Cola aufs Korn? Mit ähnlichen Enthüllungen haben Sie dafür gesorgt, dass die US-Zigarettenhersteller seit 1998 über 200 Milliarden Dollar an Wiedergutmachung bezahlen mussten, weil sie Gesundheitsschäden durch Nikotin 30 Jahre lang gegen besseres Wissen geleugnet hatten.
Nun ja, ich bin nicht derjenige, der solche Klagen anstrengen kann. Und mit der Lebensmittelindustrie verhält es sich auch ein wenig anders als mit Tabakkonzernen. Die sollte man einfach verbieten – und die Welt wäre definitiv besser und gesünder. Aber wir brauchen nun einmal Essen. Das lässt sich nicht verbieten. Und wir brauchen sogar Zucker, zumindest ein bisschen. Aber es ist ja nicht das einzelne Zuckermolekül, das Probleme macht. Es ist die schiere Menge an Zucker, die heute in Fertiglebensmittel und Softdrinks gepumpt wird. Das ist viel, viel mehr, als unser Körper verkraften kann. Das sollte verboten werden.

Der Zuckerindustrieverband wettert nun gegen Sie und beruft sich darauf, dass in den letzten Jahrzehnten gar kein Zusammenhang zwischen gezuckerten Lebensmitteln und Übergewicht oder Herzerkrankungen gefunden worden sei.
Und das glauben Sie? Die Sugar Association hat sich in einem Brief auch bei den Herausgebern des „Journal of the American Medical Association“ beschwert, wo unsere Arbeit erschienen ist. Die Argumentation ist haarsträubend und geht völlig an der Sache vorbei.

Aber woran sollen Verbraucher sich denn orientieren? Die Krux an der Ernährungsforschung ist doch, dass es zu jeder Studie eine Gegenstudie gibt. Und alle naselang eine neue Devise ausgegeben wird: Heute ist Zucker schlecht, morgen vielleicht wieder Fett. Und im Frühjahr stehen das Grillwürstchen erneut am Pranger.
Tatsächlich haben alle epidemiologischen Studien das Problem, dass sie keine kausalen Zusammenhänge beweisen. Wenn ich also analysiere, ob es in der Bevölkerung eine Korrelation zwischen Zuckerkonsum und Übergewicht gibt, könnte es sein, dass ich den Zusammenhang zwischen A und B herstelle, aber übersehen habe, dass C auch eine Rolle spielt. Das ist also ein bisschen ungenau, aber es bildet das echte Leben ab.

Was ist mit Labor- oder Fütterungsversuchen?
Wenn ich Zellen in einer Petrischale im Labor beobachte und mit Zucker füttere, ist das zwar sehr exakte Wissenschaft. Aber sie ist weit weg vom echten Leben. Denn ob Zucker Löcher in Zähnen macht, werde ich so nie herausfinden. Irgendwo dazwischen liegen Tierversuche: Wenn mit Zucker gefütterte Ratten verfetten und Herzattacken bekommen, ist das ein Indiz, das ich nicht unter den Teppich kehren sollte. Genau das haben die bestochenen Forscher aber getan. Sie haben nur die Puzzleteile ausgewählt, die in das von der Zuckerindustrie gewünschte Bild passten.

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Die meisten Ernährungsstudien werden ohnehin von der Lebensmittelindustrie bezahlt ...
... was irre ist. Sie müssten von Regierungen oder unabhängigen Forschungseinrichtungen finanziert werden. Denn natürlich sind von der Industrie bezahlte Studien nie vorurteilsfrei. Die Industrie hat nun einmal Interessen. Das unterscheidet sie vom Zika-Virus. Das kann nicht reich werden dadurch, dass es eine Krankheit verbreitet. Bei den Lebensmittelkonzernen ist das anders: Sie verdienen daran, dass sie den Menschen Nahrungsmittel verkaufen, die krank machen. Weltweit dominieren heute solche menschgemachten Zivilisationskrankheiten vor klassischen Infektionen.

Zur Person

Wie kamen Sie eigentlich auf das Thema Zucker?
Ehrlich gesagt hat mich meine Mitautorin Cristin Kearns darauf gebracht. Sie ist Zahnärztin und forschte an Karies. Dabei stieß sie auf Ungereimtheiten bei Studien – und auch auf die Dokumente, die wir nun ausgewertet haben. Da sie mich und meine Arbeiten zur Tabakindustrie kannte, fragte sie mich, ob ich das Thema zusammen mir ihr angehen wollte.

Haben Sie eine Lösung für das Problem parat, dass die Menschen nun einmal furchtbar gerne Süßes essen?
Zum einen können Staaten mit Vorschriften regeln, wie viel Zucker Lebensmittelhersteller in ihre Produkte pumpen dürfen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Aufklärung, wenn sie gut gemacht ist, sehr, sehr hilfreich sein kann. Aber momentan wird viel zu wenig Geld ausgegeben, um für gesunde Nahrung zu werben. Jedenfalls lange nicht genug, um gegen die Werbefeldzüge der Zuckerindustrie anzukommen. Strafsteuern auf überzuckerte Lebensmittel sind eine dritte Möglichkeit, um schnell Effekte zu erzielen, vor allem in Ländern und Bevölkerungsschichten, wo hohe Preise vor dem Kauf zuckerhaltiger Produkte abschrecken. Das zeigt sich schon jetzt zum Beispiel in Mexiko, wo es seit anderthalb Jahren eine solche Zuckersteuer gibt. Die Lage ist also nicht aussichtslos.

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