Erschöpfungsdepressionen Popbegriff und Krankheit: Burn-out

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Die unkonkrete Volkskrankheit

Zwischen Depression und Erschöpfung

Lange Zeit hat diese Definitionslücke niemanden gestört. Viele Ärzte und Psychotherapeuten waren zwar der festen Überzeugung, Burn-out sei nur ein neuer Name für Depressionen, benutzten das Wort aber dennoch gern. Es schreckte die Patienten weniger ab, weil jeder sich in den sprechenden Begriff hineindenken konnte. Wer fühle sich denn nicht mal am Morgen erschöpft und würde gerne im Bett bleiben, sagt der Leipziger Psychiater Ulrich Hegerl, das kenne jeder Mensch, und darin liege auch der Erfolg dieses Modeworts. Medien griffen das Thema begierig auf, reihenweise spezialisierten sich Psychosomatikkliniken auf die Behandlung der Ausgebrannten, die Bekenntnis- und Ratgeberliteratur füllt Regalmeter. Doch jetzt macht sich Unbehagen unter den Experten breit. Das Wort, das zunächst den Dialog über psychische Erkrankungen erleichtert hat, wird zum Problem. Der Begriff Burn-out werde völlig unterschiedslos sowohl für lebensbedrohliche Depressionen als auch für einfache Erschöpfungszustände nach anstrengenden Arbeitsphasen benutzt, sagt Ulrich Hegerl. Das sei falsch.

Depression? Erschöpfung? Persönlichkeitsstörung?

Ein Zusammenhang zwischen harten Arbeitsbedingungen und einer Depression bestehe selten. Dies treffe nur auf 20 bis 30 Prozent der Fälle zu, sagt der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Oft gilt das Gegenteil: Arbeit schützt vor psychischen Leiden. "Erwerbstätigkeit kann Psyche auch stärken", meldete vergangene Woche die Bundespsychotherapeutenkammer und untermauerte dies mit epidemiologischen Daten der gesetzlichen Krankenversicherung. Arbeitslose seien drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Meistens, so Hegerl, sei nicht Überforderung die Ursache für Depressionen, sondern eine genetische Veranlagung in Verbindung mit Verlusterlebnissen, Partnerschaftskonflikten, kränkenden Misserfolgen oder erheblichen Veränderungen der Lebensumstände.

Aber der Mythos von der "stressigen" Arbeit als Depressionspromotor ist in der Welt – und das hat Nebenwirkungen. "Eine Vermengung von Stress, Burn-out und Depression führt zu einer Verharmlosung der Depression", sagt Ulrich Hegerl. Beiläufig raten Kollegen den Betroffenen, sie sollten einfach mal Urlaub machen.

Wenn man eine Depression habe, sagt Hegerl, dann sei davon dringend abzuraten. Urlaub helfe depressiven Menschen genauso wenig wie viel Schlaf. Angebracht seien Psychotherapie oder Antidepressiva. Diese Hilfe gebe es oft nicht, sagt Hegerl, wenn man das unter Burn-out laufen lasse. "Der beste Weg zu einem optimalen Umgang mit der Erkrankung Depression ist es, eine Depression auch Depression zu nennen", sagt der Psychiater. Denjenigen, die nicht das klar definierte Bild einer Depression erfüllen, rät er, ihre Einstellung zur Arbeit zu verändern: Gelegentliche Überforderungen seien ein ganz normaler Teil des Lebens.

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