Erster Ausbruch des Marburg-Virus Tödliche „Affen-Seuche“ in Marburg

Vor 50 Jahren sterben in Marburg Menschen an einem unbekannten Erreger: Erstmals zeigt sich das Marburg-Virus, ein Verwandter von Ebola. In der hessischen Universitätsstadt werden die tödlichen Viren seither erforscht.

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Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des Marburg-Virus. Das Virus ist mit dem Ebola-Erreger verwandt und gehört zu den gefährlichsten bekannten Krankheitserregern. Quelle: dpa

Marburg Als im August 1967 ein schwer kranker Patient in die Marburger Uni-Klinik gebracht wird, vermuten die Ärzte noch eine Sommergrippe. Doch die Symptome werden immer schlimmer und diffuser. Der nächste Kranke kommt, dann noch einer und noch einer. Den Medizinern wird klar: Sie haben es mit einem gefährlichen und bis dahin unbekannten Feind zu tun.

Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, um dem tödlichen Erreger auf die Spur zu kommen. Das gelingt schließlich dort, wo die Krankheit ausgebrochen ist: im beschaulichen Marburg. Seitdem trägt das Virus, ein Verwandter des Ebola-Erregers, den Namen der mittelhessischen Universitätsstadt. Dort hat die Erforschung gefährlichster Erreger mittlerweile Tradition.

„Dass ein Virus aus Afrika nach Deutschland eingeschleppt wird und dann hier Todesopfer fordert, das war unbekannt“, sagt der Virologe Stephan Becker von der Universität Marburg. Für Versuche importierte Affen aus Uganda brachten den Erreger mit, und es waren insbesondere Labor-Beschäftigte, die sich infizierten. Wobei der eigentliche Wirt des Virus Flughunde sind, wie man heute weiß.

Trotz der damaligen Dramatik: „Der Ausbruch war die Initialzündung für das Verständnis von solch hochpathogenen Viren“, sagt Becker, der das Uni-Institut für Virologie leitet. „Das Problem dieser Infektionen ist, dass das menschliche Immunsystem nicht darauf vorbereitet ist. Es reagiert falsch.“

Es könne diese Viren nicht interpretieren, so Becker weiter. „Dadurch, dass das Immunsystem nicht trainiert ist auf diese Art von Viren, reagiert es über. Das nennt man Zytokinsturm – und das ist der Grund dafür, dass Menschen an dieser Infektion sterben.“

Eine unheimliche Situation

Nicht nur in Marburg gab es im Jahr 1967 Kranke, auch in Frankfurt und in Belgrad rangen Patienten um ihr Leben. Von den 31 Infizierten starben 7. „Es war eine unheimliche Situation. Man wusste ja zunächst nicht, wie die Infektion übertragen wird“, erinnert sich der 82 Jahre alte Werner Slenczka, heute emeritierter Virologie-Professor, damals Forschungsassistent. Er war es, der nach Überwindung einiger Schwierigkeiten den Erreger identifizierte.

Zunächst aber hatte er mit den Ereignissen in Marburg nicht viel zu tun. Slenczka war mit seiner Familie im Urlaub und las in der „Bild“-Zeitung von der „Affen-Seuche“ in Hessen. Dort ging die Angst um. Auch unter Wissenschaftlern.

So wurde damals Ende August beschlossen, die Diagnostik-Arbeiten an Proben von Patienten sowohl in Marburg als auch in Frankfurt zu stoppen, erzählt Slenczka. Man habe befürchtet, dass die zentral gelegenen Labors dazu beitragen könnten, die Seuche zu verbreiten.

„Das Material wurde eingefroren beziehungsweise an ausländische Institute geschickt, weil die Labors hier nicht für solch einen Erreger ausgerichtet und ausgestattet waren“, so der Virologe. „Wir hatten ja keine guten Schutzmöglichkeiten. Masken hatten wir und Handschuhe – aber das war ja nicht so wie heute.“


Die Nadel im Heuhaufen

Allmählich entspannte sich die Situation. Im September seien die ersten Patienten aus dem Krankenhaus entlassen worden, erzählt Slenczka weiter. „Man stellte fest, dass keine bleibenden Schäden zu vermuten waren und es vor allem keine weitere Ausbreitung gab.“ Also sei die Suche nach dem Erreger in Marburg wieder aufgenommen worden.

„Es war keine leichte Aufgabe. Es war die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt der 82-Jährige. Zudem sei es ein „ziemlicher Ritt über den Bodensee“ gewesen. „Denn wir wussten nicht sicher, ob der Erreger durch unsere Methode inaktiviert wird.“ Er habe keine panische Angst gehabt, allerdings Angst genug, um sich zu schützen.

Die Methode, die zum Erfolg führte, war die Immunfluoreszenz. Dabei werden Antikörper mit einem Farbstoff markiert und mit UV-Licht zum Leuchten gebracht. Diese können sich an Erreger heften.

„Das war damals noch eine sehr komplizierte Technik“, erzählt Slenczka. „Am 20. Oktober habe ich zum ersten Mal etwas unter UV-Licht im Mikroskop gesehen, von dem ich überzeugt war, dass es der Erreger sein muss. Es ist ein tolles Gefühl, etwas zu sehen, von dem man weiß, dass es noch nie zuvor jemand gesehen hat.“

Der Feind war damit nicht nur identifiziert. Der Ausbruch in Marburg und die Suche nach dem Erreger prägten auch maßgeblich die weitere virologische Forschung in Marburg. Mittlerweile ausgestattet mit einem modernen Hochsicherheitslabor, wird hier nicht nur an Marburg-Viren geforscht, sondern auch an Lassa- oder Ebola-Viren. Marburger Wissenschaftler waren auch während der Ebola-Epidemie 2014 in Westafrika im Einsatz und sind an der Entwicklung eines Impfstoffes beteiligt.

„Die Geschichte des Marburg-Virus ist nicht nur eine Geschichte der hochpathogenen Infektionen“, betont Becker. „Es sagt auch sehr viel über unsere Umwelt und Gesellschaft aus.“ Etwa, dass wir auch heute noch sehr verletzlich solchen Infektionen gegenüber seien. Das habe der Ebola-Ausbruch 2014 gezeigt.

„Und wenn dann solch ein Ausbruch da ist, ist das nicht nur ein Gesundheitsproblem. Dann wird es auch zu einem politischen Problem, weil ganze Regionen plötzlich instabil werden.“

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