EU-Studie Allergien kosten bis zu 150 Milliarden Euro – pro Jahr

Juckende Haut, Niesanfälle, Asthma - Millionen Menschen in der EU leiden unter Allergien. Eine Studie zeigt: bis zu 90 Prozent werden nicht oder falsch behandelt. Das kostet die Wirtschaft Milliarden.

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Immer mehr Menschen leiden unter Allergien - das führt zu hohen Kosten für die Wirtschaft. Quelle: dpa

Arbeitsausfälle, Unfälle, schlechte Konzentration durch müde-machende Medikamente: Allergien haben einen erheblichen Einfluss auf die Arbeits- und Leistungsfähigkeit. Das verursacht massive Kosten: Bis zu 142 Milliarden Euro könnten in der Europäischen Union gespart werden, würden Allergiker endlich sachgemäß behandelt. Das zeigt eine Studie unter Zusammenarbeit von Charité Berlin, Universität Göteborg (Schweden), Universität Leuven (Belgien) und Harvard in Boston (USA).

Das Problem: Immer mehr Menschen leiden unter Allergien. In Deutschland sind laut der Untersuchung mittlerweile 41 Prozent der Bevölkerung betroffen. Jedoch werden bis zu 90 Prozent der Allergiker in Europa gar nicht oder nur unzureichend behandelt. Untersuchungen zeigten, dass etwa mehr als die Hälfte der Patienten mit allergischem Schnupfen im Zeitraum eines Jahres keinen Arzt zu Rate zogen. Rund ein Drittel behandelt sich lieber mit rezeptfreien Arzneimitteln selbst. Bei Patienten mit Nesselsucht (juckender Hautausschlag) greifen sogar 78 Prozent zu nicht-verschreibungspflichtigen Medikamenten - zwei Drittel nehmen diese aber nicht regelmäßig ein. Die Folge: die meisten leiden trotzdem unter Juckreiz, körperlichem Unwohlsein und Schlafstörungen. Dies liege daran, dass Allergien und ihre Folgen nach wie vor nicht ernst genug genommen würden - weder vom Patienten noch von den Ärzten, so die Forscher.

Recht einfach: Rechtsprechung zum Thema Allergie

Sie werteten für ihre Untersuchung Statistiken von Eurostat und Eurofound aus, um die sozioökonomischen Kosten von Allergien messen zu können. Ihr Ansatz: Im Vergleich zu Krankheiten wie Herzleiden, Bluthochdruck oder Diabetes fließen wenig Gelder und Bemühungen in die Forschung. Mit ihrer Studie wollen sie für das "EU Network of Excellence in Allergy" (ein Zusammenschluss führender Kliniken und Forschungseinrichtungen zu Allergien und Asthma in Europa) zeigen, wie wichtig und kostensparend eine richtige Behandlung von allergischen Erkrankungen ist.

Obwohl Allergien auf dem Vormarsch sind und die Menschen in Gesundheit und Wohlbefinden massiv beeinträchtigen, wurden die ökonomischen Folgen bislang vernachlässigt. Diese Lücke wollen die Forscher nun schließen. Für ihre Berechnungen zogen sie verschiedene Szenarien der Verbreitung von Allergien in der arbeitenden EU-Bevölkerung und der daraus resultierenden Beeinträchtigungen heran. Für die Kosten, die dies verursacht, wurden Mittelwerte für komplette Arbeitsausfälle und eine beeinträchtigte Konzentrationsfähigkeit gebildet. Zusätzlich wurde von diesen Allergie-Kosten die Kosten für eine sachgemäße Behandlung der Patienten abgezogen.

Das sind die größten Allergiker-Mythen
Die schlechte Nachricht vorweg: Es gibt keine Heilung für Allergien. Das liegt daran, dass bislang niemand die genauen Ursachen für Allergien kennt. Und solange die Ursache unbekannt ist, ist auch die Heilung unmöglich. Quelle: dpa
Genauso falsch ist der Glaube, mit einem Bluttest zu Hause feststellen zu können, ob man allergisch ist - und gegen welchen Stoff. Wer keine Lust auf falsche Interpretationen und damit eine falsche Behandlung hat, sollte zum Hautarzt oder Allergologen gehen. Quelle: dpa/dpaweb
Auch gibt es Allergien keineswegs nur in unserer modernen Welt - Stichwort Desinfektionsmittel: Schon im Mittelalter soll es Allergien gegeben haben. Was richtig ist, ist aber, dass wenig Bewegung, und viel Heizungsluft unsere Atemwege anfälliger machen. Und das ist in der Tat ein Merkmal unserer Gesellschaft. Quelle: dpa
Es schadet dem Immunsystem von Kindern also nicht, wenn man viel mit Desinfektionsmitteln hantiert. Genauso wenig wird das Kind zum Allergiker, wenn man ihm vor dem ersten Geburtstag sogenannte hochallergene Lebensmittel wie Tomaten und Erdbeeren gibt. Wissenschaftliche Beweise für den Nutzen dieser Art Schonkost gibt es keine. Quelle: dpa
Genauso wenig richtig ist, dass ältere Menschen keine Allergien mehr bekommen können. Allergien können sich zu jeder Zeit und in jedem Alter entwickeln. Das Alter spielt nur bei dem Allergieauslöser eine Rolle: Erwachsene reagieren in der Regel auf andere Stoffe allergisch als Kinder. Quelle: obs
Pollen, eines der häufigsten Allergene bei Erwachsenen, fliegen übrigens nicht nur im Frühjahr und im Sommer. Zwar ist die Pollen- und damit auch die Heuschnupfen-Hochsaison zwischen April und August, Pollen können aber das ganze Jahr über fliegen. Quelle: dpa
Ebenfalls sehr weit verbreitet ist die Allergie gegen Tiere - nicht aber gegen Tierhaare. Die allergischen Reaktionen werden nicht von den Haaren ausgelöst, sondern von Urin-, Kot- und Speichelresten, die an den Tierhaaren oder Federn haften. Quelle: dpa

Das Ergebnis: Im Best-Case-Szenario wurde davon ausgegangen, dass im EU-Schnitt 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung von Allergien betroffen ist und sie dadurch eine um zehn Prozent reduzierte Leistung bringen. Hier beliefen sich die Kosten für Fehltage auf 528 Euro pro Jahr, die Kosten für verminderte Leistungsfähigkeit auf 845 Euro - insgesamt also 1373 Euro pro Jahr und Arbeiter. Bei 44 Millionen Betroffenen, von denen 90 Prozent nicht oder ungenügend behandelt werden, summieren sich die Allergie-Kosten in der EU so auf 54,9 Milliarden Euro. Eine angemessene ärztliche Behandlung würde hingegen nur fünf Milliarden Euro kosten. So ließen sich also Unkosten von 50 Milliarden Euro pro Jahr einsparen.

Im Worst-Case-Szenario wurde von 35 Prozent Betroffenen im EU-Durchschnitt ausgegangen - das sind 76 Millionen Allergiker. Unter der Annahme, dass auch hier 90 Prozent nicht oder unsachgemäß behandelt werden, also 68 Millionen Menschen. Zudem wurde in diesem Szenario von einer um zwanzig Prozent verminderten Leistungsfähigkeit ausgegangen. Die jährlichen Allergiekosten belaufen sich hier auf 150,8 Milliarden Euro. Demgegenüber stehen die wesentlich geringeren Kosten für eine sachgemäße Behandlung der Patienten von 8,5 Milliarden Euro. Für die EU-Wirtschaft ließen sich so also Unkosten in Höhe von 142 Milliarden Euro leicht vermeiden.

"Allergien verdienen mehr öffentliche Aufmerksamkeit", schließen die Forscher. Zwar seien in Europa bereits große Fortschritte durch Präventionskampagnen und verbesserte frühzeitige Behandlung von chronischen Krankheiten gemacht worden - Allergien hätten hier jedoch bislang keine große Rolle gespielt. Zusätzlich zu den nun kalkulierten sozioökonomischen Kosten kämen zudem Faktoren wie schädliche Einflüsse von Allergien auf das Lernen in Schulen und an Universitäten. Hierzu sei dringend weitere Forschung nötig.

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