Europäischer Erfinderpreis 2013 Koreas findigster Stahlkocher

Eiffelturm, Reichstagskuppel, Golden Gate Bridge – kaum ein Bauwerk der Moderne kommt ohne Stahl aus. Wie man den kostbaren Stoff möglichst umweltschonend produziert, hat der Koreaner Sanghoon Joo der Welt gezeigt.

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Das von Sanghoon Jo entwickelte Finex-Verfahren zur Stahlproduktion spart einige besonders umweltbelastende und arbeitsaufwendige Schritte aus - ohne Qualitätseinbuße beim Endprodukt.

Wien „Nach Korea und Montreal ist Linz meine dritte Heimat“, sagt Sanghoon Joo. 1991 reiste der damals frisch gebackene Doktor für Metallurgie erstmals aus Südkorea in die Hauptstadt von Oberösterreich. Ein Ausflug, den er fortan regelmäßig wiederholen sollte. Doch den Bruckner- und Klimt-Liebhaber zog es nicht der Kunst wegen nach Österreich. Der Nachwuchswissenschaftler kam im Auftrag des koreanischen Stahlriesen Posco.

Das Unternehmen hatte sich Anfang der 1990er gemeinsam mit der in Linz ansässigen Voest-Alpine Industrieanlagenbau (seit 2005: Siemens VAI Metals Technologies) ein hohes Ziel gesteckt: Die Produktion von Stahl sollte wirtschaftlicher, umweltfreundlicher und energiesparender werden. Für ein solches Vorhaben, so Joo, brauchte es gute Erfinder mit „unstillbarer Neugier, aber auch Fokus und Durchhaltevermögen“.

Außerdem seien in der koreanisch-österreichischen Kooperation „Ehrlichkeit und Vertrauen sowie Aufgeschlossenheit und Verständnis für das Gegenüber“ ausschlaggebend gewesen. Auch das eine oder andere tiefschürfende Gespräch bei Bier und Soju (eine Art koreanischer Branntwein) brachte die Teammitglieder einander näher, erinnert sich Joo ein wenig verschmitzt.

Heute ist Posco der viertgrößte Stahlhersteller der Welt, und der ehemalige Gruppenleiter Sanghoon Joo hat die Position des Vizepräsidenten inne. Als einer der geistigen Väter von Finex – so heißt das alternative Verfahren zur effizienten Stahlerzeugung, das seinen Anfang in Linz genommen hatte – ist Joo bereits seit gut zwanzig Jahren in die Entwicklung des neuartigen „Rezepts“ involviert. Der Prozess hat aufgrund seiner Nachhaltigkeit aktuell höchste Relevanz.

Der riesige Bedarf hat massive Umweltfolgen

Im Jahr 2011 wurden weltweit rund 1,5 Milliarden Tonnen Stahl hergestellt. Über 2000 Sorten der Eisen-Kohlenstoff-Legierung stehen mittlerweile für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche zur Verfügung. Bis 2015 soll die Produktion um weitere 25 Prozent steigen, um die wachsende Nachfrage in asiatischen Ländern wie Indien zu stillen.

Der gigantische Bedarf hat naturgemäß massive Umweltfolgen: Der Eisen- und Stahlsektor ist für 27 Prozent des gesamtindustriellen CO2-Ausstosses sowie für fünf Prozent der vom Menschen erzeugten Treibhausgase verantwortlich.

Gleichzeitig sind die für die Stahlproduktion wichtigsten Rohstoffe (hochwertiges Eisenerz, Kohle) knapp und teuer, ihre Transportwege mitunter lang. Deswegen gab und gibt es experimentelle Bestrebungen, etwa in Japan, Brasilien oder Australien, die Herstellung effizienter zu machen. Die klassische Hochofenroute soll ersetzt und die neuartigen Schmelzprozesse auf industrielle Maßstäbe übertragen werden.

Weitaus am besten geglückt ist dies bei Posco in Südkorea. Dass sich das neue Finex-Verfahren nicht nur im Test, sondern auch in der technischen und wirtschaftlichen Praxis bewährt, zeigen zwei Anlagen. Eröffnet 2003 und 2007 in der Hafenstadt Pohang, haben sie eine Produktionskapazität von insgesamt 2,1 Millionen Tonnen Roheisen pro Jahr. Rund 470 Personen arbeiten am Finex-Projekt, zum Beispiel Forscher, Ingenieure sowie Personal für die Anlagen’, berichtet Metallurgie-Spezialist Joo.


Gleiche Stahlqualität bei geringerer Umweltbelastung

Eine weitere Anlage (Kapazität: zwei Millionen Tonnen) soll Anfang 2014 in Betrieb genommen werden. Folglich könnte Posco etwa ein Viertel seiner Produktion mit dem innovativen Verfahren bestreiten.

Im Gegensatz zur traditionellen Hochofenroute kommt Finex ohne zwei besonders umweltbelastende sowie arbeits- und energieaufwändige Verfahrensschritte aus: das Sintern von hochwertigem Erz sowie das Verkoken zur ‚Aufwertung’ von Kohle. Dennoch ist die Stahlqualität genau so hoch wie beim klassischen Prozess.

Und so funktioniert Finex im Detail: Für die Stahlproduktion braucht es reduziertes Eisen. Dieses liegt in der Erdkruste allerdings nur in oxidierter Form, vermengt mit Gesteinen (Eisenerze), vor. Also werden verhältnismäßig kostengünstige Feinerz-Krümel durch eine Reihe von hintereinander geschalteten Wirbelschichtreaktoren geschickt und auf rund 800 Grad Celsius erhitzt. Dazuströmendes Reduktionsgas auf Kohlebasis wirkt als Katalysator, ermöglicht chemische Reaktionen und folglich die Bildung von reduziertem Eisenschwamm.

Niedrigere Kosten durch interne Rückführsysteme

Diese Stücke werden wie Teig gewalzt und kommen zum Schmelzen in einen Vergaser, wo Temperaturen über 2000 Grad Celsius herrschen. „Einfache“ unverkokte Kohle liefert die hierfür nötige Wärmeenergie. Schließlich kann das flüssige Roheisen abgestochen und zu Stahl weiter verarbeitet werden. Für eine Tonne werden bei Finex statt 20 Gigajoule Wärmeenergie nur 17,5 Gigajoule benötigt.

Ebenfalls deutlich verschlankt hat sich bei Finex der Ausstoß von gasförmigen Emissionen, etwa von Schwefeldioxiden (Reduktion um 99 Prozent), Stickoxiden (97 Prozent) sowie Feinstaub (72 Prozent). Der CO2-Ausstoß ist bei einer der koreanischen Anlagen um zwölf Prozent verringert. Auch die Tatsache, dass Wasser weniger mit Schadstoffen belastet wird, trägt zur verbesserten Ökobilanz von Finex bei – der Prozess wird derzeit übrigens nur durch Posco genutzt.

Einen wesentlichen Beitrag zur Kostensenkung liefern interne Rückführsysteme. Dadurch werden Gase, die beim Prozess als Nebenprodukte anfallen, nicht verschenkt, sondern aufgefangen und zur Stromerzeugung oder für Heizzwecke weitergenutzt.


Eine Alternative vor allem für mittelgroße Stahlwerke

Bis es in diesem Prozess mit seinen zahlreichen Stellschrauben so weit war, mussten diverse technologische Hürden überwunden werden. So sei etwa die Optimierung des Materialflusses zwischen den Wirbelschichtreaktoren langwierig gewesen, erinnert sich Sanghoon Joo. „Auch in Zukunft wollen wir den Prozess noch einfacher machen und die Energieeffizienz weiter verbessern.“

Das nächste Ziel der modernen Stahlkocher: In absehbarer Zukunft sollen die Investitions- und Betriebkosten einer Finex-Anlage rund 15 Prozent und mehr unter den Ausgaben für den Hochofenprozess liegen.

Integration in bestehende Werke möglich

Es sei nicht zu erwarten, dass Finex die herkömmlichen Anlagen in Zukunft komplett ersetze, so Joo. Ausschlaggebend für den Einsatz seien Produktionskapazität und Standort. Durchaus rentieren würde sich das Verfahren etwa für neu errichtete mittelgroße Stahlwerke mit einer Produktionskapazität von zwei bis vier Millionen Tonnen pro Jahr, die nur auf eher niederwertige Rohstoffe zurückgreifen können. Finex könne aber auch in bestehende Stahlwerke integriert werden, um deren veraltete Hochöfen auszutauschen.

„Solche Entwicklungen stärken die technische Leistungsfähigkeit der Industrie und damit die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit sind zukunftsgerichtete Erfindungen unverzichtbar“, meint auch Benoit Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamts, zu dem in Korea und Österreich entwickelten Verfahren, das eine erfolgreiche Abkürzung für die angestammte Hochofenroute gesucht und gefunden hat.

Das Europäische Patentamt verleiht alljährlich den European Inventor Award. In fünf Kategorien werden Erfinder für ihren Beitrag zur europäischen Wirtschaft und zur Weiterentwicklung der Gesellschaft geehrt. Bis zur diesjährigen Preisverleihung am 28. Mai in Amsterdam stellt Handelsblatt Online alle 15 Nominierten und ihre innovativen Ideen vor.

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