Forschung oder Qual? Wie Wissenschaftler um Tierversuche streiten

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Staatsanwaltschaft prüft Tierschützer-Anzeigen

Dennoch verläuft nicht immer alles reibungslos. Zum Beispiel könne es bei Operationen zu Hirnverletzungen kommen. Dabei könnten Übelkeit, Lähmungen und Infektionen auftreten, die entsprechend behandelt würden, erklärt Logothetis. Er versichert: „Postoperativ werden die Affen so gut wie möglich behandelt.“

Die eigentlichen Versuche bei den Affen seien auch schmerzlos, da das Gehirn kein Schmerzempfinden habe. Eine nach EU-Belastungskatalog eingestufte „mittlere Belastung“ stelle für einige Tiere lediglich die Wasserkontrolle dar. Tierschützer beschreiben das als Qual: Tage vorher würden die Affen nichts zu trinken bekommen, damit sie bei den Versuchen kooperieren.

„Tierversuche sind grausam, teuer und haben eine unglaubliche Fehlerquote“, sagt Friedrich Mülln von der SOKO Tierschutz. Der Verein führt die Kampagne gegen die Tübinger Forschungseinrichtung an. Die Tierschützer sind mit ihrem Protest lange nicht am Ende. Im Gegenteil: Im Frühjahr soll es eine erneute Protestwelle gegen die Tierversuche geben, Demos, Menschenketten, Mahnwachen.

„Ich höre nicht wegen der Anfeindungen der Tierschützer auf“, betont Logothetis. Vielmehr habe ihm der Rückhalt aus der Wissenschaft gefehlt. Auch von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) fühlt er sich im Stich gelassen. Er kritisiert die verhaltene Reaktion der Wissenschaft auf die Drohungen der Tierschützer, mehr Offensive hätte er sich gewünscht.

„Die Behauptungen vieler aktivistischer Organisationen, Grundlagenforschung sei gefährlich und wertlos für die Medizin, sind schockierend“, sagt Logothetis. „Mir ist nicht klar, ob dies aus Unverständnis oder Berechnung heraus behauptet wird.“

Die Max-Planck-Gesellschaft gibt dem Affenforscher Rückendeckung. „Da Primaten und Menschen sehr ähnliche Gehirne haben, bleiben Experimente an Primaten von entscheidender Bedeutung“, sagt MPG-Sprecherin Christina Beck. „Hirnforschung ist daher dringend notwendig und wird wahrscheinlich noch zunehmen.“

Die Tierschützer halten Logothetis Rücktrittsankündigung für einen Bluff. „Die Tiere sitzen immer noch in den Käfigen und werden zu Versuchen gezwungen“, sagt Aktivist Mülln. „Nach unseren Informationen kam es seit der Aufdeckung zu mehreren schweren Zwischenfällen, bei denen Affen gelähmt wurden oder in deren Folge Affen getötet werden mussten.“ Ziel sei ein echtes Ende der Affenversuche.

Ob es in den Tübinger Laboren Verstöße gegen das Tierrecht gab oder gibt, ist bis heute unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch, prüft Anzeigen von Tierschützern - wegen des Verdachts der Tierquälerei und der Tiertötung ohne vernünftigen Grund. In der Zwischenzeit gehen die Forschungen im Tierversuchs-Labor weiter. Die Frage, was in Johanns Kopf vergeht, ist noch nicht geklärt.

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